Frühmorgens klingelte Denis Cerimis Telefon. Ein Anruf aus Deutschland. Am anderen Ende der Leitung hört er seine kleine Tochter. Sie wollte nicht in den Kindergarten, ohne vorher mit ihrem Papa gesprochen zu haben. "Papa, wieso bist du nicht zu Hause? Papa, wann kommst du wieder?", fragte das Mädchen. Cerimi wusste nicht, was er ihr antworten soll. Er wusste nicht, wann er wieder aus Serbien zu seiner Familie zurückkehren würde.
Diese Situation gab es oft zwischen 2018 und 2023. Nun droht dem 30-Jährigen mit serbischer Staatsbürgerschaft die zweite Abschiebung. Wieder soll er seine Partnerin und ihre fünf gemeinsamen Kinder in Waiblingen zurücklassen. Dagegen ist Cerimi rechtlich vorgegangen – bislang ohne Erfolg. Der behördliche Abschiebewille steht gegen das Recht der Kinder, mit ihrem Vater aufzuwachsen. Deutsche Rechtsprechung steht gegen europäisches Recht. Doch neben all der Juristerei geht es in erster Linie ums Menschliche: um einen Vater, eine Mutter, einen Sohn, vier Töchter, eine ganz normale Familie, die – wie sie selbst sagt – "einfach in Frieden zusammenleben möchte".
Seit 1999 lebt Cerimi in Deutschland. Fünf Jahre verbrachte er nach seiner ersten Abschiebung in Serbien. "Für mich als Roma gibt es dort keine Zukunft, die Kinder bekommen nicht mal einen Schul- oder Kindergartenplatz." Kein Recht auf Arbeit, keine Krankenversicherung, Diskriminierung durch die dortigen Behörden. In den Schulferien besuchte ihn seine Familie, doch seine Partnerin Alinda Vrankaj konnte meist nicht alle Kinder mitnehmen. "Das war zu teuer", sagt Cerimi. Vor beinahe einem Jahr durfte er nach Deutschland zurückkehren, nachdem die frühere Ausweisung vom Verwaltungsgericht Stuttgart für rechtswidrig erklärt wurde. Das Recht der Kinder auf ihren Vater sei nicht angemessen berücksichtigt worden.
Nun hat dasselbe Verwaltungsgericht beschlossen, dass Cerimi Deutschland erneut verlassen soll. "Diese Doppelmoral macht mich wirklich kaputt", sagt er. Und wiederum spielen seine Kinder eine entscheidende Rolle. Für die Ausländerbehörde und für das Gericht wiegt das Interesse der Kinder, ihren Vater bei sich zu haben, nicht mehr als das eigene Interesse, Cerimi zur Nachholung des Visumverfahrens zurück nach Serbien zu schicken. "Ich kann das psychisch und sachlich nicht verstehen", sagt der Familienvater. Er ist aufgewühlt, seine Emotionen dringen durch das Telefon. "Vielleicht haben die Richter keine Kinder und können das nicht nachempfinden."
Ab wann braucht ein Kind seinen Vater?
Cerimis Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung wurde im September vergangenen Jahres von der Ausländerbehörde Waiblingen abgelehnt. Auch die vielen Beschwerdeanträge seines Anwalts blieben erfolglos. Am 18. April 2024 lag der Bescheid des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Baden-Württemberg in Cerimis Briefkasten: Sein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wurde letztinstanzlich abgelehnt. Heißt: Cerimi ist ausreisepflichtig und kann jederzeit abgeschoben werden.
Fünf Tage später, halb neun Uhr morgens: Die Polizei klingelt an Cerimis Tür, um ihn abzuholen. Doch er ist mit seiner ältesten Tochter bei der Nachkontrolle ihrer Augen-OP. Später wird er erzählen, wie sehr er seine Kinder vermissen würde, wenn er das Land wieder verlassen müsste. Er findet kaum Worte dafür. "Um Gottes Willen, das ist mein Fleisch und Blut."
Was seine drei älteren Töchter anbelangt – zehn, sieben und fünf Jahre alt –, geht das Verwaltungsgericht davon aus, "dass diese die zeitweisen Trennungen von ihrem Vater aufgrund der vergangenen Umstände gewöhnt sind und solche Trennungen ohne jegliche Beeinträchtigungen überbrücken können". Bei seiner kleinsten Tochter, die im Juli vergangenen Jahres geboren wurde und somit von Anfang an in einem Haushalt mit ihrem Vater aufgewachsen ist, greift diese Argumentation nicht. Stattdessen spreche "aufgrund des noch sehr geringen Alters" des Kindes "viel dafür, dass bisher noch keine tragfähige Beziehung entstanden ist, die so stabil ist, dass die Beendigung des Aufenthalts" von Cerimi "vom Kind schmerzhaft als endgültiger Verlust einer zentralen Bezugsperson wahrgenommen werden könnte". Damit hat das Gericht die Argumentation der Ausländerbehörde übernommen. Ab welchem Alter des Kindes von einer "tragfähigen" Vater-Kind-Beziehung auszugehen sei, kann die Stadt Waiblingen auf Kontext-Anfrage "nicht generell beantworten". Die Wissenschaft sieht das anders: Bindungstheorien besagen, dass spätestens ab dem achten Monat eines Kindes eine stabile Bindung entsteht und die Anwesenheit des Vaters essenziell ist.
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Thd
am 11.06.2024