KONTEXT:Wochenzeitung
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Kunst zeigt Haltung, golden

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Mit der "Erklärung der Vielen" positionieren sich Kunst- und Kulturschaffende aus ganz Baden-Württemberg gegen Angriffe von rechts. Wir haben einige der UnterzeichnerInnen nach ihrer Motivation und ihren Erfahrungen gefragt.

Goldene Rettungsdecken hängen seit vergangenem Freitag an vielen Kultureinrichtungen in Baden-Württemberg. Sie sind das Erkennungszeichen der Initiative "Die Vielen", die sich gegen Versuche von rechts positioniert, auf den Kunst- und Kulturbetrieb politisch Einfluss zu nehmen. "Wir führen den offenen, aufklärenden, kritischen Dialog über rechte Strategien" und "wir wehren jegliche Versuche der Rechtspopulist*Innen ab, Kulturveranstaltungen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren", heißt es in der am 1. Februar veröffentlichten Erklärung, die über 100 Kunst- und Kulturinstitutionen, Verbände und freie Kunst- und Kulturschaffende aus dem ganzen Land unterzeichnet haben.

Der bundesweit koordinierende Verein "Die Vielen" sitzt in Berlin, doch die Aktivitäten sollen dezentral in regionalen Bündnissen erfolgen, in einzelnen Städten oder ganzen Bundesländern: Nachdem es eine erste "Erklärung der Vielen" im November 2018 in Berlin, Hamburg, Dresden und Nordrhein-Westfalen gab, folgten nun neben Baden-Württemberg auch Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Frankfurt, Bremen, Bayern, Rostock, Halle, Mannheim, Celle, Nordwestregion-Oldenburg, Thüringen und Brandenburg.

Die Spanne der Unterzeichnenden im Südwesten ist denkbar breit – sie reicht von großen Häusern wie der Staatsoper Stuttgart oder dem Nationaltheater Mannheim bis zu kleinen Theatergruppen wie Lokstoff aus Stuttgart. Soziokulturelle Zentren wie die Esslinger Dieselstraße oder die Manufaktur in Schorndorf sind ebenso dabei wie das Stuttgarter Bürgerprojekt "Die Anstifter" oder die Ulmer Kulturbürgermeisterin Iris Mann. All diese verschiedenen Akteure zu versammeln, hält Martina Grohmann vom Stuttgarter Theater Rampe, die auch "Die Vielen"-Koordinatorin für Baden-Württemberg ist, "für eine große Chance, um Erfahrungen auszutauschen, Wissen zu teilen, Strategien zu entwickeln angesichts eines sich radikalisierenden Klimas in Medien, Gesellschaft und Politik." Die Erklärung soll daher auch erst der Anfang sein. Das Netzwerk soll wachsen, gemeinsame Aktionen und Veranstaltungen sollen folgen. Ein Termin steht schon: Am 19. Mai soll es bundesweite Demonstrationen für ein "Europa der Vielen" in mehreren Städten geben.

Rechte wollen in Spielpläne eingreifen

Hintergrund der Initiative ist, dass die Angriffe von rechten Gruppen und Parteien auf Kultureinrichtungen zunehmen, seit die AfD in immer mehr Parlamenten sitzt. Der rechte Populismus stehe einer pluralistischen Gesellschaft und den Kultureinrichtungen als Akteuren dieser Vision, "als offene Räume, die vielen gehören", feindselig gegenüber, heißt es im Text der Erklärung. "Rechte Gruppierungen und Parteien stören Veranstaltungen, wollen in Spielpläne eingreifen, polemisieren gegen die Freiheit der Kunst und arbeiten an einer Renationalisierung der Kultur."

