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Eine Ägypterin in Esslingen

"Dem Leben fehlen die Gewürze"

Eine Ägypterin in Esslingen: "Dem Leben fehlen die Gewürze"
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Ghada Elmazahy arbeitete in ihrer Heimat Ägypten und in Kuwait als Englischlehrerin. Im Südwesten ist sie nun schon seit zehn Jahren als Erzieherin tätig. Anfangs musste sie sich aber erstmal durch den deutschen Bürokratiedschungel kämpfen. Nicht einfach für eine emanzipierte Frau mit Kopftuch.

Ghada Elmazahy ist eine offene, freundliche Frau. Beim Treffen im Café "Goldmund" in Esslingen dauert es keine Sekunde, da ist sie drin im lebendigen Erzählfluss. Sie lacht gerne. Selbst über all die Steine, die ihr hier beruflich in den Weg gelegt wurden. Die Ägypterin hat auf dem Weg bis zu ihrer jetzigen Stelle als Erzieherin in der Kita im Mütterzentrum Esslingen viele deprimierende Situationen erlebt. Aber sie neigt nicht zum Klagen. Sie schaut stets nach vorn.

Elmazahy wurde 1978 in Port Said, der Hafenstadt am Mittelmeer am Nordeingang des Suezkanals, geboren und wuchs dort mit drei Geschwistern auf. Mutter: Religionslehrerin, Vater: Berufsschullehrer. Sie trat also in die Fußstapfen ihrer Eltern, als sie an der Universität in Ismailia ihr vierjähriges Lehramtsstudium im Fach Englisch antrat, das sie 1999 abschloss. Gleich im Anschluss arbeitete sie in Port Said als Mittelstufenlehrerin und wechselte nach fünf Jahren an eine Grundschule in Kuwait. Einerseits verdiene man dort viel besser, sagt sie, andererseits sei es eine Möglichkeit gewesen, endlich von zu Hause auszuziehen. Für Frauen gebe es da nicht viele Optionen in der arabischen Kultur, es werde nicht akzeptiert, dass eine Frau alleine lebt. Entweder frau heiratet oder sie findet einen Job in einer anderen Stadt. Kuwait lag nahe: dieselbe Sprache, anderer Dialekt, ähnliche Kultur.

2007 kam Elmazahy nach Deutschland. Eine Entscheidung, die ihr leichtgefallen sei. Sie kam ja wegen der Liebe und wollte mit ihrem Mann zusammen sein. Den Ägypter Samir hatte sie über einen Skype-Chatroom kennengelernt, sie hatten sich schnell verliebt, verlobt, verheiratet. Sie gab ihre Stelle in Kuwait auf und zog nach Esslingen, wo ihr Mann bis heute einen Shisha-Shop betreibt. Er wiederum war in Esslingen gelandet, weil er eine Deutsche geheiratet hatte. Die Ehe hatte aber nicht gehalten.

Heimweh im kalten Deutschland

Für Ghada Elmazahy bedeutete der Sprung nach Deutschland zunächst ein Abenteuer. Aber die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. Von den 60 Grad im Kuwaiter Schatten landete sie in einem kalten, nassen Esslinger Sommer. "Ich bin in Winterklamotten auf die Straße gegangen. Es regnete und regnete." Und dann, gleich am zweiten Tag, rückte ihr auf der Straße eine Frau auf die Pelle und flüsterte ihr ins Ohr: "Scheißmuslime."

Sie fühlte sich schnell sehr einsam. Sie konnte ja noch kein Deutsch, ihr Mann war meist mit seinem Laden beschäftigt, ihre Familie und ihr Freundeskreis fehlten. "Ich war sehr deprimiert, habe viel geweint und wollte zurück nach Ägypten."

Als 2008 ihr Sohn Momen geboren wurde, sei es ihr aber besser gegangen. Sie fühlte sich nicht mehr so allein – wegen all der Termine, die hier in Deutschland in Zusammenhang mit einer Geburt zu erledigen seien, sagt sie lachend. Aber es keimte auch der Wunsch in ihr, wieder zu arbeiten. Sie war es ja gewohnt, ihr eigenes Geld zu verdienen und sie wollte von ihrem Mann nicht finanziell abhängig sein. Aber wo arbeiten ohne Deutschkenntnisse? Sie entschied sich, einen halbjährigen Intensiv-Deutschkurs zu machen. Der habe ihr wirklich gutgetan.

