Es ist wie so oft im Klima- und Umweltschutz: Die Politik formuliert ehrgeizige Ziele – die stets verfehlt werden. So auch bei Landschaft und Boden. Im Jahr 2010 beschloss die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung, den täglichen Flächenverbrauch innerhalb eines Jahrzehnts auf 30 Hektar (ha) zu drücken. Damals wurden pro Tag 77 Hektar Landschaft für Gewerbe, Wohnungsbau, Verkehr und Erholungsflächen in Deutschland verbraucht. Doch derzeit sind es noch immer täglich rund 52 Hektar. "Das entspricht etwa einem Einfamilienhaus pro Minute. Dagegen dauert es 2.000 Jahre, bis zehn Zentimeter fruchtbarer Boden entstehen", so der Naturschutzbund (Nabu).
Nicht besser sieht es in Baden-Württemberg aus. Auch hier beschloss vor zwölf Jahren die damalige CDU-geführte Landesregierung, dass bis 2020 täglich nur noch 3 Hektar Landschaft verlorengehen sollen. Die amtierende grün-schwarze schrieb im Koalitionsvertrag 2021 gar als "ambitioniertes Ziel: max. 2,5 Hektar pro Tag". Bis 2035 soll im Südwesten die "Netto-Null" beim Flächenverbrauch stehen. Doch seit Jahren pendelt der Wert um die 5 Hektar und macht keine Anstalten zu sinken. Das Statistische Landesamt meldete vielmehr mit 6,2 Hektar in 2021 ein neues Zehnjahreshoch. "Die Landesregierung hat ein ambitioniertes Flächensparziel beschlossen, tut aber bisher nichts, um es auch zu erreichen", kritisiert Gerhard Bronner, Vorsitzender des Landesnaturschutzverbands (LNV).
Dabei ist Handeln angesagt. "Die letzten zwei Generationen haben so viel Fläche verbraucht, wie die 80 Generationen vor ihnen", so der LNV-Chef beim "Zukunftsforum Naturschutz" Anfang Dezember im Stuttgarter Hospitalhof. So ist die Bevölkerung seit 1970 zwar um 24 Prozent gewachsen, die Siedlungsfläche hat sich aber im gleichen Zeitraum um 100 Prozent erhöht. "Sie wächst damit viermal so schnell wie die Bevölkerung", verdeutlicht er. Förderprogramme, Information und Beratung hätten zwar den galoppierenden Flächenfraß um die Jahrtausendwende ausgebremst. Damals gingen täglich noch rund 12 Hektar Landschaft täglich hops. "Aber seit sieben Jahren wurden keine weiteren Erfolge erzielt", sagt Bronner und kritisiert Gegenmaßnahmen als zu sanft.
Kluge Bestandsverdichtung statt neuer Baugebiete
Dramatisch sei auch, dass der meiste Flächenverbrauch nicht etwa in den Ballungsräumen stattfinde, wo Wohnungsnot herrscht, sondern in ländlichen Gebieten. "Etwa in Oberschwaben und Hohenlohe, wo man großzügig Fläche für neue Einfamilienhaus-Baugebiete verschwendet, obwohl die Dörfer voller Baulücken und Leerstände sind", so Bronner. Dabei passen Gebäudebestand und Bevölkerungsstruktur nicht mehr zueinander. 85,3 Prozent des Bestands sind Ein- und Zwei-Familien-Häuser, während Ein- und Zwei-Personenhaushalte nur 72 Prozent der Haushalte ausmachen, so Markus Müller von der Architektenkammer Baden-Württemberg. "Wir sind am Ende der Verteilungsoptionen", sagt er und plädiert für intelligente Bestandsverdichtung statt neuer Ortsrandbaugebiete.
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Reinhard Gunst
am 05.01.2023