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Ausgabe 689

Harte Strafen

Die Abschiebe-Lüge

Harte Strafen: Die Abschiebe-Lüge
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Das Gift des Populismus tropft. Weit unter Stammtisch-Niveau wird in Deutschland nach der tödlichen Messerattacke in Mannheim diskutiert, wie Migrant:innen nach schweren Verbrechen in ihre alte Heimat zurückgeschickt werden könnten. Dabei lautet die einzig rechtsstaatliche Antwort: gar nicht.

Wenn selbst Politiker:innen wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) solche Töne anschlagen, muss sich über den Rechtsruck in Europa niemand mehr wundern. Es sei für die Bevölkerung "und mir selber schwer verständlich", sagt der erfahrene und sonst so bedächtige Grüne, wenn abgelehnte Asylbewerber:innen selbst bei schweren und schwersten Straftaten nicht abgeschoben würden. Dabei ist die Erklärung einfach: Staat und Gesellschaft haben einen Anspruch darauf, dass strafrechtlich relevante Handlungen im Land der Tat verfolgt und geahndet werden.

Die Botschaft dringt jedoch nicht durch. Der Gesamtsound wird immer aggressiver, geweckt werden unerfüllbare Erwartungen. Und nahezu alle politischen Lager stimmen ein. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) verlangt: "Jeder, der auf diese bestialische Weise die Gesetze dieses Landes verletzt", müsse das Land verlassen. Markus Söder (CSU) fordert, dass Straftäter wie jener in Mannheim "keinen Tag länger" in Deutschland bleiben. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) suggeriert, "dass Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan selbstverständlich möglich sind".

Sachsen als Pilot-Projekt für "Turbo-Abschiebungen"

Sein Parteifreund Armin Schuster, Innenminister von Sachsen, lehnt sich besonders weit aus dem Fenster und fordert, "Turbo-Abschiebungen für Intensivtäter zu realisieren, denn dann hätten wir im nächsten Jahr eine völlig andere Kriminalitätsstatistik". Der frühere Bundestagsabgeordnete aus dem baden-württembergischen Lörrach, der sich angesichts der sächsischen Landtagswahl im September im Dauerwahlkampf befindet, bietet dem Bund seinen Freistaat als "Pilotland" an. Nach den Ergebnissen der Europawahl hat – wenig überraschend – vor allem die "Alternative für Deutschland" von solchen Tönen profitiert.

Dabei weiß Schuster ganz genau, dass aus seinen Turbo-Abschiebe-Träumen nichts werden wird und kann. Wüsste er es nicht, wäre er als Innenminister erst recht ungeeignet. Aber wie bei so vielen Krakeelern in diesen Tagen werden Zusammenhänge vorsätzlich unter den Tisch gekehrt. Danyal Bayaz, Finanzminister der Grünen am Kabinettstisch in Stuttgart, gehört zu den wenigen, die offen ansprechen, dass selbst Schwersttäter zwar abgeschoben werden, aber eben erst: "Nachdem sie ihre Strafe bei uns verbüßt haben."

Im Falle des mutmaßlichen Mannheimer Täters bedeutet das mit größter Wahrscheinlichkeit, dass er Deutschland nie mehr verlassen wird. Ermittelt wird wegen Mordes, fünffachen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung. Auch darüber hinaus ist der Afghane aus Herat als Anlass für Verschärfungs-Debatten ungeeignet: wegen zumindest vorübergehend ganz offensichtlich nicht misslungener Integration, wegen Unauffälligkeit und weil im Besitz eines Aufenthaltsstatus.

Überhaupt geht es, wenn der Staat aktiv wird, und das ist die Regel bei Wiederholungstätern, im ersten Schritt ausländerrechtlich überhaupt nicht um eine Abschiebung, sondern um eine Ausweisung. Dazu fordert die zuständige Ausländerbehörde auf. Folgt der Betroffene nicht – zum Beispiel Männer, die nach der Verbüßung von zwei Drittel ihrer Strafe aus dem Gefängnis entlassen werden – kommt eine Rückführung unter Zwang in Betracht, immer unter der Voraussetzung, dass das jeweilige Herkunftsland bereit ist zur Wiederaufnahme. 

"Wir schaffen das" ist endgültig Geschichte

Selbst fragwürdige Fälle werden von zuständigen Behörden als Erfolg präsentiert: So wurde ein über viele Monate auffälliger 27-jähriger Gambier, der mehrfach für Aufruhr an seinem Wohnort im Kreis Schwäbisch Hall gesorgt hatte, nach einigem Hin und Her direkt aus der Psychiatrie in die Abschiebehaft verlegt. Und in Folge in Begleitung eines Arztes und Sicherheitsbeamten im vergangenen Herbst nach Gambia gebracht.

Ursprünglich hätten die seit 2011 in Baden-Württemberg geltenden Vorgaben für Rückführungen eine solche Ausreise unter Zwang gar nicht ermöglicht, um dem Mann weiterhin die notwendige medizinische Versorgung in Deutschland zuteilwerden zu lassen. Aber die Zeiten ändern sich, der Druck von ganz rechts, inzwischen auch aus den demokratischen Parteien, ist riesig, Angela Merkels "Wir schaffen das" endgültig Geschichte. Für "eine Handvoll straffällig gewordene Migranten", klagte der Jurist und Bürgerrechtler Ulf Buermeyer im so erfolgreichen Podcast "Lage der Nation",  würden Standards aufgegeben. 

