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S-21-Sonderlenkungskreis

Anfang Juli sehen wir weiter

S-21-Sonderlenkungskreis: Anfang Juli sehen wir weiter
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Knapp einen Monat nachdem die für Ende 2026 geplante Teilinbetriebnahme für Stuttgart 21 abgesagt wurde, kam die neue Bahnchefin Evelyn Palla zu einem Sonderlenkungskreis nach Stuttgart. Neue Zeitpläne will sie erst Mitte nächsten Jahres vorlegen, jetzt werde erstmal geprüft. Einige Hoffnungen enttäuschte sie bereits.

Warum die verschobene Eröffnung von Stuttgart 21 für Bahnreisende nicht unbedingt eine schlechte Nachricht ist, das zeigt sich sehr deutlich kurz nach der Sondersitzung des Lenkungskreises der S-21-Projektpartner am vergangenen Montag am Stuttgarter Flughafen. Eben noch hat Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) gesagt, es sei ein "Kollateralnutzen" der Verschiebung, dass die Gäubahn nun länger an den Hauptbahnhof angebunden bleibe, da meldet die Nahverkehrs-App – mal wieder – eine Stammstreckensperrung der S-Bahn. Nun muss die S-Bahn ab Bahnhof Stuttgart-Vaihingen auf die Gleise der Gäubahn ausweichen, um wieder in die Innenstadt, zum Hauptbahnhof (oberirdisch) zu kommen. Das passiert oft, um die 100-mal im Jahr, ermittelte vor einigen Jahren eine Untersuchung des Landesverkehrsministeriums. Entsprechend ist die Gäubahn beziehungsweise deren letzter – Panoramabahn genannter – Streckenabschnitt zentral für das Störfallkonzept der S-Bahn. Doch irgendwann soll die Gäubahn wegen S 21 vom Hauptbahnhof abgekoppelt werden, und das alternative Notfallkonzept via Fildertunnel in den Tiefbahnhof halten viele Kritiker für einen schlechten Scherz.

Anberaumt wurde die Sitzung der Projektpartner, weil die neue Bahnchefin Evelyn Palla vor knapp einem Monat verkündet hatte, dass Stuttgart 21 nicht wie bislang geplant ab Ende 2026 in Betrieb gehen werde. Das war prinzipiell nicht überraschend, denn Verschiebungen gab es im Laufe der letzten 15 Jahre seit Baustart in schöner Regelmäßigkeit. Aber zu diesem konkreten Zeitpunkt erstaunte es doch ein wenig. Denn noch im vergangenen Juli wurde auf einem Sonderlenkungskreis ein angepasster Zeitplan verkündet, und beim darauf folgenden regulären Lenkungskreis im Oktober herrschte wegen des vermeintlich so gut und reibungslos laufenden Projektfortschritts derart eitel Sonnenschein zwischen den Projektpartnern wie selten in dem Gremium. Bis einen Monat später wieder alles anders war. Dazu kam, dass Palla, anders als ihre Vorgänger, kein neues Inbetriebnahmedatum nennen will.

Katzentisch für Hermann und Drescher

Entsprechend waren für diese Sondersitzung keine Harmonie-Festspiele zu erwarten. Ab 11 Uhr haben die Projektpartner getagt, um 12:45 Uhr soll die Pressekonferenz im Raum "SkyLand" (ohne "ä") im Terminal 3 des Stuttgarter Flughafens losgehen, Vertreter von Presse und Projektpartnern drängen sich dort schon lange im Voraus. Vor dem Eingangsbereich haben sich etwa drei Dutzend Projektgegner:innen zu einer Protestaktion mit Bannern und Musikbegleitung versammelt, von der die tagenden Projektpartner wohl wenig mitbekommen.

Nacheinander trudeln erst Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU), Regionalpräsident Rainer Wieland (CDU) und dann gemeinsam Palla mit Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ein. Zu viert gruppieren sie sich an den langen Tisch vor der Presse, während Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und der Geschäftsführer der S-21-Projektgesellschaft Olaf Drescher an einer Art Katzentisch links davon stehen müssen, eine etwas kuriose Anordnung.

Die letzten 14 Jahre saß immer Hermann als Vertreter des Landes in der Mitte, neben ihm der jeweilige Infrastruktur- und Technikvorstand der Bahn, der erst Volker Kefer hieß, dann Ronald Pofalla, dann Berthold Huber, ehe dieser Posten kurz nach Pallas Berufung im September abgeschafft wurde. Dass nun erstmals die DB- und die Landesspitze hier vertreten sind, soll wohl ein Zeichen sein, wie ernst die Projektpartner die Situation betrachten, wie entschlossen sie auf die "ausgesprochen misslichen Nachrichten" reagieren, wie Kretschmann es in seinem kurzen Eingangsstatement nennt, dabei maximal gravitätisch blickend. Man sei sich einig gewesen, "dass wir eine ehrliche Bestandsaufnahme brauchen", deswegen begrüße er, dass Palla "absolute Transparenz" als oberste Priorität bezeichnet habe.

