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Hat ja super geklappt

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Schon blöd, dass sich die Realität immer wieder anders verhält als gedacht. Zum Beispiel beim Wahlrecht: Haben wir nicht in der Schule gelernt, dasjenige der Weimarer Republik sei einer der Totengräber der ersten deutschen Demokratie gewesen? Die Zersplitterung der Parteien habe stabile Regierungsmehrheiten unmöglich gemacht, das habe dann die Extremisten gestärkt, lautete die an Gewissheit grenzende These. Nun aber das: Ausgerechnet die Fünfprozenthürde hat bei der Landtagswahl in Thüringen am vergangenen Sonntag dafür gesorgt, dass die AfD jetzt mehr Sitze im Parlament hat, als es ihrem Stimmenanteil entspricht.

Unter Berücksichtigung aller abgegebenen Stimmen kam die AfD auf 32,8 Prozent. Aber weil mehrere Parteien – insgesamt 8,7 Prozent der Wählerstimmen – unter die Fünfprozenthürde fielen (darunter Grüne und FDP) und daher nicht für die Berechnung der Mandate relevant sind, kommt die AfD nun auf 36,4 Prozent der Sitze im Landtag, also 32 von 88. Genug für eine Sperrminorität, mit der der gesichert rechtsextreme Thüringer Landesverband nun reichlich Schaden anrichten kann. Abgesehen davon, dass die Hürde schon immer undemokratisch ist, kann sie rechten Extremisten helfen.

Auch nicht zielführend ist die Strategie, populistische Parteien durch eine Kopie ihrer Inhalte schwächen zu wollen, etwa in der Migrationspolitik, im schlichten Glauben, ihnen damit Wählerstimmen abluchsen zu können. Diverse Studien legen mittlerweile nahe: Wenn Parteien der sogenannten Mitte versuchen, rechte Positionen abzupausen, dann hilft ihnen das überhaupt nicht – im Gegenteil. So untersuchten etwa mehrere Politikwissenschaftler aus Deutschland und der Schweiz anhand der Wahl- und Umfrageergebnisse aus 13 westeuropäischen Ländern zwischen 1967 und 2017, was passiert, wenn etablierte Parteien rechte Positionen aufgreifen. "Im 'besten Fall' passiert gar nichts – und im schlimmsten Fall stärkt diese Strategie sogar noch die Rechtsaußen-Parteien", sagt Werner Krause, einer der Autoren der Studie.

Im Ranking hirnrissiger Vorschläge trotzdem noch weiter vorne: Die These von der Entzauberung durch Regierungsbeteiligung. Jüngst hat sie der Tübinger OB Boris Palmer rausgekramt: Für Thüringen könnte es richtig sein, "die AfD in Verantwortung zu nehmen und zu entzaubern". Super Idee, Boris, noch schöner hat die im Januar schon der "Welt"-Kolumnist Alan Posener geäußert: Die CDU solle "in den sauren Apfel beißen", rät er flapsig, und in den Ost-Ländern mit der AfD koalieren, "während man auf Bundesebene der Staatsräson gehorcht und der Versuchung [sic] widersteht, mit den Radikalen zu regieren". Denn, so Posener: "In den Ländern kann die AfD viel Unsinn anrichten, gefährdet aber nicht die Staatsräson und entlarvt sich entweder als Querulantenhaufen oder trennt sich von protofaschistischen Spinnern."

Auch hier hilft ein Blick in die Geschichte: Die erste Regierungsbeteiligung der NSDAP erfolgte nach der Landtagswahl 1929 in Thüringen, wo die Nazis zunächst nur sechs von 53 Sitzen im Parlament innehatten. Nach längerem Zaudern konnte sich Erwin Baum, der starke Mann des bürgerlichen Lagers, schließlich dazu durchringen, lieber mit Faschisten zu koalieren als mit Sozialdemokraten oder – noch schlimmer! – Kommunisten.

Die NSDAP bekam daraufhin das Innen- und das Bildungsministerium, "säuberte" die Verwaltung "von den roten Revolutionserscheinungen" und begann, in Thüringen "das gesamte Schulwesen in den Dienst der Erziehung des Deutschen zum fanatischen Nationalisten zu stellen", wie Adolf Hitler zufrieden protokollierte. Die Regierung überlebte keine volle Legislaturperiode, aber das Tabu der Regierungsbeteiligung einer faschistischen Partei war gebrochen. Bei der nächsten Thüringer Landtagswahl am 31. Juli 1932 steigerte die NSDAP ihren Stimmenanteil auf 42,5 Prozent und wurde so zur mit weitem Abstand stärksten Kraft – nicht obwohl, sondern weil ihre Absichten bekannt waren.

Korrektur in eigener Sache

Vergangene Woche hatte Kontext Stimmen, die forderten, geflüchtete Straftäter auch nach Afghanistan abzuschieben, als populistisch kritisiert. Dies sei gar nicht möglich, stand im Editorial zu Ausgabe 700, denn dafür bräuchte es eine Vereinbarung mit den Taliban. Das Auswärtige Amt hatte jedoch ausgeschlossen, mit einem "islamistischen Terrorregime" zu verhandeln. Damit schien der Fall klar – doch die Realität hat unsere Redaktion eines Besseren belehrt: "Es hat keine direkten Gespräche mit den Taliban gegeben", erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in Bezug auf eine zwischenzeitlich vollzogene Abschiebung von straffällig gewordenen Geflüchteten nach Afghanistan. Wie der "Spiegel" berichtet, habe die Bundesregierung stattdessen im Emirat Katar um "diskrete Schützenhilfe" für die Umsetzung gebeten. Diese Option hatte Kontext nicht auf dem Schirm.

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