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Ermittlungen der Staatsanwaltschaft

Die Filztalbrücke

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft: Die Filztalbrücke
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Die Staatsanwaltschaft bestätigt Ermittlungen gegen sechs Unternehmen, die am Bau der Filstalbrücke beteiligt waren. Der Verdacht: Es wurden wohl mehr Arbeitskräfte und mehr Material abgerechnet als tatsächlich benötigt. Zuerst hatte der SWR darüber berichtet.

Mitte Dezember wurde die Filstalbrücke feierlich eröffnet, ein Bauprojekt für den Schienenverkehr, das als zentraler Bestandteil der Neubaustrecke Ulm-Wendlingen gilt. Die Doppel-Brücke erstreckt sich über das Tal und verbindet zwei Tunnel miteinander. Das Bauwerk ist tatsächlich sehr filigran ausgefallen, und rechtzeitig fertiggestellt wurde es auch. Wie sich jetzt herausgestellt hat, hatte das seinen Preis: Die Konstruktion ist um ein Mehrfaches teurer geworden als geplant. Wäre schon bei der Eröffnung bekannt gewesen, dass das Projekt wohl mindestens 161 Millionen Euro kostet und nicht wie veranschlagt 50 Millionen, wäre die Feierlaune wohl gedämpfter gewesen.

Zudem ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Stuttgart in Zusammenhang mit dem Bau der Brücke. Im Februar vergangenen Jahres haben an elf Orten Durchsuchungen stattgefunden. Die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass sich ihre Ermittlungen gegen sechs Personen richten, die für sechs verschiedene Unternehmen tätig sind. Die Deutsche Bahn ist allerdings nicht von den Ermittlungen betroffen. Als Vorwürfe stehen unter anderem im Raum, dass Bautagebücher manipuliert und mehr Material und Arbeitskräfte abgerechnet wurden als tatsächlich eingesetzt waren.

Es passiert häufiger, dass Großbauwerke viel teurer werden als geplant. Was lief im Fall der Filstalbrücke schief? Es ist eine komplizierte Lage. Das Bauprojekt wurde ordnungsgemäß ausgeschrieben, allerdings sollen sich von den ursprünglich sieben interessierten Unternehmen fünf rasch verabschiedet haben, da ihnen das Projekt zu schwierig erschien. Tatsächlich ergaben sich im Bauablauf dann auch Schwierigkeiten. Die Frage, wer die Mehrkosten übernehmen müsse, sorgte nach Angaben eines Insiders für Verwerfungen bei der Bahn. Auf der einen Seite stand die Position, dass die Mehrkosten von den Auftragnehmern bezahlt werden müssten, also nicht vom Auftraggeber und somit im Endeffekt von den Steuerzahlenden. Auf der anderen Seite stand das Interesse der Bahn, die Brücke termingerecht fertigzustellen. Was tun?

Einladung zur Selbstbedienung?

Als Lösung wurde eine neue vertragliche Regelung mit dem Bundesverkehrsministerium abgestimmt, ein so genannter Cost-plus-Fee-Vertrag. Diese Regelung sieht vor, dass sämtliche Mehrkosten vom Auftraggeber übernommen werden, der Auftragnehmer dafür die rechtzeitige Fertigstellung garantiert. Im Falle der Filstalbrücke kommen die Gelder dafür im Endeffekt aus dem Steuersäckel, denn die Zuschüsse des Landes Baden-Württemberg und der EU sind gedeckelt, die des Bundes nicht. Wie hoch die Mehrkosten nun tatsächlich ausfallen, bestätigt im Moment niemand. In einer vom SWR eingesehenen Vorlage ist von einer Kalkulation von 161 Millionen die Rede. Quellen aus Bahnkreisen sprechen dagegen von rund 200 Millionen Euro. Die Deutsche Bahn teilt mit, dass eine Schlussabrechnung noch nicht vorliege, die Kosten aber in den genehmigten Gesamtkosten für die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm von 3,985 Milliarden Euro enthalten seien.

Inwiefern diese veränderte vertragliche Regelung zu den Mehrkosten beigetragen hat, werden die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart aufzeigen. Die Behörde untersucht, ob zu hohe Beträge abgerechnet worden sind. Dafür sind die Bautagebücher eine wichtige Quelle. In diesen inzwischen digital geführten Dateien werden sämtliche Entwicklungen von Bauprojekten festgehalten. Neben eingesetzten Arbeitskräften und Material werden auch Baufortschritte und Mängel aufgeführt. Ob es hier Manipulationen gegeben hat, ist ebenfalls Gegenstand der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart.

Insider sagen jedenfalls, die Cost-plus-Fee-Regelung sei eine Einladung zur Selbstbedienung. Die Deutsche Presseagentur (dpa) zitiert einen Sprecher der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, dem zufolge die Behörde von einem Mindestschaden im mittleren sechsstelligen Bereich ausgehe. Aktuell werden die beschlagnahmten Unterlagen und Dokumente weiter ausgewertet. Wann die Ermittlungen abgeschlossen sind und ob man dann auch den tatsächlich entstandenen Schaden beziffern kann, ist noch nicht absehbar. 

Stuttgart 21 und die damit verbundenen Projekte beschäftigen die Ermittlungsbehörden also weiter. Bereits im vergangenen Herbst hatte die Behörde einen Prüfvorgang eingeleitet, nachdem zwei ehemalige Bahn-Mitarbeiter den Vorwurf erhoben hatten, im Fall der Tieferlegung des Hauptbahnhofs sei es zu Korruption gekommen. Die "Financial Times" hatte über die Beschuldigung berichtet und Schätzungen aus Bahnkreisen überliefert, denen zufolge es dort ebenfalls unnötige Mehrkosten gegeben habe. In dem Artikel werden diese auf bis zu 600 Millionen Euro beziffert.


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