Angekündigt: Eine umfassende Revision

Ja, woran hat es denn gelegen? Palla spricht zehn Minuten, wirkt sehr konzentriert und kontrolliert, nur gelegentlich einen Hauch angespannt. Die Bahn nehme die Probleme des Projekts nicht auf die leichte Schulter, sagt die Bahnchefin, sondern "sehr, sehr ernst", und sie sei heute hier, "um eine lückenlose Aufklärung sicherzustellen". Niemand sei glücklich über diese Situation, aber allen Beteiligten sei klar gewesen, dass besonders die Digitalisierung des kompletten Bahnknotens, die Ausstattung mit dem Zugleit- und Sicherungssystem ETCS, ein "komplexes Vorhaben" und "mit Risiken verbunden" sei. Die haben sich nun wohl materialisiert, "insbesondere haben sich erhebliche Terminrisiken bei der Entwicklung und Zulassung auf Seiten des Auftraggebers Hitachi gezeigt". Deswegen sei man zum Ergebnis gekommen, dass eine neue Planung notwendig sei.

Palla sagt, sie "möchte nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen", stattdessen werde die Bahn das Projekt S 21 in den kommenden Wochen "im Rahmen einer umfassenden Revision überprüfen". Dafür würden 15 Mitarbeitende der Konzernrevision "zahlreiche Interviews durchführen", "gemeinsam mit Bauingenieuren und Kaufleuten werden tausende Seiten Akten geprüft werden", und es werde auch die "Leistungsfähigkeit des Dienstleisters Hitachi" überprüft, nachdem dieser zugesagte Termine wiederholt nicht eingehalten habe. Auf Fragen wie die eines SWR-Journalisten, wonach die Verzögerung nicht nur an der Problemen mit Hitachi hängen, sondern es in vielen Bereichen hake, bleibt Palla sehr vage: "Natürlich gibt es auch bei anderen Vorhaben kritische Terminsetzungen. Aber das wird jetzt Gegenstand der Untersuchung sein."

Ganz wichtig ist Palla – das hatte sie schon im Vorfeld betont –, "keinen Schnellschuss" zu machen. Die Überprüfung werde nun mehrere Wochen dauern, mindestens bis Ende Februar, und erst wenn die Untersuchungsergebnisse vorlägen und man sich mit allen Dienstleistern abgestimmt habe, wolle man einen neuen Inbetriebnahmetermin veröffentlichen. Spätestens aber Mitte 2026 – später fällt auch "Anfang Juli" – solle ein neues Inbetriebnahmekonzept vorliegen. Bereits jetzt will sie auf keinen Fall ein neues Datum nennen, die konkreteste Aussage, zu der sie sich hinreißen lässt, ist, dass sie sich vor Ende 2027 beim besten Willen nicht vorstellen könne.

Projekt soll besser gemanagt werden

Im Vorfeld hatte Palla auch bei einigen Projektkritikern gewisse Hoffnungen genährt. Ihre Ankündigungen, "keinen Stein auf dem anderen zu lassen", hätten ja auch so gedeutet werden können, dass sie offen ist, einige inhaltliche Verheißungen von S 21 grundsätzlich infrage zu stellen, etwa dessen überzogenes Versprechen einer Kapazitätssteigerung und aus bahntechnischer Sicht für einen Erhalt der bestehenden Kopfbahnhofgleise zu plädieren. In einem offenen Brief hatte das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 Palla denn auch ermuntert, "sich nicht zu einem einfachen 'Weiter so' drängen" zu lassen.

Doch darauf deutet am Montag nichts hin. Palla sagt etwa, bei der Überprüfung "analysieren wir insbesondere, was wir im Projektmanagement gegebenenfalls anders machen müssen als in der Vergangenheit". Es geht ihr also um ein besseres Managen des Projekts, nicht darum, es infrage zu stellen, zu verändern oder zu modifizieren. Es geht um die Prozesse der Umsetzung, nicht um die Substanz des Umzusetzenden. Wie sehr sie inhaltlich zum Projekt steht, zeigen Formulierungen wie: "Das Land will einen besseren Regionalverkehr, der ist nur mit Stuttgart 21 möglich." Oder: "Nur dank Stuttgart 21 wird der Deutschlandtakt im Südwesten möglich und nur dank Stuttgart 21 können wir über weitere Zukunftsprojekte für eine starke Schiene sprechen". Das ist letztlich leere PR-Rhetorik; dass etwa Stuttgart 21 eher ein Risiko für den Deutschlandtakt ist, legte der damalige VCD-Landesvorsitzende Matthias Lieb schon vor einigen Jahren in Kontext dar.