Beispiele gibt es mittlerweile viele. So klagte 2015 die AfD-Politikerin Beatrix von Storch – erfolglos – gegen das an der Berliner Schaubühne aufgeführte Stück "Fear" von Falk Richter, da Fotos von ihr verwendet wurden. Im August 2018 klagte der AfD-Kreisverband im westfälischen Paderborn gegen das dortige Theater, weil man sich durch eine Grafik in der Programmankündigung zum Stück "Andorra" verunglimpft fühlte. Darin wurden Wahlergebnisse der NSDAP solchen der AfD gegenübergestellt. Ermittlungen gab es keine.

Auch wenn solche Angriffe bislang erfolglos blieben, sie werden häufiger und aggressiver. Das hat auch Ulrich Khuon, der Präsident des Deutschen Bühnenvereins, beobachtet: "Im Grunde wird alles, was nicht AfD ist, als linksversifft bezeichnet. Außerdem gibt es den Weg über Gerichte und Kleine und Große Anfragen in den Parlamenten."

Ein Weg, den die Partei auch schon im baden-württembergischen Landtag beschritten hat: Im September 2018 stellte der Abgeordnete Emil Sänze eine <link https: www.landtag-bw.de files live sites ltbw dokumente wp16 drucksachen external-link-new-window>Kleine Anfrage zur Landesförderung für Kulturvereine und soziokulturelle Zentren, die er unter anderem damit begründete, dass regelmäßig "aus dem Kreis der geförderten Dachverbände eindeutig weltanschaulich geprägte Positionspapiere (...) und unmittelbar gegen die stärkste Oppositionspartei im Landtag, die demokratisch verfasste und (...) legitimierte AfD, gerichtete Resolutionen veröffentlicht" würden.

Kein Wunder also, dass zu den UnterzeichnerInnen der baden-württemberger Erklärung der Vielen auch mehrere soziokulturelle Zentren gehören. Aber längst nicht nur. Wir haben einige der Beteiligten darum gebeten, ihre Motivation zu erläutern, warum sie die Erklärung unterzeichnet haben – und wie es mit ihren eigenen Erfahrungen mit Versuchen rechter Einflussnahme aussieht.


Katja Spiess, FITZ! Zentrum für Figurentheater, Stuttgart

Wie es um den freiheitlichen Geist einer Gesellschaft bestellt ist, lässt sich sehr gut daran ablesen, wie frei die Künste sind. Sich gemeinsam für die Kunst als einen offenen Raum des Dialogs, der Vielfältigkeit und der Teilhabe einzusetzen, ist ein wichtiges politisches Bekenntnis, das wir gerne mittragen und unterstützen. Glücklicherweise mussten wir an unserem Haus noch keine Erfahrungen mit Druck oder Intervention von rechts machen. Von Kolleg*innen aus anderen Bundesländern weiß ich aber, wie schnell sich das ändern kann, wenn sich politische Machtverhältnisse verschieben. Ich verstehe deshalb "Die Vielen" vor allem als breit aufgestelltes Solidarbündnis, das da, wo es "brennt", unterstützt und Flagge zeigt.


Dieter Ripberger, Zimmertheater Tübingen

Das gesellschaftliche Klima wird rau. Kunst muss Haltung und Kante zeigen – und kann Gesprächssituationen stiften. Unsere künstlerischen Freunde aus Ungarn, die gerade hier bei uns in Tübingen für das Stück "European Freaks" proben, erleben die Auswirkungen eines repressiven politischen Apparats hautnah. Das läuft oft subtil, etwa über die Kürzungen von Förderungen, oder indem durch die Besetzung von leitenden Positionen großer Kulturinstitutionen mit regierungstreuen Leuten Einfluss genommen wird. Wir sollten allen Anfängen wehren und es nicht so weit kommen lassen.


Inés de Castro, Linden-Museum Stuttgart, Staatliches Museum für Völkerkunde

Wir engagieren uns für die Initiative "Die Vielen", weil Vielfalt die DNA unseres Museums ist und bleiben soll. Was eigene Erfahrungen betrifft: Wir wehren uns aktiv gegen rechte Kommentare und Vereinnahmung auf unseren Social-Media-Kanälen, die zum Glück bislang nur vereinzelt auftauchen.


