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Energiewende und kommunaler Klimaschutz

Bürgermeister als Gesetzesbrecher

Energiewende und kommunaler Klimaschutz: Bürgermeister als Gesetzesbrecher
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Das Klimaschutzgesetz verpflichtet alle Kommunen in Baden-Württemberg, jährlich ihre Energieverbräuche zu melden. Doch etliche Städte und Gemeinden pfeifen auf die Meldepflicht – zum Schaden von Klima und Stadtkasse. Das soll nicht mehr länger folgenlos bleiben, fordert jetzt der Landesnaturschutzverband.

Eigentlich steht alles klipp und klar im Gesetz: Bis zum 30. Juni jeden Jahres müssen Kommunen und Landkreise in Baden-Württemberg die Energieverbräuche, also den Verbrauch von Energieträgern wie Strom, Gas und Heizöl, in ihren Rathäusern und Ämtern, Schulen und Schwimmbädern, Betriebshöfen und Werkstätten auf einer digitalen Plattform des Landes veröffentlichen. Während die Landkreise der Verpflichtung fristgerecht nachgekommen sind, pfeift die Mehrzahl der Gemeinden und Städte auf den Paragrafen 18 des Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetzes (KlimaG BW). "Von den 1.136 Kommunen und Landkreisen im Land haben bis zum Stichtag 547 ihren Energieverbrauch übermittelt", bilanzierte Mitte Juli die zuständige Klimaschutz- und Energieagentur des Landes (KEA BW). Heißt im Umkehrschluss: 589 Bürgermeister:innen brechen das Klimaschutzgesetz auf Landesebene.

Viele sind Wiederholungstäter. Bereits im Oktober 2020 wurde die Dokumentationspflicht im Rahmen einer Novelle des Klimaschutzgesetzes beschlossen. So sollten die Daten erstmals Mitte 2021 für das vorangegangene Berichtsjahr abgeliefert werden. Drei Jahre später haben sich nach einer internen Liste der KEA BW, die Kontext vorliegt, 89 Kommunen noch nicht einmal auf der Online-Plattform registriert. Darunter auch die sonst bei Energiefragen sehr fortschrittliche Gemeinde Schönau im Schwarzwald, Sitz des Vorzeige-Ökostromanbieters EWS.

Dabei ist das Ziel der Meldepflicht einleuchtend: sie soll die Kommunen sensibilisieren, die eigenen Energieverbräuche und damit sowohl Kosten wie Emissionen mehr in den Fokus zu rücken. Am besten durch ein Energiemanagementsystem (EMS), um Energie effizienter und nachhaltiger zu nutzen und damit den Klimaschutz auch auf kommunaler Ebene voranzubringen. Schließlich will Baden-Württemberg bis zum Jahr 2040 klimaneutral sein.

Eine Million Tonnen CO2 könnten eingespart werden

Dabei gehe es zunächst darum, Energieziele zu vereinbaren und natürlich am Jahresende zu schauen, ob diese erreicht wurden, beschreibt Claus Greiser von der KEA BW den Sinn jährlicher Meldungen. "Es ist gut zu wissen, was ich verbrauche und ob das in der Norm liegt", beschreibt der Leiter Bereich Energiemanagement, dessen Team die eingereichten Daten aufwendig checkt und miteinander vergleicht. Das Prüfergebnis übermitteln die KEA-Expert:innen den Rathäusern in Form eines Kommunensteckbriefs: Er zeigt auf einen Blick, wie man im Vergleich zum Landesdurchschnitt oder auch gegenüber gleichgroßen Gemeinden abschneidet.

