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Brunnen für die Indios

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Den Regenwald im Amazonasgebiet retten und zugleich die Armut dort bekämpfen, das sind die Ziele des Projekts Poema. Vor 25 Jahren gründete Willi Hoss den deutschen Ableger in Stuttgart.

Wie rettet man den Regenwald am besten? Man kann eine Kiste einer sich ausgiebig in TV-Spots bewerbenden Brauerei kaufen. Oder man kann direkt hinfahren, etwa ins Amazonasgebiet, und dort schauen, was gebraucht wird und was unterstützenswert ist. Letzteres ist die Vorgehensweise des Projekts Poema, des "Programa Pobreza e Meio ambiente na Amazônia", zu deutsch, "Programm Armut und Umwelt in Amazonien".

Entstanden ist Poema Ende der 1980er Jahre in Belém im brasilianischen Bundesstaat Pará. 1992, vor genau 25 Jahren, gründete sich der Ableger Poema Deutschland – in Stuttgart, initiiert von der linken Legende, dem langjährigen Daimler-Betriebsrat und Grünen-Mitbegründer Willi Hoss (1929-2003). Seit dessen Tod hat Gerd Rathgeb den Vorsitz übernommen, wie Hoss war er Betriebsrat bei Daimler.

Am Anfang stand eine Brasilien-Reise, die Willi Hoss 1986 unternahm, weil er als Bundestagsabgeordneter in der Grünen-Fraktion zuständig für Südamerika war. Die Delegation reiste auch nach Belém und kam an der dortigen Universität in Kontakt mit einer Projektgruppe, zu der auch der deutsche Soziologieprofessor Thomas Mitschein gehörte. Das sind die Gründer von Poema. Ihre Motivation: "Wir haben genug geforscht, jetzt ist es Zeit für ein Handlungsprogramm", erzählt Rathgeb, der auf der Reise mit dabei war.

Eine der Hauptursachen der Regenwaldzerstörung war damals der Wanderfeldbau der Kleinbauern. "Das Ziel war, die Menschen auf dem Land in die Lage zu versetzen, vom Wald zu leben, ohne ihn zu zerstören." Ein Ziel, das nach Ansicht der Poema-Initiatoren mit der Bekämpfung von Armut, einer Verbesserung der Lebenssituation der Menschen im Amazonasgebiet einhergehen musste. "Nachhaltigkeit", so würde man es heute nennen.

Erste Initiative: Kokosfasern für LKW-Sitze

Die Verbindungen von Hoss und Rathgeb zum Autobauer Daimler halfen bei einer der ersten Initiativen von Poema Deutschland: dem Einbau von Kokosfasern aus den Regenwaldgebieten in die Sitze und Rückenlehnen von Daimler-LKWs, die im Werk in Sao Paolo produziert wurden. Vor etwa zehn Jahren endete dieses Projekt, eine von vielen Initiativen, die Poema Deutschland in 25 Jahren zur Unterstützung der Landbevölkerung anstieß. Mehr als 120 Trinkwasserbrunnen wurden in abgelegenen Regionen gebaut, anfangs mit Benzingenerator, mittlerweile solarbetrieben. Poema lieferte Solarlampen für Dörfer ohne Stromanschluss oder gab Gesundheitskurse.

Finanziert wird die Initiative durch Einzelspenden, Projektgelder von Schulen und Weltläden, sowie der Universitäts-Klinik Tübingen. Sie setzt aber auch viel auf Engagement vor Ort. Beim Bau der Trinkwasseranlagen etwa gebe es immer eine klare Aufgabenteilung, erzählt Rathgeb: "Wir von Poema bezahlen das Material, die Handarbeit machen die Bewohner der Dörfer. Der Brunnenbauer wird von der Stadt bezahlt, zu deren Kreis das Dorf gehört." Auch mit den NGOs vor Ort arbeitet Poema zusammen, oder auch mit der katholischen Kirche. Das habe bis jetzt immer gut funktioniert, sagt Gerd Rathgeb.

Die Trinkwasserversorgung in vielen entlegenen Gebieten ist heute deutlich besser als noch vor 25 Jahren. Mittlerweile trägt sie sich sogar selbst. Denn die Erfahrung, auf einmal sauberes Wasser zu haben, setzt schlummernde Energien frei. An vielen Orten, so erzählt es Rathgeb, hätte sich "eine Dynamik entwickelt, so dass der Druck auf die eigentlich Verantwortlichen der Kommune oder des Staates wächst". Beispielsweise wenn eine Pumpe kaputt geht und repariert werden muss. "Wir haben den Druck natürlich auch oft forciert", fügt Rathgeb lächelnd hinzu. Von Dorfbewohnern in entlegenen Gebieten hätten sie oft gehört: "Ihr kommt aus 10 000 Kilometern Entfernung jedes Jahr zu uns. Unser Bürgermeister kommt immer nur vor den Wahlen, und dann sieht man ihn nicht mehr."