2010 brachte Elmazahy ihre Tochter Shahd zur Welt und blieb erst einmal drei Jahre lang zu Hause, bis sie einen Kitaplatz für Shahd bekam. Als sie begann, sich auf Stellen zu bewerben, wusste sie noch nichts von Zeugnisanerkennungsstellen und von Behörden namens Regierungspräsidium. "Ich hab' mich einfach beworben." Etwa als Englischlehrerin an einer Stuttgarter Privatschule. Sie wurde zum Bewerbungsgespräch eingeladen. "Ich war so aufgeregt." Allerdings war der freundliche Leiter der Schule eher daran interessiert, sie als Englisch sprechende Betreuerin für den angeschlossenen deutsch-englischen Kindergarten zu gewinnen. Sie sagte zu, bekam aber doch eine Absage. "Ich war sehr deprimiert." Aus einer Festanstellung wurde nichts, immerhin wurde ihr an der Kita eine Teilzeit-Aushilfstätigkeit angeboten, die sie annahm.

Erst kommt die Bürokratie, dann die Arbeit

Sie wechselte ein paar Monate später in einen Vollzeitjob in einer bilingualen Kita in Ostfildern – bis die Leitung feststellte, dass sie über keinen hierzulande anerkannten Abschluss verfügt. Und dass die Stadt deshalb nicht mehr bereit sei, ihr Gehalt zu zahlen. Für Elmazahy ein Schock. "Ich wusste ja von nix. Sie hatten mich bei der Einstellung nicht danach gefragt." Sie habe daraufhin ihre Ausbildungsunterlagen beim Regierungspräsidium Tübingen eingereicht, das für die Anerkennung internationaler Lehrerdiplome zuständig ist. Die Antwort: "Keine Anerkennung, weil ich nur ein Fach studiert habe." Das sei in Ägypten aber die Regel. Hier sind es zwei. "Das hätte für mich bedeutet: Erst das C1-Deutsch-Sprachdiplom zu machen, dann ein zweijähriges Studium an einer Uni, um ein zweites Fach abzuschließen. Aber mit zwei kleinen Kindern? Das wäre für mich nicht zu schaffen gewesen."

Sie schickte ihre Unterlagen ans Regierungspräsidium in Stuttgart, das wiederum zuständig ist für die Anerkennung von Bildungsabschlüssen von Erzieherinnen. "Ich habe auf eine Antwort gewartet und gewartet und gewartet." In Ostfildern sei sie derweil unter Druck gesetzt worden. Ihr Gehalt wurde gekürzt, sie bekam statt 2.500 brutto nur noch 1.800 brutto, da sie ja keine Fachkraft sei. Ihr Anruf beim Amt brachte die enttäuschende Antwort: keine Anerkennung, da eine Ausbildung zur Erzieherin vier Jahre dauere, sie aber nur zwei Jahre studiert habe. "Sie hatten die Anzahl meiner vier Studienjahre mit Semestern verwechselt!" Sie konnte das Missverständnis klären und erhielt im Februar 2017 endlich das ersehnte Zertifikat. Ihr altes Gehalt hat ihr die Ostfilderner Kita aber nicht wieder bezahlt. Sie kündigte.

Über eine befristete Vollzeitstelle an einer städtischen Kita in Esslingen landete sie schließlich wieder an ihrer alten Stuttgarter Kita. Mit der unbefristeten 80-Prozent-Stelle mit Dienst von 8 bis 14 Uhr konnte sie sich den Rest des Tages um ihre Kinder kümmern. Es lief gut. Aber als nach drei Jahren die Leitung wechselte, war wieder alles anders. Elmazahy sollte sich zum Schichtdienst verpflichten. Das hätte bedeutet, dass sie oft erst am Abend nachhause gekommen wäre und ihre Kinder zu lange alleine geblieben wären. "Die Leiterin sagte: 'Du hast dich trotz Kindern entschieden, zu arbeiten. Das ist nicht mein Problem.'" Das empört Elmazahy sehr, dass arbeitende Mütter hier kein Recht auf bestimmte Arbeitszeiten haben. "Einerseits sollen Frauen Kinder kriegen, andererseits werden sie bei der Arbeit wie alle anderen behandelt. Aber wie sollen Mütter die Betreuung ihrer Kinder hinbekommen, wenn sie dabei nicht genügend unterstützt werden? Die Kinder sind doch die Zukunft des Landes." Sie kündigte. Heute arbeitet sie im Esslinger Mütterzentrum und ist sehr zufrieden mit dem Team und den Bedingungen. "Aber der Weg dahin war wirklich hart."