In der Regel ließen sich ohne Geld zu investieren durch einfache Maßnahmen die Energieverbräuche um zehn bis zwanzig Prozent senken, schildert Greiser, welche Wirkung etwa eine optimierte Heizungssteuerung haben kann. Erfahrungsgemäß sparen Kommunen mit funktionierendem Energiemanagement ein Viertel bis ein Drittel ihres Energieverbrauchs und damit auch der Treibhausgasemissionen ein. Spitzenreiter wie die Landeshauptstadt Stuttgart kommen sogar auf die Hälfte ihres bisherigen Energieverbrauchs. Deutschlandweit können Kommunen mit Hilfe eines Energiemanagements rund eine Million Tonnen klimaschädliches CO2 pro Jahr einsparen.

Das Stuttgarter Rathaus mit Fotovoltaik auf dem Dach.

Vorbild Stuttgart

Die Landeshauptstadt Stuttgart implementierte bereits im Jahr 1977 ein Energiemanagementsystem, um den eigenen Energieverbrauch zu reduzieren. Mit Erfolg: Der Heizenergieverbrauch verringerte sich um die Hälfte (Stand 2022: 48 Prozent). Insgesamt belaufen sich die Einsparungen bei den Energie‐ und Wasserkosten bereits insgesamt auf 943,6 Millionen Euro. Und das Klima wird geschützt: Stand 2022 betreibt die Stadtverwaltung 258 Energieerzeugungsanlagen auf Basis erneuerbarer Energien, darunter 183 Photovoltaik‐Anlagen. Bei der Wärmeversorgung lag der Anteil erneuerbarer Energien bei 35,9 Prozent. Im Strombereich beträgt die Eigenerzeugung regenerativer Energie 11,6 Prozent. Das zeigt: Es gibt weiter viel zu tun, um das selbstgesteckte Ziel Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen.  (jl)

Im Auftrag des Landes hat die KEA BW gemeinsam mit den Energieagenturen von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen das digitale Dokumentationssystem KOM.EMS entwickelt. "KOM.EMS kann man sich vorstellen wie eine interaktive Schritt-für-Schritt-Anleitung, die einen kommunalen Mitarbeiter oder ein kommunales Energieteam zum Aufbau eines Energiemanagementsystems führt", beschreibt Projektleiter Frank Kuhlmey das Tool. Jeder einzelne Prozessschritt werde ausführlich und nachvollziehbar beschrieben. So könnten sich auch kommunale Mitarbeiter:innen, die sich zuvor nicht mit Energiemanagement auseinandergesetzt haben, schnell in dieses Thema hineinfinden und auch gute Erfolge erzielen, verspricht der Entwickler.

Die Ignoranz der Gemeinden bleibt ein Rätsel

Tatsächlich sind Meldungen auf der Plattform kein Hexenwerk. Für Kommunen, die bereits ein systematisches Energiemanagement betreiben, sei die Datenerfassung mit wenigen Arbeitsstunden zu erfüllen. Bei Kommunen, die noch kein EMS haben, hänge der Aufwand von der Zahl der Liegenschaften und der bereits vorhandenen Datenlage ab. Sind alle kommunalen Liegenschaften bereits gelistet, sei die Datenerfassung in wenigen Arbeitstagen zu machen. Nur Minuten dauere es, ein Profil bei KOM.EMS anzulegen. Die Plattform kostet auch nichts, "um eben auch hier einen möglichst großen Effekt in Sachen Klimaschutz zu erzielen", so Kuhlmey.

Warum dennoch so viele Gemeinden und Städte Pflicht und Frist ignorieren, bleibt ein Rätsel. "Wir haben alle Hebel gezogen, um die Kommunen zu unterstützen", sagt Bereichsleiter Greiser. Seine Behörde habe Veranstaltungen organisiert, Anleitungen und FAQs auf der Homepage eingestellt, eine Hotline geschaltet. "Mir fällt nichts ein, woran es liegen könnte."

Zudem heißt gemeldet noch nicht, dass alles korrekt ist. "Generell die Hälfte der gemeldeten Daten sind unvollständig oder unplausibel", so der Experte. Man kontrolliere zeitaufwendig und versuche, Fehler durch Rücksprache zu korrigieren. "Wir schreiben die Absender mit der Bitte um Stellungnahme an, bekommen aber in einem Fünftel der Fälle keine Antwort zurück", schildert Greiser das Desinteresse etlicher Kommunen.

