Es ist schon rätselhaft, dass Bundesregierungen so wenig Interesse daran hatten und haben, milliardenschwerem Steuerbetrug schneller auf die Schliche zu kommen. So verzichtet dieser Staat auf Geld, das mehr als dringend benötigt wird: für Schwimmbäder, Schulen, Museen, Theater, Wohnungslose, Schwangerenberatung, Drogenprävention, Kita-Ausstattung etc. pp. Solchen Einrichtungen geht es derzeit fast allerorts an den Kragen, weil zu viele Kommunen zu wenig Geld haben und Kultur und Beratung als "freiwillige Leistungen" eingestuft sind. Und wer zahlt schon gerne freiwillig für so ein Gedöns, das für bessere Bildung, Gesundheit und Teilhabe sorgt?
Die Fraktionen von CDU und Grünen im Stuttgarter Rathaus signalisieren jedenfalls Bereitschaft, eisern zu sparen. Sie haben sich schon vor Monaten mit der Verwaltung zusammengetan, um einen mehr als fantasielosen Doppelhaushalt 2026/27 in schwierigen Zeiten hinzubekommen. Inklusive massiver Kürzungen in der Kultur und im Sozialen. Auch das einst beschlossene Ziel, die Stadt bis 2035 klimaneutral zu machen, dürfte mit weniger Geld bei Stadtwerken und Co. gerissen werden.
Egal, das Geld ist nunmal knapp und so werden sich die 60 Gemeinderät:innen (plus Oberbürgermeister Frank Nopper, CDU) am kommenden Freitag wahrscheinlich bis in die Nacht die Köpfe heißreden. Wen CDU (14 Stadträt:innen) und Grüne (ebenfalls 14) noch auf ihre Seite ziehen können, damit ihr Haushalt eine Mehrheit bekommt, ist noch nicht klar. Wer den gewählten Volksvertreter:innen vor der Sitzung noch den Marsch blasen will, sollte schon um 8 Uhr im Rathaus sein. In der um 8.30 Uhr beginnenden Sitzung lässt sich dann beobachten, wer wofür beziehungsweise wogegen die Hand hebt – könnte ja wichtig sein für die nächsten Wahlen.
Gewählt wurde in Stuttgart wieder eine Friedenspreisträgerin. Wohlverdient entschied sich die Mehrheit der AnStifter-Mitglieder für Anne Brorhilker, also die engagierte Ex-Cum-Ex-Staatsanwältin, die 2024 frustriert ihren Job schmiss und seitdem beim Verein Finanzwende für – genau – eine Finanzwende streitet. Kontext-Redakteur Minh Schredle hat die Preisverleihungsgala im Theaterhaus genutzt, um mit Brorhilker über Versäumnisse der Politik und eigentlich notwendige Reformen zu sprechen.
Für gute Stimmung sorgte bei der Friedenspreisverleihung, dass Maria Kalesnikava – Friedenspreisträgerin aus dem Jahr 2021 – endlich wieder auf freiem Fuß ist. Die Musikerin, die zwölf Jahre in Stuttgart lebte und arbeitete, engagierte sich in ihrer Heimat gegen den Machthaber Alexander Lukaschenko – und saß deswegen fünf Jahre in Belarus im Gefängnis (Kontext berichtete). Nun gehörte Kalesnikava zu den 123 politischen Gefangenen, die Lukaschenko vor Kurzem freigelassen hat. Immerhin.
Ob ein "immerhin" angemessen ist für das nunmehr verabschiedete Anti-SLAPP-Gesetz? Fraglich. Zur Erinnerung: Mit SLAPP-Klagen versuchen reiche Organisationen, Menschen und Firmen, missliebige Kritiker:innen aus Wissenschaft, Medien und NGOs einzuschüchtern. Mit Klagen, die unabhängig von ihren Aussichten auf Erfolg eine enorme Drohkulisse durch exorbitante Prozesskostenrisiken aufbauen. Um eine EU-Richtlinie zu erfüllen, hat das Bundeskabinett vorige Woche nun ein Gesetz beschlossen, mit dem unter anderem solche Verfahren frühzeitig abgewiesen werden können. Allerdings gilt das nur für grenzüberschreitende Angelegenheiten, also zum Beispiel wenn ein Ungar gegen ein deutsches Medium klagt. Da wir mit Kontext bekanntlich auch eine SLAPP-Klage am Hals haben – die Geschichte mit den rechtsextremen Facebook-Chats, Sie erinnern sich –, hält sich unsere Freude über dieses neue Gesetz in innerdeutschen Grenzen.
Freude, die weit darüber hinausgeht, bereiten uns hingegen Sie, unsere treuen Leserinnen und Unterstützer. Zunächst mal, weil Sie uns lesen. Und weil Sie – nicht nur in der Weihnachtszeit – an uns denken. Schon viele haben uns in adventlicher Stimmung ganz reelle Geschenke gemacht, also gespendet. Echtes Geld, das unsere Arbeit erst ermöglicht. Machen Sie ruhig so weiter.




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