Die Kinder fragen: "Hast du keine Ohren?"

Ghada Elmazahy hegt einen großen Traum. Sie möchte eines Tages eine arabisch-deutsche Kita eröffnen und leiten. Es sei wichtig, dass arabische Kinder einen Platz finden, um ihre Muttersprache von Grund auf zu erlernen. Den gebe es hier noch nicht. "Wenn Kinder ihre Muttersprache perfekt beherrschen, dann fällt es ihnen auch leichter, Deutsch zu lernen", da ist sie sich sicher.

Als gläubige Muslima trägt Elmazahy Kopftuch. Es gehöre zu ihrer Identität, sagt sie. "Ich trage das Kopftuch absolut freiwillig. Es ist mir wichtig. Es stört mich nie, auch wenn es im Sommer heiß ist. Ich bin daran gewöhnt." Es sei Pflicht für muslimische Frauen, sagt sie, aber eine freiwillige. Ihre Mutter hat sie frei entscheiden lassen, und so handhabt sie es auch mit der eigenen Tochter. Sie findet die Argumente in Ordnung, die der Islam für das Kopftuch parat hat: Es schütze die Frau. "Wenn ich mit einem Mann rede, muss er sich auf diese Weise auf meine Gedanken konzentrieren, auf meinen Charakter, und nicht auf mein Äußeres." Eine Frau solle hübsch sein für ihren Mann und nicht für jeden auf der Straße.

Ihr Kopftuch ziehe oft skeptische Blicke auf sich. Was anders sei, mache eben Angst, sagt sie. Für die Kopftuchdebatte in Deutschland hat sie kein Verständnis. Ein Kopftuch bedeute doch nicht automatisch, dass die Frau, die es trage, unterdrückt werde. In Bewerbungsgesprächen habe man ihr oft merkwürdige Fragen gestellt: "Ob ich ein Gespräch mit einem Mann alleine führen und mit Männern zusammenarbeiten dürfe? Natürlich, antwortete ich. Und ob ich daheim etwas zu sagen habe? Ja, es ist doch mein Zuhause!" Sie mache stets deutlich, dass sie ihr Kopftuch bei der Arbeit nicht absetzen werde. Aber sie sei offen für alle Fragen. Kinder löcherten sie oft: "Hast du keine Ohren?", "Wo sind deine Haare?" Elmazahy lacht. "Ich nehme dann mein Kopftuch schon mal ab."

Kein Mensch auf der Straße

Die Rechte der Frauen seien ihr sehr wichtig. "Es ist unfair, dass Frauen in Deutschland in vielen Bereichen noch immer schlechter bezahlt werden als Männer, obwohl sie dieselbe Arbeit machen und oft auch viel besser." Sie habe ihre Tochter zu einer starken, selbständigen Persönlichkeit erzogen, die sich nicht von einem Mann abhängig machen soll. "Ich denke schon, dass ich ein bisschen Feministin bin", sagt sie und lacht schon wieder.

Das quirlige, bunte Leben in Ägypten vermisst sie immer noch sehr. Das Leben in Deutschland fühle sich "hart, kalt und trocken" an. Die Arbeit stehe hier so sehr im Mittelpunkt. Wenn sie Spätschicht habe, bliebe nicht mehr viel übrig vom Tag. Und keine Zeit für Freundschaften. Man halte sich hier zu viel in seiner Wohnung auf. Und ihre Wohnung in Esslingen ist sehr klein. Sie leben zu viert in zweieinhalb Zimmern. "Wir kriegen keine andere Wohnung, die Mieten sind einfach zu hoch." Um 20 Uhr sei hier alles geschlossen. Man sehe meist keinen Menschen mehr auf der Straße. In Ägypten finge das Leben dann erst an. "Wir gehen raus, treffen auf der Straße Menschen, sprechen miteinander, tauschen uns aus." Das seien "die Gewürze des Lebens", und diese Gewürze fehlen ihr hier.


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1 Kommentar verfügbar

  • zsuka
    am 08.03.2023
    Antworten
    Frau Elmazay hat vollkommen recht: Kinderbetreuung und kinderfreundliche Arbeitszeiten werden in Deutschland immer noch zu sehr als Privatproblem angesehen, da muss sich gesellschaftlich etwas ändern.
    Dennoch: Frau Elmazahy hat einen Mann. Ist der nicht auch für die Betreuung der gemeinsamen…
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