Bernd Belschner, Kulturzentrum Tollhaus, Karlsruhe

Gerade für eine Einrichtung, die wie wir ein breites kulturelles Spektrum abdeckt, ist es wichtig, klare Position zu beziehen, denn dies betrifft unsere Arbeit im Kern. Wir stellen eine polarisierende, die Gesellschaft spaltende Stimmung durchaus fest, und die Offenheit gegenüber Fremdem und anderen Kulturen scheint tatsächlich zurückzugehen. Eigene Erfahrungen mit Angriffen von rechts haben wir bisher noch nicht, aber über den Landesverband der soziokulturellen Zentren sind wir von der AfD-Anfrage im Landtag betroffen, die die Zuschüsse für Zentren in Frage stellt, wenn sie sich gegen rechtspopulistische Positionen wenden.


Alexa Steinbrenner, Lokstoff! Theater im öffentlichen Raum, Stuttgart

Lokstoff engagiert sich seit Jahren für die Stärkung des öffentlichen Raumes in seiner politischen, kulturellen und urbanen Dimension als Grundlage für ein funktionierendes Gemeinwesen. Deshalb unterstützen wir "Die Vielen" in unser aller Verantwortung für eine offene, pluralistische Gesellschaft. In den sozialen Medien erhielten wir schon Hasskommentare bei Berichten über unsere interkulturellen Theaterprojekte mit Geflüchteten. Auch wenn wir grundsätzlich für den Diskurs sind, mussten wir unter bestimmten Beiträgen die Kommentarfunktion aus Schutz der Teilnehmer*innen sperren. Wir haben die Vorkommnisse der Polizei gemeldet, die die Anfeindungen im Netz sehr ernst nahm.


Christian Holtzhauer, Nationaltheater Mannheim

Die Freiheit der Kunst ist ein hohes Gut. Leider gibt es immer wieder politische Vorstöße, die diese Freiheit einschränken wollen. Die AfD und andere rechte Bewegungen machen aus ihren kulturpolitischen Zielen, die ganz klar eine Beschneidung künstlerischer Freiheit darstellen, keinen Hehl. Dagegen wehren wir uns.  Vertreter rechter Parteien – auch aus Baden-Württemberg – haben wiederholt zu verstehen gegeben, wie sie versuchen würden, Kulturinstitutionen "auf Linie" zu bringen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Mit der "Erklärung der Vielen" wollen wir daher ein deutliches Zeichen setzen, dass die Kulturinstitutionen zusammen stehen, und dass wir Angriffe auf die künstlerische Arbeit nicht hinnehmen werden.


Sabine Bartsch, Kulturzentrum Dieselstraße, Esslingen

Als soziokulturelles Zentrum verstehen wir uns der Weltoffenheit und Diversität verpflichtet. Deshalb war es für das Kulturzentrum Dieselstraße selbstverständlich, die "Erklärung der Vielen" zu unterschreiben. Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strömungen, natürlich auch denen vom rechten Rand, gehört zu unserer täglichen Arbeit. Zum Glück waren wir bislang keinen Anfeindungen von rechts ausgesetzt, obwohl wir uns stark in der Flüchtlingsarbeit engagieren. In einer Anfrage an die Landesregierung hat die AfD jedoch recht eindeutig die Legitimität soziokultureller Zentren in Frage gestellt. Es steht also zu befürchten, dass wir uns auch als einzelnes Zentrum mit dieser Partei werden beschäftigen müssen, sollte sie bei der anstehenden Kommunalwahl in den Esslinger Gemeinderat einziehen.


