Höhlenforscher sind ein besonders Volk. Sie graben sich durch kleinste Spalten, um unterirdische Welten zu erforschen. Sie zwängen sich ohne Platzangst durch enge Röhren, um zu schauen, was dahinter alles kreucht und fleucht und gedeiht. Sie sind Wissenschaftler ohne wissenschaftliche Ausbildung oder seit ihrer Kindheit fasziniert von Höhlen und haben dann Geologie studiert. Auf der Schwäbischen Alb ist diese Spezies Mensch besonders häufig anzutreffen, weil es dort im Karst 2800 Höhlen gibt – und das sind nur die registrierten. Der Traum jedes Höhlenforschers ist es jedoch, neue, noch unerforschte Höhlen zu entdecken. Es ist der Traum vom märchenhaften Mörikedom, dem riesigen Hohlraum unter dem Blautopf.
Die Bahn ist eine besonderes Unternehmen. Nicht nur, weil sie außer dem Bahngeschäft in Deutschland auch einen Weinberg in Australien unterhält und in London den Stadtbusverkehr betreibt. Sondern auch, weil sie ungeachtet explodierender Kosten mit unerschütterlicher Beharrlichkeit den Stuttgarter Bahnhof tiefer legen und ihn schneller mit dem Ulmer Münster verbinden will. Seit Mai 2010 baut die Bahn bereits an der wenig umstrittenen Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm, deren Kosten inzwischen auf 3,25 Milliarden Euro geklettert sind. Über die neue Trasse von knapp 60 Kilometer sollen die Züge einmal mit 250 Sachen über die Schwäbische Alb brausen. Deshalb gräbt sich die Bahn in Tunneln in das Gebirge, baut Brücken, legt Röhren und hofft, dass ihr Zeitplan nicht in lästigen Karstspalten versinkt. Denn was für die Höhlenforscher ein Traum ist, ist für die Bahn ein Horror: Auf eine Geisterbahn mitten durch eine Höhlenlandschaft aus Tropfsteinen hat beim Bauherrn keiner Lust – auch wenn die Projektleitung und die Bauüberwachung darüber gerne mal Witze reißen.
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Ralf Laternser
am 06.12.2013