Pfaffensteigtunnel wird nicht überprüft

Tatsächlich entpuppen sich nun einige Äußerungen Pallas als heiße Luft. In einem Interview mit der "Bild am Sonntag" wurde sie noch am 7. Dezember zitiert, bei den anstehenden Überprüfungen müsse auch "das Ziel sein, dass sich die Fehler nicht bei weiteren Großprojekten wiederholen". Ein solches Großprojekt ist der Pfaffensteigtunnel, der 2020 als Ersatz für die nicht genehmigungsfähige S-21-Planung des Gäubahnanschlusses aus dem Hut gezaubert wurde. Er soll bereits jetzt knapp zwei Milliarden Euro kosten und birgt enorme Kostensteigerungsrisiken (Kontext berichtete hier und hier), darüber hinaus bekommt er ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis nur durch die trickreiche Konstruktion, mit anderen weit lohnenderen Projekten in ein Paket gepackt worden zu sein. Jüngst veröffentlichten zwei Autoren des Faktencheck-Portals Wikireal, Christoph Engelhardt und Roland Morlok, eine Untersuchung, wonach der Pfaffensteigtunnel nicht nur unwirtschaftlich, sondern auch wegen einiger Regelverstöße eigentlich nicht genehmigungsfähig sein dürfte.

Von Kontext mit Verweis auf die nicht zu wiederholenden Fehler gefragt, ob dann nicht eine Überprüfung des Pfaffensteigtunnels geraten sei, reagiert Palla reserviert. Ob und in welcher Form es Fehler gebe, das werde der Revisionsbericht feststellen, sagt sie. Beim Pfaffensteigtunnel sei man aber schon relativ weit, die Finanzierungsvereinbarung solle in diesem Jahr noch unterschrieben werden, die Zielkosten seien festgelegt – "es ist nicht angedacht, dass wir an der Stelle noch mal eine Überarbeitung haben werden", sagt Palla. Kurz darauf hakt der Autor und Regisseur Klaus Gietinger nach, die "erlogene Wirtschaftlichkeit" ansprechend. Palla: "Meine Antwort ist kurz: Der Pfaffensteigtunnel wird nicht mehr in Frage gestellt." Gietingers Urteil, das er einige Stunden später auch auf der Montagsdemo gegen S 21 abgibt: "Frau Palla ist leider eine mittelprächtige Enttäuschung."

An dieser Stelle dürfen die politisch motivierten Aspekte des Projekts nicht ganz vergessen werden. So war es etwa keine Idee der Bahn, sondern des früheren Ministerpräsidenten Erwin Teufel (CDU), den Flughafen an das Projekt S 21 anzuschließen. Und die Stadt Stuttgart ist in erster Linie an den freiwerdenden Flächen interessiert, "die Landeshauptstadt braucht die alten Gleisflächen für den Städtebau", trägt dem Palla auf der Pressekonferenz Rechnung. Ob dies verkehrstechnisch vernünftig ist, spielt keine Rolle mehr.

OB Frank Nopper, dem eine möglichst schnelle Bebauung der Flächen ein Herzensanliegen ist, weiß eine solche Rücksichtnahme zu schätzen, und er würdigt dies in der ihm eigenen volkstümlichen und bildreichen Sprache: Es sei "eine urschwäbische und wenn ich es richtig sehe, auch eine ursüdtiroler Tugend, an Projekten trotz Nackenschlägen dranzubleiben und diese zu vollenden", sagt der Stuttgarter OB, und, dass Frau Palla die besten Voraussetzungen für die jetzige Situation mitbringe, denn: "Als Südtirolerin hat sie das Erklimmen von steilen Bergen und das Überwinden von Gebirgsklippen erlernt."

In Stuttgart müssen die Reisenden weiterhin Streckensperrungen und Verspätungen überwinden. Als die über die Gäubahn umgeleitete S-Bahn zurück vom Flughafen am Hauptbahnhof ankommt, steht am gleichen Bahnsteig gegenüber ein ICE nach Berlin. In dem sitzt Palla, nachdem sie per Flugzeug aus Wien angereist war. Bei der Abfahrt hatte er nur elf Minuten Verspätung. Immerhin.


Einen kompletten Mitschnitt der Pressekonferenz gibt es hier.

Klaus Gietinger hat “7 kurze Filme an Frau Palla” ins Netz gestellt, um sie zu “unterstützen beim Linksdrehen des Konzerns”.

 

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1 Kommentar verfügbar

  • Simone Beer
    9 hours ago
    Reply
    Es ist doch sonnenklar, warum die Bahn eine "gründliche Bestandsaufnahme" machen will, die, welch Zufall, erst nach den Landtagswahlen abgeschlossen sein wird. Dass das 2027 und 2028, wahrscheinlich auch 2029 mit der Eröffnung des Bahnhofs nichts wird, wissen doch alle schon jetzt. Wenn man jetzt…
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