Die Hoffnung leidet große Not. Das hört nicht auf, im Gegenteil. Nach jedem neuen Anschlag, nach Frankfurt, Mannheim oder Solingen derselbe Mechanismus: erst Betroffenheit und dann vermeintliche Patentrezepte, die schrille Erwartungen wecken und doch nicht praxistauglich sind. "Haben die keine Hobbys?", fragt Grünen-Bundeschef Omid Nouripour bitter in Richtung des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz und dessen Generalsekretär Carsten Linnemann und beklagt, dass auf diese Weise das Sicherheitsgefühl untergraben wird.
Seinen Koalitionspartner, den FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner, könnte der Grünen-Bundesvorsitzende gleich mitmeinen. Denn der überzieht ebenfalls mit der Feststellung, die Leute hätten "die Schnauze voll", weil "dieser Staat möglicherweise die Kontrolle verloren hat bei Migration und Asyl". Die "Wut-Rede" findet schnell ihren Platz in den Online-Angeboten klassischer Medien, immer häufiger ohne Einordnung oder relativierende Fakten. Ganz zu schweigen von etwas tiefer schürfenden Betrachtungen. Was aber vor allem so manche Fernsehleute nicht hindert, unentwegt von "Analyse" zu schwafeln, sobald eine:r drei zusammenhängende Sätze sagt.
Maßnahmen gegen Extremismus? Klickt nicht
Oberflächlichkeit und Schubladendenken zahlen vornehmlich bei der sogenannten "Alternative für Deutschland" ein, wie der vergangene Wahlsonntag in Sachsen und Thüringen gezeigt hat. In besonderer Weise gilt das fürs Thema Migration. Wer weiß schon, dass um die 18.500 Asylbewerber:innen im Juli 2024 in Deutschland ihren Erstantrag gestellt haben, 5.000 weniger als im Vorjahr? Wer befasst sich mit den – zugegebenermaßen komplizierten – internationalen rechtlichen Rahmenbedingungen? Wer bedenkt, wie hart und langwierig es beispielsweise ist, allein eingereiste Jugendliche und junge Männer, die seit Jahren keinen Anschluss finden in einer westlichen Gesellschaft, überhaupt nur zu identifizieren und dann an der Radikalisierung zu hindern? Und wer fragt nach, was sich gegen islamistischen Extremismus tun ließe und was bereits getan wird?
Baden-Württemberg könnte Details beisteuern. Das Land unterhält ein Kompetenzzentrum als, wie es heißt, "Teil eines Präventionsnetzwerks gegen politisch und religiös motivierten Extremismus". Gelingende Ausstiegsarbeit fuße auf evidenzbasiertem Handeln auf Grundlage der aktuellen wissenschaftlichen Forschungslage, heißt es unter vielem anderem. Gegenwärtig stehen insgesamt 2,3 Millionen Euro für mobile Beratungsprojekte zur Abkehr von radikalen Positionen, aber auch für Opfer zur Verfügung. Ob das reicht, ob hier mehr getan werden müsste, das könnte Thema einer Debatte sein.
Aber: "Das klickt nicht", sagen Entscheider:innen in Redaktionen zu Themen, die nach ausführlicherer Darstellung verlangen. Was klickt, ist die Berichterstattung über Attentate und -täter. Sich gründlich und fortlaufend mit Hintergründen und Zusammenhängen von Migration oder von Extremismus zu befassen, wird Leser:innen immer seltener zugemutet. Eine Entwöhnung, die jenes Wissensvakuum eröffnet, das auf vielen Portalen mit Meinungen über eine bloß gefühlte Realität gefüllt wird.
Kampf gegen Windmühlen
Friedrich Merz will in der Migrationspolitik nicht nur mit Schlagworten wie Messerverbot oder Grenzkontrollen punkten, sondern als Oppositionsführer sogar die Bedingungen für eine Verständigung mit der Ampel diktieren. "Keinen Millimeter" werde die Union von den eigenen Positionen abweichen, kündigt er an. Die haben es in sich: Merz fordert ultimativ umfassende Grenzkontrollen und konsequente Zurückweisungen an deutschen Grenzen.
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Hansjörg
vor 2 Wochen