Jetzt lehren die Ergebnisse der Europawahl, dass es sich keineswegs auszahlt, populistische und nationalistische Themen der Konkurrenz zu kopieren. Union, SPD, Grünen oder FDP bringt es offenbar nichts, Rechtsaußen-Töne anzuschlagen. Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz beispielsweise war einst angetreten mit der Verheißung, die AfD zu halbieren. Daraus wurde nichts. Selbst ernsthafte Ansätze spülen allzu viel Wasser auf die Mühlen der Populist:innen und Nationalist:innen.

So hatte 2018 Baden-Württembergs Innenminister Strobl den Sonderstab "Gefährliche Ausländer" gegründet. Seither fordern AfD-Abgeordnete im Landtag nur immer neue und noch schärfere Maßnahmen. Zugleich kritisiert der Flüchtlingsrat, Menschen würden aufgrund ihrer Herkunft gleich mehrfach bestraft. Nur weil sie keine deutsche Staatsbürgerschaft besäßen, folge auf die strafrechtlichen Konsequenzen die Abschiebung. Das dürfe nicht sein, beharrt die Co-Geschäftsführerin des Rates Anja Bartel, erst recht dann nicht, "wenn diesem Menschen dadurch Gefahr für Leib und Leben drohen".

Die Entwicklung der vergangenen Jahre lehrt zudem, dass schon aus Gründen schlichter Logik gerade Schwerstkriminelle infolge der Länge ihrer Haftstrafe nur äußerst selten betroffen sind von gesetzeskonformer Rückführung. Die Zahlen bleiben weit hinter den Erwartungen – gerade unter Hardlinern – zurück: Seit 2018 fanden in Baden-Württemberg 334 Ausweisungen statt sowie 444 Abschiebungen. Ganze 241 Mal wurde die "wahre Identität" geklärt. Derzeit befinden sich laut Justizministerium auf Kontext-Anfrage weitere 41 afghanische Staatsangehörige und vier syrische Staatsangehörige als "Fälle in Bearbeitung" unter Beobachtung.

"Technische Kontakte" zum Regime der Taliban

"Die Arbeit des Sonderstabes ist hart, aber jeder gelöste Fall ist ein Sicherheitsgewinn für die Menschen hierzulande", sagt Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU), "deshalb setzen wir alles daran, schwere Straftäter und Gefährder außer Landes zu bringen." Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien würden aber an der mangelnden Unterstützung des Bundes scheitern, "das ist ein Sicherheitsrisiko". Er erwarte, dass sich nach den Ankündigungen des Kanzlers "etwas" ändere.

Sein Parteifreund Thorsten Frei, der mächtige Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, weiß ohne nähere Informationen über die bisherigen Mannheimer Ermittlungsergebnisse sogar sehr genau, worum es sich bei diesem "etwas" handeln könnte. Es gebe "technische Kontakte" zum Regime der Taliban, die die Bundesregierung für Vereinbarungen "unter Umständen" nutzen könne. Dabei gibt es da nichts zu verhandeln, erforderlich sind bloß gewöhnliche Linienflüge.

Das allerdings hat erstens mit dem mutmaßlichen Polizistenmörder überhaupt nichts zu tun und ist zweitens falsch. Denn für ein tatsächlich zügiges Abschieben müssten Gerichte umgangen werden. Bisher haben die jedoch in vielen Einzelfällen gegen Abschiebungen entschieden. Jurist Frey weiß das sehr wohl, spielt aber dennoch mit dem Feuer und zündet immer neue Eskalationsstufen, die am Ende wie erwartbar bei den Rechtsnationalist:innen einzahlen.

Schon Günther Oettinger nannte es in den Neunziger Jahren einen Fehler seiner CDU, den "Republikanern" nachzueifern, weil das mit für deren Einzug in den Landtag 1992 gesorgt habe. Wirklich eingebrannt ins kollektive Gedächtnis von Schwarzen und anderen bis hin zum grünen Veteran Kretschmann hat sich diese Erfahrung offenbar nicht. Stattdessen höhlt steter Tropfen den Stein. Infratest-dimap fand heraus, dass AfD-Wähler:innen mittlerweile nicht mehr zuerst aus Protest gegen andere ihr Kreuz machen, sondern die Inhalte dieser Partei als Motiv nennen. Da müssen sich Union und FDP, Liberale und eben auch Grüne jetzt fragen, wie solche Positionen, gerade in der Migrationspolitik, hoffähig werden konnten.

Die Aufregungsspirale dreht sich

Und wo bleibt das Positive? Ein kleiner Funke Hoffnung glimmt immerhin. Dazu gehört, dass dem unpopulären Bundeskanzler in der veröffentlichten Meinung so gerne ganz genau auf die Finger geschaut wird. Zum Beispiel wegen seiner Äußerung, "dass das Sicherheitsinteresse Deutschlands schwerer wiegt als das Schutzinteresse des Täters" und dass "Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder hier nichts verloren haben". Jetzt auf einmal wird solch eine Aussage auf ihre Durchsetzbarkeit abgeklopft. "Warum das Versprechen ins Leere läuft", erläutert das "Handelsblatt", und dass Deutschland nicht einfach nach Afghanistan abschieben könne, weiß der "Bayerische Rundfunk".

Stimmt, aber die Aufregungsspirale dreht sich dennoch weiter, höher und schneller. Und es klingt schon fast wie eine Drohung, wenn der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz – höchst zufrieden mit den EU-Wahlergebnissen seiner eigenen Partei – ankündigt, sich mit Blick auf die Wahlen im Herbst jetzt erst recht jener Themen anzunehmen, die Menschen dazu bringen, AfD zu wählen.

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