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Rodung in Bretten

Mein Freund, der Baum

Rodung in Bretten: Mein Freund, der Baum
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Mit einem dubiosen Trick haben die Stadt Bretten und das Landratsamt Karlsruhe eine Streuobstwiese roden lassen, um Investoren mit neuen Gewerbeflächen zu ködern. Eine Gesetzesänderung von 2020 hätte genau so etwas verhindern sollen. Grüne Landespolitiker zeigen sich verärgert.

Wären die Zeiten und das Thema nicht so ernst, hätte der Vorgang alle Zutaten einer klamaukigen Polit-Satire, die sich musikalisch wunderbar mit einem Hit der späten 1960er-Jahre untermalen ließe: "Mein Freund, der Baum" von Alexandra. Der Oberbürgermeister von Bretten, einer Stadt im badischen Kraichgau, wollte im Streit um die Erweiterung eines Gewerbegebiets endlich Fakten schaffen, mit Blick auf potenzielle Investoren und um Abwanderung zu verhindern. Doch dem Vorhaben stand eine Streuobstwiese im Weg.

Das Landratsamt Karlsruhe will ebenfalls das vergrößerte Gewerbegebiet – und weiß, dass E-Mails viel schneller sind als der gute alte Postweg. Also bekommt die Stadt Bretten die endgültige Genehmigung für die Baumrodungen über den digitalen Weg sofort und die Sägen werden angeworfen.

Nur ein einziger von 40 alten Obstbäumen auf dem rund 12.000 Quadratmeter großen Gelände steht noch. Ihn konnten zwei Naturschützer retten, nachdem sie der Bescheid des Landratsamts endlich per Brief erreichte – eigentlich hätte er ihnen zeitgleich mit der Stadt zugestellt werden müssen, damit genug Zeit bleibt, Widerspruch einzulegen. So sieht es jedenfalls das Verwaltungsgericht Karlsruhe, das den Vorgang geprüft hat. Und obendrein bemängelt es, dass die Genehmigung für die Rodung fehlerhaft sei. Dadurch bestünden "ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit".

Johannes Enssle, Landeschef des Naturschutzbunds (Nabu) und einer der beiden Baumretter, nennt den Beschluss der Karlsruher Richter:innen vom 23. Dezember ein "Weihnachtgeschenk". Denn mehr als 40 Widersprüche sind im ganzen Land erhoben worden gegen den Einschlag alter Streuobstbestände, berichtet er.

Ein Urteil für den Naturschutz

In seinem Urteil betont das Verwaltungsgericht in feinstem Jurist:innen-Deutsch, "eine weitere Vollziehung der streitgegenständlichen Umwandlungsgenehmigung in Gestalt einer Rodung und weitgehenden Versiegelung der betroffenen Streuobstflächen würde deren vollständige Umnutzung und insoweit einen unabänderlichen Eingriff in den Naturhaushalt bewirken". Soll heißen: Wenn Streuobstwiesen vernichtet und zugebaut werden, ist die Natur kaputt. Das spreche, so das Gericht, "für ein überwiegendes Aufschubinteresse" des Nabu, in dem übrigens auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) Mitglied ist.

Betroffene Kommunalpolitiker:innen sollten sich die Urteilsbegründung genau anschauen. Mit Alexandras Liedzeile "Du fielst zu früh, ich kam zu spät" soll jedenfalls ein für alle Mal Schluss sein. Manchen Ärger haben sich die Verantwortlichen in Bretten und im Landratsamt Karlsruhe gerade deshalb eingehandelt. Ihre Winkelzüge sorgten für einen Beschluss, der – auf fast 70 Seiten dargelegt – die Spielräume im Interessenkonflikt zwischen Gewerbeansiedlung und Naturschutz deutlich zugunsten des Letzteren einengt. Und der sich auf ein Landesgesetz stützt, das die Erhaltung eines Streuobstbestands verlangt, wenn dies in überwiegendem öffentlichen Interesse liegt. Für diese Fälle leitet die Karlsruher Eilentscheidung in Kombination mit früheren Urteilen ab, dass "der Behörde bei der Gewichtung der einander widerstreitenden Interessen weder ein Ermessen, noch ein Beurteilungsspielraum zukommt".

