CDU-Chef Friedrich Merz kennt keine Hemmungen, die Bundesregierung immer weiter vor sich her zu treiben: mit faktenfernen Argumenten, mit Ultimaten und unerfüllbaren Forderungen. Allein logistisch ist es unvorstellbar, alle Menschen, die aus Nachbarländern mit der Bitte um Asyl nach Deutschland einreisen, an den Grenzen abzuweisen. Von allen (europa-)rechtlichen Fragen abgesehen, wäre dies von der Bundespolizei gar nicht zu leisten. Außerdem hat die österreichische Bundesregierung, geführt von der bürgerlichen ÖVP – Christ:innen unter sich –, bereits angekündigt, solche Personen nicht nur nicht zurückzunehmen, sondern im Niemandsland stranden zu lassen. In Österreich wird am 29. September ein neues Parlament gewählt.
Auslöser der Hysteriespirale, an der CDU und CSU ungeniert und auch mit Blick auf die Landtagswahl in Brandenburg am 22. September immer weiter drehen, ist das Messerattentat von Solingen mit drei Toten – und dabei wohl vor allem die Herkunft des mutmaßlichen Täters: Er war aus Syrien geflüchtet. Anja Bartel, Leiterin der Geschäftsstelle des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg, kritisiert, wie inakzeptable Einzelfälle, aber eben Einzelfälle, zur Grundlage für Entscheidungen werden, die Geflüchtete grundsätzlich treffen. Als Beispiel dienen der Politologin ein Bäcker, der seine Ehefrau ermordet, ein zweiter, der aggressiv gegen seine Familie wurde, und noch ein dritter Missetäter aus diesem Berufsstand – und schon würden bundesweit Einschränkungen gegen Bäcker verhängt: "Niemand würde dem zustimmen, für Flüchtlinge aber ist das längst Alltag."
Gilda Sahebi, im Iran geborene deutsche Ärztin und Autorin, geht noch weiter. Sie beklagt seit Langem, wie auf komplexe Sachverhalte nicht mehr mit komplexer Argumentation reagiert wird: In den Geisteswissenschaften gibt es den Begriff des Meisternarrativs für herrschende Erzählungen. Übersetzt: Es muss nur lange genug eine Überforderung durch Flüchtlinge beklagt werden, und schon sind immer mehr Menschen der Meinung, dass es diese Überforderung tatsächlich gibt.
Zündeln hat Tradition in der CDU
Merz jedenfalls hämmert dem Publikum ein, dass das Dublin-Übereinkommen wieder eingehalten werden müsse. Dabei ist der Vertrag, laut dem derjenige EU-Staat für ein Asylverfahren zuständig ist, in den ein Asylbewerber zuerst eingereist ist, seit 1990 zwei Mal fortgeschrieben worden mit den römischen Ziffern II und III. Und seit April 2024 ist das Übereinkommen aufgrund des EU-Asylkompromisses Geschichte. Das wollen CDU und CSU aber partout nicht wahrhaben, im anhaltenden Bestreben, die Ampelkoalition in Bedrängnis zu bringen. Dabei ist ein umfangreiches neues EU-Regelwerk endgültig verabschiedet. Alle Mitgliedsländer haben zwei Jahre Zeit, es umzusetzen. Für Deutschland sind laut Bundesinnenministerium die notwendigen Schritte bereits eingeleitet.
Flüchtlingshilfsorganisationen beklagen die "Erosion rechtsstaatlicher Standards in der EU". Und Helfer:innen von "Pro Asyl" oder in den Flüchtlingsräten erinnern daran, dass laut dem UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR fast 70 Prozent der Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, in Nachbarländern untergebracht sind. Und dass 75 Prozent weltweit in Ländern mit niedrigeren und mittleren Einkommen leben. Als Asylbewer:innen führt der UNHCR knapp sieben Millionen Menschen. Beate Gminder, Leiterin der Generaldirektion Migration und Inneres, wirbt seit Langem und immer wieder sogar auf Einladung der CDU/CSU im Bundestag dafür, wenigstens die Inhalte zur Kenntnis zu nehmen.
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Oktarine
am 17.09.2024https://taz.de/Aktionspla…