Wenn in Baden-Württemberg über die "Väter" des Grundgesetzes geschrieben oder gesprochen wird, nennt man gerne den Sozialdemokraten Carlo Schmid und den Liberalen Theodor Heuss, später Bundespräsident. Beide hatten entscheidende Funktionen im Parlamentarischen Rat, der ab September 1948 in Bonn das Grundgesetz ausarbeitete. Dass der Landtag von Württemberg-Hohenzollern mit Paul Binder (1902 – 1981) einen NS-Täter nach Bonn geschickt hatte, wird dagegen gern verschwiegen. Ähnlich in Schleswig-Holstein, wo der Landtag Hermann von Mangoldt (1895 – 1953) entsandt hatte.
Die beiden Männer verbindet die Rechtswissenschaft und die Uni-Stadt Tübingen. Binder hatte dort Jura und Nationalökonomie studiert, von Mangoldt als Professor für öffentliches Recht gelehrt. Und noch etwas hatten die beiden gemeinsam: Sie gehörten trotz ihrer Nazi-Ideologie, trotz ihres Engagements für den NS-Staat und ihrer Mitgliedschaft in NS-Organisationen nicht der NSDAP an. Sonst wären sie im Parlamentarischen Rat abgelehnt worden. Dritte Gemeinsamkeit: Nach dem Krieg gelang es ihnen rasch, sich den neuen Verhältnissen anzupassen und zweite Karrieren zu beginnen.
Im Parlamentarischen Rat übernahmen die CDU-Politiker Binder und von Mangoldt wichtige Funktionen: Der "Arisierer" Binder, wenige Jahre zuvor für die Enteignung jüdischen Besitzes zuständig, war Vorsitzender des Ausschusses für Finanzfragen. Zeitweise gehörte er auch dem sehr wichtigen Ausschuss für das Besatzungsstatut an, gelegentlich nahm er an den Sitzungen des interfraktionellen Fünferausschusses und des Siebenerausschusses teil. Und der Rassegesetz-Befürworter von Mangoldt war Vorsitzender des Ausschusses für Grundsatzfragen und Grundrechte, zudem stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege.
Von Mangoldt, der schon 1934 dem Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen beigetreten war, veröffentlichte in seiner Tübinger Zeit eine rechtsvergleichende Betrachtung mit dem Titel "Rassenrecht und Judentum", in der er die rechtlichen Grundlagen der 1935 erlassenen Nürnberger Gesetze mit den Verfassungen der angelsächsischen Länder verglich. Mit den Rassengesetzen, so Mangoldt, würden "hohe ethische Ziele verfolgt". "Die durch diese Gesetze gesicherte Reinerhaltung des Blutes" sei kein Selbstzweck, sondern, wie Adolf Hitler in "Mein Kampf" gesagt habe, "ist der höchste Zweck des völkischen Staates die Sorge um die Erhaltung derjenigen rassischen Urelemente, die, als kulturspendend, die Schönheit und Würde eines höheren Menschentums schaffen".
Nicht einmal zehn Jahre später befasste sich der gleiche Rasse-Ideologe im Parlamentarischen Rat mit dem Diskriminierungsverbot in Paragraph 3 des Grundgesetzes. Und siehe da: Auch dort taucht das Wort "Rasse" wieder auf. Es wird in einem Atemzug genannt mit Merkmalen wie Geschlecht, Abstammung, Sprache, Heimat und Herkunft, Glaube, religiöse oder politische Anschauungen.
Auch wenn das Wort "Rasse" im Zusammenhang mit dem Diskriminierungsverbot verwendet wird, wird ihm damit eine reale Existenz zugesprochen. Laut Ausschussprotokoll zur Abfassung des Artikels 3 des Grundgesetzes hat von Mangoldt dies genau so gemeint: "Wenn man sagt: Alle Menschen sind gleich, so zeigt sich eben, dass sie praktisch nicht vollkommen gleich sind, sondern dass es gewisse Dinge gibt, die auf Grund der bei den Menschen nun einmal naturgegebenen Nuancierungen zu einer anderen Regelung führen müssen. Zum Beispiel könnte der Zigeuner, der herumwandert, gewissen gesetzlichen Sonderregelungen unterliegen." Sonderregelungen, Sonderbehandlungen für "Zigeuner" oder andere Gruppen oder "Rassen": Da schimmert der alte Mangoldt beziehungsweise die alte NS-Ideologie durch.
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!