Jetzt reichtꞌs dem Landesnaturschutzverband

Der Landesnaturschutzverband (LNV) will sich damit nicht mehr länger abfinden. "Scheinbar interessiert sich ein erheblicher Teil der Kommunen nicht für ihre Energieverbräuche und Einsparpotenziale, trotz der hohen Energiepreise", sagt Gerhard Bronner, Vorsitzender des Dachverbands von 37 Naturschutzvereinen im Südwesten. "Darunter sind mit Karlsruhe, Reutlingen, Leonberg, Heidenheim, Aalen, Offenburg und Schwäbisch Gmünd auch große Kommunen, von denen man anderes erwartet hätte." Besonders verwerflich findet Bronner, sich noch nicht einmal registriert zu haben.

Für die meldefaulen schwarzen Schafe blieb der Gesetzesverstoß bislang ohne Folgen: Sanktionen verhängte die zuständige Kommunalaufsicht noch in keinem Fall. "Jeder Betrieb und jeder Steuerzahler, der seine Steuererklärung nicht rechtzeitig abgibt, riskiert einen Mahnbrief des Finanzamtes. Ist Energie und Klimaschutz ein so nachrangiges Thema, dass Versäumnisse hier hingenommen werden?", fragt LNV-Chef Bronner.

Mit Laissez-faire soll jetzt Schluss sein, fordern die Naturschützer in einem Brandbrief an das CDU-regierte Innenministerium. Auf Kontext-Nachfrage bestätigt ein Sprecher von Innenminister Thomas Strobl den Eingang des Schreibens, sieht das Ministerium allerdings nicht zuständig und schiebt den schwarzen Peter an die Regierungspräsidien und Landratsämter weiter. "Das Innenministerium hat das Schreiben des Landesnaturschutzverbands Baden-Württemberg zum Anlass genommen, die Rechtsaufsichtsbehörden nochmals auf die o. g. Bestimmungen hinzuweisen", heißt es. Reagiert hat dagegen bereits die grüne Umweltministerin Thekla Walker: Säumige Kommunen durften zuletzt keine Gelder des Klimaschutz-Plus-Förderprogramms beantragen, etwa um zusätzliches Personal im Rathaus damit zu finanzieren.   

Kontext hat im Karlsruher Rathaus wegen säumiger Meldung nachgefragt. In der badischen Großstadt, in der pikanterweise die KEA BW ihren Sitz hat, sieht man sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. "Die Stadt Karlsruhe hat die Energieverbrauchsdaten der Jahre 2020 bis 2022 jährlich eingereicht. Dass die Abgabe meist nicht bis zum 30. Juni erfolgt, liegt an dem Umstand, dass ein Teil der Energieverbrauchsdaten jedes Jahr erst im Herbst vorliegen", teilt ein Sprecher von Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) mit. Deshalb sei in Absprache mit der KEA BW für die Abgabe der Daten des Jahres 2023 eine Fristverlängerung bis Ende September 2024 abgestimmt. Die doppelt so große Landeshauptstadt Stuttgart lieferte dagegen fristgerecht. Und warum die Stadt Schönau im Schwarzwald noch nicht einmal auf der Meldeplattform registriert ist, wollte Kontext von deren Bürgermeister Peter Schelshorn (CDU) wissen. Der ließ die Anfrage unbeantwortet.

Mittlerweile meldeten einige Kommunen ihre Daten nach. Bis Redaktionsschluss haben 679 von 1.101 Gemeinden in Baden-Württemberg ihre Energieverbräuche online übermittelt.

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7 Kommentare verfügbar

  • Peter Herholtz
    am 12.09.2024
    Antworten
    Bei dem 'Rätsel der Ignoranz' ist mir ein Rätsel, warum der Autor offenbar in keinem Ort nachgefragt hat - vielleicht hätte ja jemand geantwortet?!
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