Schon beim 70-jährigen Thronjubiläum von Königin Elisabeth II. Anfang Juni waren selbst sogenannte Leitmedien voll von peinlicher Kitschberichterstattung über den "Gemeinsinn", für den "die Queen" stehe, für die "Versöhnung", "Beständigkeit", "Ruhe" und "Integrität", die sie ausstrahle. Selbst die "Zeit" schwärmte davon, wie selbstlos "Elisabeth" (als wäre es die eigene Oma) sei, weil sie sich selbst "nie im Blick gehabt" und mit "eiserner Disziplin" "dem Volk" gedient hätte.
Was für eine gütige alte Frau.
Was für ein Emo-Zirkus.
Und auch die FAZ konnte zwar nie erklären, was die Queen tatsächlich geleistet hat, um mariengleich verehrt zu werden, gefühlsduselte aber ebenfalls darüber, dass es der Königin gelungen sei, eine "tief gespaltene britische Gesellschaft für einen Moment zu versöhnen". Hä? Whut da fock? Wie denn? Wann denn? Als sie Ende 2020 das Brexit-Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien mit ihrer Unterschrift in Kraft gesetzt hatte?
Und wieso trägt sich nach ihrem Tod jetzt nochmal genau ein Stuttgarter Oberbürgermeister im Britischen Honorarkonsul in Stuttgart in ein "Kondolenzbuch für Queen Elisabeth II" ein und erinnert auf seinem Instagram-Account (vor einer Kerze sitzend) an den Staatsbesuch der britischen Königin 1965, bei dem sie auch in Stuttgart Halt machte und damit 20 Jahre nach Kriegsende eine "Geste erheblicher politischer Tragweite aussandte"? Weil sie zehn Tage lang durch die Bundesrepublik gurkte und im Fernsehturm-Restaurant mit Arnulf Klett ein paar Maultaschen verhaftet hat oder was?
Selbstverständlich ist Monarchie politisch
Offiziell haben die Royals doch "gar keinen politischen Einfluss mehr", sagen ihre Fans immer dann, wenn sie ihre Lieblingshoheiten gegen den Vorwurf der politischen Einflussnahme verteidigen wollen. Alles nur repräsentati-hi-v! Und jetzt schaut mal da, wie lieb die "Kwiiiiin" in dem einen Video dem süßen Dackel-Corgi-Mix auf Schnäuzle tippt, als der mitten in einem Dreh für die Thronjubiläums-Feierlichkeiten in den royalen Gemächern auf der Suche nach Snacks durchs Bild wackelt. Ja von mir aus, ich fand die Corgi-Szene auch goldig. Aber wegen den fucking Corgis! Und nicht wegen irgendeiner greisen Monarchin, die dämliche Kinder-Fanpost präsentiert! Ist das auch so eine "Geste" mit "erheblicher politischer Tragweite"? Man weiß es nicht. Das einzige, was man auch in Deutschland über Königin Elisabeth II. weiß, ist, dass sie eben auch "unsere Königin war", wie der "Focus" in einem Bericht über all ihre Reisen nach Deutschland mit nostalgischen Schmunzelanekdötchen beweisen will.
Jaja, die gute alte Monarchie, Gott bewahre sie wie die Umwelt, wie Pflanzen und Tiere! Diesen hirnerweichenden Quatsch hat die ultrarechte Adelsexpertin Gloria von Thurn und Taxis ("Der Schwarze schnackselt halt gern.") wirklich im Juni vollkommen ironiefrei in einem "Welt"-Interview zum Queen-Jubiläum unwidersprochen erzählen dürfen: Dass Monarchien für die Zukunft Europas wie "seltene Pflanzen" "gegossen" werden müssten, da Europa ja "ein Konglomerat von königlichen Häusern, die untereinander geheiratet haben" sei und dass der Adel damit die "europäische Idee" mit Heiratspolitik vorweggenommen hätte. Den Vogel hat sie aber gar nicht selbst abgeschossen. Das hat der Interviewer der "Welt" erledigt, der die Adelsschwurblerin mit "Eure Durchlaucht" angesprochen hatte. Die Absurdität dieses untertänigen Kasperletheaters ist den meisten Leuten aber überhaupt nicht aufgefallen.
Naja, egal. Jetzt ist sie ja eh tot, die Queen. Was Menschen und Medien quer durch die Gesellschaft nicht davon abhält, exakt dasselbe peinliche Nostalgie-Theater wieder aufzuführen. Sogar unter selbstgefühlten Linken, also Liberalen, wird die Queen betrauert. Auf Twitter wird sie sogar allen Ernstes von Influencerinnen als "Feministin" gefeiert, weil sie wohl Autos reparierten konnte und mal irgendeinen Saudi-König im Auto rumgefahren hat, obwohl das sonstigen Frauen in seinem Reich nicht erlaubt war. Die Oscar-Preisträgerin und Schauspielerin Olivia Coleman, die die "Queen" in der der Netflix-Serie "The Crown" spielt, erzählte schon 2019 in einem britischen Magazin, dass "die Queen" "die ultimative Feministin" wäre, weil sie "der Ernährer" sei und auf Geldscheinen drauf wär' und ihr Mann hinter ihr hergehen muss und bla. Ja, schon geil, zugegeben, aber mit diesem bürgerlichen Bullshit-Feminismus ist es wahrscheinlich auch feministisch, wenn katholische Priesterinnen kleine Jungs missbrauchen würden. Als ob ein reaktionäres, ausbeuterisches, missbräuchliches Machtsystem besser wird, nur weil eine Frau seine Chefin ist.
Schon gut, ich hör jetzt auf mit dem linksterroristischen Queen-Hass. Hab eh ab morgen Urlaub und muss mal runterkommen. Entspannen. Nicht immer nur hetzen und spalten. Einfach mal Mensch sein und als solcher andere Menschen mit Adels-Sympathien verständnisvoll begegnen. Egal jetzt mal, dass "die Queen" nichts weiter als ein perfekt vermarktetes Produkt eines umsatzorientierten Machtsystems ist, das auch in Deutschland gern gekauft wird. Egal, dass die durchlauchten Damen und Herren aus dem englischen Königshaus seit Jahrzehnten ihre Macht politisch und wirtschaftlich missbrauchen, in Offshore-Firmen investieren, Investments in Firmen verschleiern wollen, Spendenaffären haben, sich die Taschen mit ihren Ländereien vollstopfen und heimlich an den Gesetzen herumschrauben, obwohl sie offiziell nix mit Politik am Hut haben. Alles belegt. Alles bekannt. Werfe den ersten Stein, wer sich nicht regelmäßig heimlich Gesetzespläne zeigen lässt, die Folgen für persönliche Finanzen haben könnten! Und was ist schon dabei, diese Pläne abzuändern, falls sie potentielle Probleme fürs Privatvermögen bergen, wenn man so süße Corgis hat?
2 Kommentare verfügbar
Peter Bähr
am 21.09.2022https://www.kontextwochenzeitung.de/schaubuehne/589/hall-selber-gemacht-8297.html#comment31060!
Scheut nunmehr nicht zurück, in…