Tief unter dem kleinen Tross, der mit gehörigem Abstand den Ministerpräsidenten begleitet, die noch schmale Donau, rechts der Amalienfelsen und nirgends dieser scharlachrote Pilz. Gerade verteidigt er – mit giftgrüner FFP2-Maske, beschlagener Brille und doch unentwegt die Böschung mit Blicken absuchend – seine Kritik an der Euro-7-Norm der EU und warum es so wenig Sinn hat, die Daumenschrauben in der Abgasdebatte weiter anzuziehen: "Wenn ich noch den letzten Hof an die Kläranlage anschließe, hat das keinen Effekt mehr fürs saubere Wasser." Er wolle die Autoindustrie "transformieren, aber nicht ruinieren", sagt er, der im Guten wie im Bösen als Super-Realo verschrien ist.
Als im Spätwintergrün eine zinnoberfarbene Blüte aufblitzt, die gar keine ist, wird der argumentative Ritt durchs EU-Grenzwert-Regime abrupt unterbrochen. "So, jetzt haben wir ihn", sagt Kretschmann, dessen Leidenschaft schon so viele Fraktions- und andere Wanderungen gesprengt oder den Terminplan von Delegationsreisen durcheinandergebracht hat. Im Westjordanland auf einem in Laienaugen eher kahlen Berg oder in den Wäldern Kaliforniens erntet er damit höchste Bewunderung unter den Gastgebern. Jetzt spricht er von diesem Pilz, den er bei der ersten Begegnung für ein weggeworfenes Bonbonpapier hielt, "weil die Farbe bei uns in der Natur überhaupt nicht vorkommt, sondern nur bei Exoten aus Kanada".
Sein Pragmatismus kommt bei Klimaschützern nicht an
Diese Art Kelchbecherling ist extrem selten ("eine botanische Rarität"), gehört zu den bedrohten Arten und ist ausgerechnet hier im Fürstlichen Park von Inzigkofen massenhaft anzutreffen. "Wenn ich ihn sehe, lacht mein Herz", sagt der einstige Oberstudienrat und legt in seinem typischen Pädagogenduktus nach, als er merkt, dass die Inbrunst noch nicht wirklich übergesprungen ist auf seine Weggefährten. "Sie müssen das so sehen: Wenn Sie den gesehen haben, dann ist der Tag gerettet." Wie so manche seiner Wochenenden. Denn hier wandert er regelmäßig, ohne Kameras und Fotografen: "Manchmal kriege ich aber richtig Probleme, weil ich gar nicht unbefangen durch die Gegend gehen kann, sondern immer gucke, ob ich was entdecken kann, aber das kriege ich nicht mehr weg."
Er will nicht bloß suchen, sondern vor allem finden, und zwar Lösungen. Und zwar mit einem Pragmatismus, der ihn sowohl unter Kopfbahnhof-BefürworterInnen als auch – noch gefährlicher für seine Grünen – unter KlimaschützerInnen in Verruf gebracht hat. Diesen Pragmatismus kriegt er ebenfalls nicht mehr weg. Viele Geschichten kann er erzählen, die ihn als einen darstellen sollen, der sture Prinzipienreiterei nicht mag. Überzeugungen sind für ihn gut, wenn aber Dogmen daraus werden, die sich nicht mehr darum kümmern, dass der Mensch aus krummem Holze ist, wird er störrisch.
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Wolfgang Jaworek
am 04.03.2021