Warum die verschobene Eröffnung von Stuttgart 21 für Bahnreisende nicht unbedingt eine schlechte Nachricht ist, das zeigt sich sehr deutlich kurz nach der Sondersitzung des Lenkungskreises der S-21-Projektpartner am vergangenen Montag am Stuttgarter Flughafen. Eben noch hat Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) gesagt, es sei ein "Kollateralnutzen" der Verschiebung, dass die Gäubahn nun länger an den Hauptbahnhof angebunden bleibe, da meldet die Nahverkehrs-App – mal wieder – eine Stammstreckensperrung der S-Bahn. Nun muss die S-Bahn ab Bahnhof Stuttgart-Vaihingen auf die Gleise der Gäubahn ausweichen, um wieder in die Innenstadt, zum Hauptbahnhof (oberirdisch) zu kommen. Das passiert oft, um die 100-mal im Jahr, ermittelte vor einigen Jahren eine Untersuchung des Landesverkehrsministeriums. Entsprechend ist die Gäubahn beziehungsweise deren letzter – Panoramabahn genannter – Streckenabschnitt zentral für das Störfallkonzept der S-Bahn. Doch irgendwann soll die Gäubahn wegen S 21 vom Hauptbahnhof abgekoppelt werden, und das alternative Notfallkonzept via Fildertunnel in den Tiefbahnhof halten viele Kritiker für einen schlechten Scherz.
Anberaumt wurde die Sitzung der Projektpartner, weil die neue Bahnchefin Evelyn Palla vor knapp einem Monat verkündet hatte, dass Stuttgart 21 nicht wie bislang geplant ab Ende 2026 in Betrieb gehen werde. Das war prinzipiell nicht überraschend, denn Verschiebungen gab es im Laufe der letzten 15 Jahre seit Baustart in schöner Regelmäßigkeit. Aber zu diesem konkreten Zeitpunkt erstaunte es doch ein wenig. Denn noch im vergangenen Juli wurde auf einem Sonderlenkungskreis ein angepasster Zeitplan verkündet, und beim darauf folgenden regulären Lenkungskreis im Oktober herrschte wegen des vermeintlich so gut und reibungslos laufenden Projektfortschritts derart eitel Sonnenschein zwischen den Projektpartnern wie selten in dem Gremium. Bis einen Monat später wieder alles anders war. Dazu kam, dass Palla, anders als ihre Vorgänger, kein neues Inbetriebnahmedatum nennen will.
Katzentisch für Hermann und Drescher
Entsprechend waren für diese Sondersitzung keine Harmonie-Festspiele zu erwarten. Ab 11 Uhr haben die Projektpartner getagt, um 12:45 Uhr soll die Pressekonferenz im Raum "SkyLand" (ohne "ä") im Terminal 3 des Stuttgarter Flughafens losgehen, Vertreter von Presse und Projektpartnern drängen sich dort schon lange im Voraus. Vor dem Eingangsbereich haben sich etwa drei Dutzend Projektgegner:innen zu einer Protestaktion mit Bannern und Musikbegleitung versammelt, von der die tagenden Projektpartner wohl wenig mitbekommen.
Nacheinander trudeln erst Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU), Regionalpräsident Rainer Wieland (CDU) und dann gemeinsam Palla mit Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ein. Zu viert gruppieren sie sich an den langen Tisch vor der Presse, während Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und der Geschäftsführer der S-21-Projektgesellschaft Olaf Drescher an einer Art Katzentisch links davon stehen müssen, eine etwas kuriose Anordnung.
Die letzten 14 Jahre saß immer Hermann als Vertreter des Landes in der Mitte, neben ihm der jeweilige Infrastruktur- und Technikvorstand der Bahn, der erst Volker Kefer hieß, dann Ronald Pofalla, dann Berthold Huber, ehe dieser Posten kurz nach Pallas Berufung im September abgeschafft wurde. Dass nun erstmals die DB- und die Landesspitze hier vertreten sind, soll wohl ein Zeichen sein, wie ernst die Projektpartner die Situation betrachten, wie entschlossen sie auf die "ausgesprochen misslichen Nachrichten" reagieren, wie Kretschmann es in seinem kurzen Eingangsstatement nennt, dabei maximal gravitätisch blickend. Man sei sich einig gewesen, "dass wir eine ehrliche Bestandsaufnahme brauchen", deswegen begrüße er, dass Palla "absolute Transparenz" als oberste Priorität bezeichnet habe.




1 Kommentar verfügbar
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Es ist doch sonnenklar, warum die Bahn eine "gründliche Bestandsaufnahme" machen will, die, welch Zufall, erst nach den Landtagswahlen abgeschlossen sein wird. Dass das 2027 und 2028, wahrscheinlich auch 2029 mit der Eröffnung des Bahnhofs nichts wird, wissen doch alle schon jetzt. Wenn man jetzt…
Kommentare anzeigenSimone Beer
9 hours ago