Wütend hat sie der Müller verjagt, immer dann, wenn er und seine Freunde die Rutsche zweckentfremdeten, die eigentlich Mehlsäcken vorbehalten war. Vielleicht zehn oder elf war er damals, erzählt Herbert Maier (Name geändert) sentimental. Durch einen Geheimeingang haben sie sich aufs Grundstück geschlichen, auf der Wiese herumgetollt. Glückliche Erinnerungen. Heute wohnt der Rentner ganz nahe bei der Alten Mühle, die in St. Leon-Rot für Diskussionen sorgt. Er möchte lieber anonym bleiben, das ist unverfänglicher. Sein liebstes Spielgerät vergangener Tage, die Rutsche, ist lange entfernt, das Mühlrad ebenso, und schon fast ein Jahrzehnt steht das denkmalgeschützte Gebäude leer, verkommt langsam vor sich hin.
St. Leon-Rot liegt zwischen Feldern und Wiesen. Regional bekannt für seinen hübschen Baggersee, und weit darüber hinaus für den schnieken Golfplatz. Doch die idyllische Kulisse täuscht hinweg über Grabenkämpfe. Die Rivalität der beiden Ortsteile, die sich nicht ganz grün sind, sind ein Dauerbrenner in der Gemeinde. Vom S-Bahnhof "Rot/Malsch", auf dessen Schild St. Leon ausgespart wurde, vorbei an den Bushaltestellen Opelstraße und SAP-Allee (die gar keine Allee ist), befindet sich die Mühle im Grenzgebiet der beiden Bezirke, aber noch knapp auf Leoner Grund.
2015 hat die Gemeinde St. Leon-Rot das Grundstück mit der rund 500 Jahre alten Mühle erworben. Die dazugehörige Wiese soll mit Wohnhäusern und Parkplätzen bebaut werden, so hat es der Gemeinderat entschieden. Dagegen gibt es Widerstand, wie man ihn im Ort noch nicht gesehen hat: Ein Bürgerbegehren, das sich gegen diesen Beschluss richtet, wurde in vier Wochen 2308 mal unterzeichnet – in einer Gemeinde mit nur knapp 14 000 Einwohnern. Nun wird am Sonntag, dem 2. Juli, die Bevölkerung abstimmen, beim 500. Bürgerentscheid in der Geschichte Baden-Württembergs. Maier, einer der frühen Unterstützer der Initiative, ist zuversichtlich, dass die Wiese gerettet werden kann. "Aber manch ein Roter", sagt er und verzieht griesgrämig das Gesicht, "stimmt bestimmt dagegen, nur um uns Leonern eins reinzuwürgen."
Zwei CDU-Fraktionen im Gemeinderat
Wenn in der beschaulichen Ortschaft von "Rotern" die Rede ist, hat das nichts mit politischer Farbenlehre zu tun: Dass St. Leon und Rot im Zuge der Gemeindereform zusammengelegt wurden, haben insbesondere ältere Generationen auch 43 Jahre später noch nicht verkraftet. Die tiefsitzenden Animositäten treiben Blüten bis in den sehr konservativ geprägten Gemeinderat. Dort bilden die Christdemokraten seit den Kommunalwahlen 2014 zwei verschiedene Fraktionen – als CDU für Rot und als Union für St. Leon. Zum Bruch kam es, als der Rotsche Ortsverband seine Mitgliedermehrheit im Vorfeld der Wahlen nutzte, um die vorderen Listenplätze ausschließlich mit Kandidaten aus dem eigenen Ortsteil zu besetzen. Entsetzt und empört sind daraufhin die Leoner aufgesprungen und haben die Versammlung "unter Protest" verlassen, wie der damalige Vorsitzende der zu diesem Zeitpunkt noch gemeinsamen Fraktion gegenüber der "Rhein-Neckar-Zeitung" mitteilte, um "nicht wie begossene Pudel dazustehen".
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