Rathgeb ist mindestens einmal im Jahr in Brasilien. Mittlerweile wechselt er sich mit dem Co-Vorsitzenden Johann Graf ab, "damit wir jedes Jahr mindestens zweimal da sind." Um mit den Partnern in Kontakt zu sein und – am wichtigsten vielleicht – "um eine Vertrauensbasis herzustellen".

Sich Vertrauen zu erarbeiten, ist ein langwieriger Prozess, weiß Rathgeb. Bei den Kleinbauern gehe das oft schneller als bei den Indios, die die Weißen nach wie vor "als ihre potenziellen Gefährder" sähen. Am Anfang stünden immer stundenlange Versammlungen mit Dorfbewohnern, bei denen die wichtigsten Probleme diskutiert werden, und am Ende überlege man sich, was auf welche Weise gemeinsam angegangen werden könne. "Wenn das dann ein Jahr später auch umgesetzt wird, dann ist das Eis gebrochen, wenn die Leute sehen, dass man nicht nur Sprüche klopft."

Mehr Unterstützung für Indigene und gegen Staudammprojekte

Über die Jahre haben sich die Schwerpunkte von Poema verändert, weil sich auch die Gefahren für den Regenwald gewandelt haben. Waren das anfangs vor allem der Wanderfeldbau der Kleinbauern und die Umwandlung von Urwald in Rinderweiden – letzteres sorgt in Amazonien noch heute für die meisten Zerstörungen –, bedrohen die Wälder heute auch zunehmend große Agrarkonzerne, die Soja und Ölpalmen anbauen, Bergbaufirmen und riesige Staudammprojekte.

"Eine Erkenntnis aus der jahrelangen Arbeit ist", sagt Rathgeb, "dass es ganz wichtig ist, die Bewegungen vor Ort zu unterstützen." Das tut Poema heute verstärkt bei Bewegungen gegen den Bau von Staudämmen oder gegen geplante Goldminen. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den indigenen Völkern, "die schon immer Waldschützer waren", so Rathgeb, die aber unter dem Druck von illegalen Holzhändlern und Rinderzüchtern leiden. Bei den in Reservaten lebenden Wajapi- und Kaapor-Indios etwa leistet Poema Hilfe bei grundlegenden Dingen wie Brunnenanlagen, Gesundheitskursen, der Ausbildung indigener Gesundheitshelfer – und beim Engagement, ihre Rechte und ihre Heimat zu verteidigen. Zwei Wajapi-Indios werden nun auch zum Jubiläumsfest am 23. Juni nach Stuttgart kommen.

In 25 Jahren hat Poema einiges erreicht, hat 2008 den Friedenspreis der Anstifter erhalten. Momentan blickt Rathgeb dennoch etwas sorgenvoll in die Zukunft. Als 2002 Präsident Lula von der Arbeiterpartei gewählt wurde, bedeutete dies eine Aufbruchstimmung für die gesamte soziale Bewegung in Brasilien, "das hat natürlich auch unsere Arbeit erleichtert." Unter dem aktuellen Präsidenten Michel Temer, der gerade mit einer Korruptionsaffäre kämpft, bekämen aber wieder Wirtschaftsbosse und Großgrundbesitzer Aufwind, weswegen die neue Regierung der Schrecken aller Kleinbauern und Indigenen sei. "Alle haben Angst um ihr Land", sagt Rathgeb.

Für den einstigen Daimler-Betriebsrat indes kein Grund zu resignieren. Seit 2004 ist er Rente, könnte es langsamer angehen lassen, doch wenn er von Brasilien spricht, spürt man immer noch viel Engagement und Leidenschaft. In den 31 Jahren seit seinem ersten Besuch zusammen mit Willi Hoss ist die Amazonasregion um Belém für Rathgeb "fast eine zweite Heimat" geworden. Er kennt sich dort aus, viele Freundschaften haben sich ergeben. "Diese Verbundenheit mit Leuten weit weg von irgendwelchen Touristikgebieten, das gehörte für mich immer zu den größten Erlebnissen."

Die Besuche dort haben auch auf ihn zurückgewirkt: "Man fragt sich irgendwann: Was erscheint uns alles wichtig und notwendig, aber was braucht man eigentlich wirklich zum Leben?" Er isst weniger Fleisch, fährt nur noch "das absolut Nötigste" mit dem Auto, denn beides bedroht, ob durch CO2 oder riesige Rinderweiden, den Regenwald. Dessen Bedeutung und Schönheit sei ihm in Brasilien bewusst geworden, "und dann schmerzt es umso mehr, wenn er großflächig zerstört wird."

 

Das Geburtstagsfest 25 Jahre Poema wird im Haus des Waldes, Stuttgart-Degerloch, ausgerichtet, am 23. Juni um 17 Uhr. Weitere Infos dazu gibt es <link http: www.poema-deutschland.de external-link-new-window>auf der Poema-Homepage.


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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 5 Stunden
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