Es sind Mitbürger wie du und ich. Doch sie engagieren sich für das Gemeinwohl in ihrer Heimatstadt auf besondere Art, als Initiatoren und Unterstützer eines Bürgerbegehrens. Etwa um die Platanenallee an der Dorfstraße zu erhalten oder die Schließung des Schwimmbads zu verhindern. Manche opfern dafür wochen- und monatelang ihre Freizeit, um die notwendigen Unterschriften auf Wochenmärkten und Straßenfesten, an Haustüren und auf Kundgebungen zu sammeln. Je nach Größe der Stadt braucht es 20 000 Unterzeichner, die das Anliegen teilen. "Die meisten sagen, sie haben keine Zeit", beschreibt Gretel Quiring, Vertrauensfrau eines Bürgerbegehrens zur Rekommunalisierung der Stuttgarter Fernwärmeversorgung, die typische Reaktion der Mitbürger.
Aktuelle Beispiele des Scheiterns gibt es im selbst erklärten Musterland der Bürgerbeteiligung – im grün-rot regierten Baden-Württemberg. So verwarf der Stuttgarter Gemeinderat vor Kurzem gleich zwei Begehren als unzulässig. Beide hatten den Ausstieg der Landeshauptstadt aus dem Tiefbahnhofprojekt Stuttgart 21 zum Ziel. Schon zuvor, in den Jahr 2007 und 2011, waren zwei Verfahren von Stuttgart-21-Gegnern gegen das Milliardenprojekt ins Leere gelaufen, obwohl die Initiatoren mit 67 000 und 35 000 Unterschriften ein Mehrfaches der geforderten Unterstützer gefunden hatten. Die Gemeinderatsmehrheit war beides Mal der Einschätzung des Verfassungsrechtlers Klaus-Peter Dolde gefolgt, der sie für unzulässig befand. Was die Frage aufwirft, ob Bürgerbegehren, insbesondere wenn sie gegen komplexe und langwierige Großprojekte gerichtet sind, für die Katz sind? Jein, heißt die eindeutige Antwort bei genauerem Hinsehen.
Schau einer an: In Baden-Württemberg steht die Wiege
Bürgerbegehren (BB) und Bürgerentscheide (BE) auf kommunaler Ebene sind neben bundesweiten Volksabstimmungen sowie Volksbegehren in Bundesländern die dritte große Säule direkter Demokratie, die gesellschaftspolitische Mitsprache außerhalb von Wahlen bietet. Erstmals eingeführt wurden sie im Jahr 1956 in Baden-Württemberg. Heute sind sie in allen Städten und Gemeinden Deutschlands möglich. Zwischen Flensburg und Passau finden jährlich etwa 300 Bürgerbegehren statt. Wie oft die Bürger danach an die Urnen treten, ist von Bundesland zu Bundesland jedoch sehr unterschiedlich. In vielen Ländern wird es den Menschen schwer gemacht, direkt mitzuentscheiden, sagt "Mehr Demokratie". "Wo das Verfahren fair geregelt ist, wird es auch von den Bürgern genützt", betont Anne Dänner, die Sprecherin der Nichtregierungsorganisation.
Rückschlüsse über den Status quo erlaubt die dritte Auflage des Bürgerbegehrensberichts, den "Mehr Demokratie" im vergangenen Herbst mit der Bergischen Universität Wuppertal und der Universität Hamburg mit Stand Ende 2013 veröffentlichte. Demnach zählten die Autoren seit der Einführung vor knapp 60 Jahren insgesamt 6447 Verfahren. Konkret waren 5354 Verfahren "von unten" initiierte Bürgerbegehren, 1054 wurden als Ratsreferenden von Gemeindeparlamenten "von oben" angestoßen. 39 Verfahren ließen sich nicht klar zuordnen. Die thematischen Schwerpunkte bildeten Wirtschaftsprojekte (18,3 Prozent), öffentliche Sozial- und Bildungseinrichtungen (17,0 Prozent) sowie Verkehrsprojekte (16,3 Prozent).
Nach absoluten Zahlen steht Bayern bei Bürgerbegehren an der Spitze. Fast 40 Prozent (2495) aller erfassten BB-Verfahren fanden im Freistaat statt, die dort seit 1995 möglich sind. Weit abgeschlagen folgen Baden-Württemberg (761 Verfahren) und Nordrhein-Westfalen (678). Doch die absolute Zahl sagt nicht alles. Die Bedeutung von Bürgerbegehren misst sich mehr an der relativen Häufigkeit, die sich anhand Gemeindeanzahl sowie Praxisjahren errechnen lässt. Hier landet Bayern auf Platz fünf hinter den Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen sowie knapp hinter Nordrhein-Westfalen. Baden-Württemberg fällt auf den 13. Platz zurück. Beim Spitzenreiter Hamburg fand pro Stadtbezirk etwa jedes Jahr ein Verfahren statt. In Rheinland-Pfalz, dem Schlusslicht, müssen die Bürger dagegen durchschnittlich 278 Jahre warten, bis es in ihrer Gemeinde zu einem Bürgerbegehren oder Ratsreferendum kommt. Baden-Württemberger müssen sich immerhin 84 Jahre gedulden.
Im Südwesten hat's das Begehren besonders schwer
Interessant ist auch die Erfolgsquote. So wurden 1497 der 5354 Bürgerbegehren für unzulässig erklärt (28 Prozent). Den niedrigsten Anteil hat hier Bayern mit 16 Prozent. In Hamburg (20), Berlin (22,2) und Schleswig-Holstein (24,5) sind die Erfolgsaussichten ebenfalls überdurchschnittlich gut. In allen anderen Bundesländern war mindestens jedes dritte Bürgerbegehren unzulässig. Die geringsten Chancen hatten Saarländer mit einer Quote von 60 Prozent. In Baden-Württemberg lag dieser Wert bei 39,9 Prozent. Fristüberschreitung, zu wenige Unterschriften oder Ausschluss von Themen, etwa von Fragen der Bauleitplanung, waren die häufigsten Ausschlussgründe (jeweils 21 Prozent). Weitere 15 Prozent scheiterten am fehlenden oder mangelhaften Kostendeckungsvorschlag des Begehrens. Die gesetzlichen Vorgaben haben großen Einfluss auf das Zulässigkeitsurteil, betont "Mehr Demokratie".
Letztlich mündeten 2227 Bürgerbegehren "von unten" in einen Bürgerentscheid. Zusätzlich durften die Bürger über 935 Ratsreferenden entscheiden, mit denen Gemeindeparlamente den Bürgern die Entscheidung überlassen. Insgesamt wurden die Bürger also 3177 Mal zu Bürgerentscheiden aufgerufen. Sie verliefen in etwa jedem zweiten Fall (1658 Verfahren) erfolgreich im Sinne der Initiatoren, wobei Ratsreferenden mit 59 Prozent eine höhere Erfolgsquote hatten als bürgerinitiierte Bürgerentscheide mit 49,2 Prozent. 12,4 Prozent aller Bürgerentscheide, in denen die Vorlage der InitiatorInnen die Mehrheit der Stimmen erhielt, erreichten das in den meisten Bundesländern geforderte Zustimmungsquorum nicht. Das Bürgerbegehren endete in diesen Fällen erfolglos durch "unechtes Scheitern". Die durchschnittliche Abstimmungsbeteiligung betrug 50,9 Prozent. Die Beteiligung in kleinen Gemeinden liegt deutlich über der in großen Städten und Landkreisen.
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