Naturschutzverbände können also zufrieden sein. "Bevor so was Schule macht", sagt Enssle, "wollten wir klären, wer das Gesetz falsch versteht: wir oder das Landratsamt." Auf den traditionellen Naturschutztagen zum Jahresbeginn in Radolfzell am Bodensee wird das weitere Vorgehen diskutiert. Seinen Vorgänger Andre Baumann hat Enssle prinzipiell auf seiner Seite. Der grüne Umweltstaatssekretär sieht sich ebenfalls in seiner Rechtsauffassung bestätigt, denn Streuobstbestände seien "eine einzigartige Kostbarkeit mit hohem Wert für unsere Kulturlandschaft, ein unschätzbarer Lebensraum für bis zu 6.000 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten, und sie gehören zu den artenreichsten Biotopen in Mitteleuropa."

Der Schutz für Streuobstwiesen wirkt nicht

Ohnehin sind die Bestände arg geschrumpft in Baden-Württemberg, seit Anfang der 1980er-Jahre die damalige CDU-Regierung die bis dahin tatsächlich üblichen Rodungsprämien strich und die Weichen auf Erhalt stellen wollte. Gelungen ist das nicht. Laut der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg gab es 2020 rund sieben Millionen Streuobstbäume zwischen Main und Bodensee, drei Jahrzehnte früher waren es noch gut elf Millionen. Noch immer handelt es sich aber um die europaweit größten zusammenhängenden Flächen. Im Zuge der Kompromisse, die von der Landesregierung mit ausverhandelt wurden, um das Volksbegehren "Rettet die Bienen" zu verhindern und ihm zugleich zu entsprechen, wurden sie unter eben jenen ganz besonders strengen Schutz gestellt.

Trotzdem und gerade deshalb lässt die Landesregierung in einer ersten Reaktion zumindest auch aufhorchen. Denn Baumann kündigt an, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gründlich geprüft wird, um zu sehen, ob es einen Änderungsbedarf bei der bestehenden Vorschrift geben muss. Und dann fällt noch ein bemerkenswerter Satz: "Schlussendlich entscheidet der Landtag über Gesetzesänderungen." Beim strengen Schutz könnte es bleiben – aber die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchsverfahrens könnte verkürzt und damit verwässert werden. "Im Umweltministerium wissen wir unsere Anliegen in guten Händen", heißt es unter Naturschützer:innen – für das Staatsministerium gelte diese Zuversicht aber nicht mehr.

Eine Befürchtung liegt nahe: Bürger- und Oberbürgermeister:innen winken wie in Bretten damit, dass "die Firmen davonmarschieren", und schon könnten Grüne ins Grübeln kommen, ob tatsächlich der Obstbaum ihr bester Freund ist. Sieben grüne Abgeordnete wollen daran überhaupt keinen Zweifel aufkommen lassen, haben einen Offenen Brief an Brettens Oberbürgermeister Martin Wolff (parteilos) und den Landrat Christoph Schnaudigel (CDU) geschrieben. Dabei bringen sie sogar eine Verschärfung der Vorschriften ins Spiel: "Im Juli 2020 haben wir als Abgeordnete des Landtags von Baden-Württemberg nicht unsere Hände für ein Gesetz gehoben, das seine Wirkung verfehlt, weil es von den Landratsämtern und Gemeinden allzu leichtfertig 'weggewogen' wird. Ihr Vorgehen ist für uns daher ein konkreter Anlass, um zu prüfen, ob und wie eine unmissverständliche Formulierung (…) erforderlich ist."

Der Fortgang der Dinge wird Maßstab in mehrfacher Hinsicht sein. Vor allem wenn die Bäume im Frühjahr blühen, ist deutlich zu erkennen, wie nahe sie teils neben Siedlungs- und/oder Gewerbegebieten stehen – und wie unausweichlich deshalb die Auseinandersetzungen über den Umgang mit ihnen sind. Bisher durfte man die Grünen dabei im konservativen, also auf Erhaltung pochenden Lager vermuten. Kein "Fähnchen im Wind" zu sein, hatte der Ministerpräsident zum 40. Geburtstag seiner Partei ebendieser als Grundzug zugeschrieben: "Das ist unser Rezept, die Menschen im Land schätzen das, deshalb schenken sie uns ihr Vertrauen, und deshalb sind wir heute die Baden-Württemberg-Partei."


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3 Kommentare verfügbar

  • Gerd Ribbink
    am 04.01.2023
    Antworten
    Das Bild hat meiner Meinung sehr wenig mit Obst zu tun, da es sich um ein dicke gefällte Eiche handelt, die eine Streuobstwiese nur beschattet .
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