Die beiden Oldies sind sich einig. Spatzen sind die besseren Vögel als Tauben. Die Streetfighter kriegen deshalb Brezelbröckchen, die Wackeltiere einen Tritt. Zusammen sind sie 147 Jahre alt, Gangolf Stocker (70) und Peter Grohmann (77), und gerade kommen sie vom Fototermin vor der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, wo sogar der Jüngere gelacht hat. Das macht er nicht so oft.
Stocker könnte jetzt sagen, dass er dazu auch keinen Grund hat, weil die Welt schlecht ist und der Staat, der ihn ständig verfolgt, auch. Aber zum einen geht er anschließend zum Tour-de-France-Gucken statt zur Montagsdemo, zum andern ist Grohmann ansteckend zuversichtlich. "So lange es Freude macht, sich zu wehren", sagt er, "bin ich dabei." Beim Spiel, das keines ist: "Die Macht und ich." Und Stocker bekennt, er könne sich sogar im Gerichtssaal amüsieren, wenn er die lange spitze Nase eines Richters betrachte. Früher, als Achtundsechziger, habe er bereits beim Anblick von Amtspersonen die Krätze gekriegt.
Immer auf die Mütze und dennoch guten Mutes. Den Kabarettisten Grohmann hat's zuletzt erwischt, als er für Kontext gewettert hat. Unter der Überschrift <link http: www.kontextwochenzeitung.de denkbuehne hosenscheisser-1938.html _blank>"Hosenscheißer" hatte er das Cannstatter Gottlieb-Daimler-Gymnasium gescholten, sich wegzuducken vor den "gehässigen Bemerkungen aus den bekannten Rassistenküchen". Das war vor Weihnachten 2013, als die Pädagogen ein offenes Multikultifest absagten, aus Angst vor dem rechten Rand.
"Was für ein Arschloch – an die Wand mit ihm"
Der Shitstorm war erschreckend. "Schade, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, diesen Gutmenschen zu teeren und zu federn", schrieb einer. "Geh sterben, Depp!" ein anderer. "Was für ein Arschloch und Volksverräter – an die Wand mit ihm", ein dritter. Grohmann hat 3000 Kommentare gezählt, die über Kontext oder seine private Mailadresse eingelaufen sind.
Darauf hat er Strafanzeige gestellt. Am 27. Januar 2014 verlangte er von der Staatsanwaltschaft Stuttgart, gegen unbekannt zu ermitteln. Wegen öffentlicher Aufforderung zur Lynchjustiz. Die einschlägigen Mails waren beigelegt. Da er mehrfach Opfer von Gewalt, unter anderem wegen seines Einsatz für das "Hotel Silber", geworden sei, teilte er mit, erwarte er die entsprechenden Ermittlungen. Das kann er, weil die Strafverfolger gesetzlich dazu verpflichtet sind, wenn ausreichend Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen.
Eine Antwort hat er nicht erhalten. Nicht einmal eine Bestätigung seiner Anzeige. Am 20. April meldete sich Grohmann erneut bei der Staatsanwaltschaft und wollte wissen, warum ihm Auskünfte verweigert würden. Bis zum 28. April wolle er sie haben. Keine Reaktion, bis heute nicht. Auf Nachfrage von Kontext sagt Behördensprecherin Claudia Krauth, das Verfahren sei "noch in Bearbeitung".
Was Grohmann bekommen hat, war Besuch von der Polizei. Im Mai 2014 standen zwei Beamte bei ihm vor der Tür und präsentierten eine Anzeige eines Kollegen, der sich von ihm in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt sah. Was war passiert? Der Vater der Anstifter war wieder einmal mit seinem "Käschtle" unterwegs, in dem er so allerlei schriftliches Widerstandsmaterial gebunkert hat. Unter anderem ein Flugblatt für eine Demonstration am Mahnmal für die Opfer des Faschismus am Stuttgarter Karlsplatz. Das Vergehen auf der Flugschrift war kein inhaltliches, sondern ein optisches: das Gesicht des Polizisten hinter Grohmann. Das hätte er nicht zeigen dürfen, zumindest nicht ohne Balken oder Pixel. Dieses Vergehen hat er gerade noch geregelt bekommen. Mit einer Entschuldigung und dem Versprechen, so etwas künftig zu unterlassen – "dann war's gschwätzt".
Die beiden roten Großväter geben keine Ruhe
Wenn die beiden roten Großväter solche Geschichten erzählen, fragt man sich unweigerlich, warum sie noch nicht meschugge geworden sind oder wenigstens ruhig? "Resignation – nein, nie!", poltert Grohmann. Er sagt's so laut, als müsse er den Sensenmann verscheuchen. Sein ganzes Leben war Politik. Erster Kriegsdienstverweigerer in Baden-Württemberg, Mitbegründer des Stuttgarter Club Voltaire, der Daimler-Plakat-Gruppe um Willi Hoss, des Theaterhauses und des Bürgerprojekts Anstifter, heute Kolumnist bei Kontext. So einer gibt nicht auf.
15 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 15.11.2016Der Herr mit "großer Oberweite" am Rednerpult verkennt die Grundlagen unserer DEMOKRATIE - Der STAAT ist das VOLK!!
Solange jedoch Staats-Diener sich zu Oberen des Staates - übergeordnet dem Volk - machen können, in dem ihnen das…