Iris Mann, Bürgermeisterin für Kultur, Bildung und Soziales der Stadt Ulm

Die baden-württembergische "Erklärung der Vielen" habe ich unterzeichnet, weil ich der Meinung bin, dass zum ureigenen Potenzial kreativer Prozesse in Kunst und Kultur die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit aus unterschiedlichsten Blickwinkeln gehört. Und gerade dieses Aushalten unterschiedlicher Meinungen und die diskursive Auseinandersetzung mit der Vielfalt in verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen machen eine demokratische Stadtgesellschaft stark. Hier in Ulm versuchte der Kreisverband der AfD im vergangenen Herbst ein Konzert der Band "Feine Sahne Fischfilet" zu verhindern, beziehungsweise öffentliche Zuschüsse für die veranstaltende Einrichtung zu hinterfragen. Dass die "Durchleuchtung" staatlicher Kulturförderung wegen des Verdachtes der "linksgerichteten Einseitigkeit" eines der Ziele der AfD für die Zukunft ist, erklärte auch der Landtagsabgeordnete der AfD, Emil Sänze, bei einer Parteiveranstaltung im Ulmer Stadthaus.


Christof Küster, Studio Theater Stuttgart

Es ist mittlerweile immer wieder zu beobachten, wie sich selbst in intellektuellen Kreisen die Einfachheit Bahn bricht – ein Beispiel war das Gespräch von Durs Grünbein und Uwe Tellkamp im vergangenen März in Dresden, das hat mich wirklich entsetzt. Es ist wichtig, gegen so etwas ein Zeichen zu setzen, deswegen finde ich "Die Vielen" eine wichtige, unterstützenswerte Bewegung.


Adelheid Schulz, theater.prekariat, Stuttgart

Als Künstlerin sehe ich mich besonders in der Verantwortung eine offene Gesellschaft, in der multiple Zugehörigkeiten willkommen sind, zu befördern. Theater.prekariat arbeitet seit 2015 in partizipativen Formaten an diesem Thema. Mit "Die Vielen" befeuern wir den öffentlichen Dialog über notwendige Rahmenbedingungen für eine vielfältige Gemeinschaft und schaffen eine breit aufgestellte Aktionsplattform, von der aus wir solidarisch wirksam vorgehen können.

Claudia Heldt, Kulturzentrum franz.K, Reutlingen

Unsere Arbeit steht im diametralen Gegensatz zum chauvinistischen, deutschtümelnden Einheitsbrei, den die AfD (als Wortführerin für Identitäre, für rechtsradikale Burschenschaften, Nazigruppierungen) kulturell und künstlerisch für erstrebenswert hält. Dieses Spektrum versucht, gerade über das Kulturelle ihre rassistischen und antidemokratischen Haltungen in den gesellschaftlichen Diskurs einsickern zu lassen. Dagegen kann man sich nicht früh genug zusammenschließen. Es gibt in Baden-Württemberg mindestens einen Fall, in dem ein soziokulturelles Zentrum bereits direkt von der AfD angegangen wurde. Nach den Wahlen im Mai wird diese Partei wohl leider in den meisten Kommunalparlamenten vertreten sein und dies dazu zu nutzen versuchen, emanzipatorische Bestrebungen in Gesellschaft und Kultur mit aller Kraft zu bekämpfen.


Peter Carp, Theater Freiburg

Gegen zunehmend demokratiegefährdende Tendenzen in unserer Gesellschaft ist es notwendig, dass sich Kultureinrichtungen als gesellschaftlicher Katalysator zusammenschließen und ein deutliches Signal setzen. Wir wollen dazu beitragen, kulturelle Verständigung, kulturellen Austausch, Vielfalt und Toleranz zu fördern. Das Theater Freiburg ist bislang noch nicht das Ziel von Angriffen von rechts geworden. Es wäre in der gegenwärtigen Stimmung in Deutschland und Europa aber realitätsfern zu glauben, dass so etwas nicht passieren könnte. Umso wichtiger sich deutlich dagegen zu positionieren.

 

Tonio Kleinknecht, Theater Aalen

Kunst und Kultur brauchen ein gesellschaftliches Klima der Freiheit und Toleranz. Das sehen wir durch nationalistische Tendenzen in Europa gefährdet. Deswegen unterstützen wir "Die Vielen". Eigene Erfahrungen mit Druck von rechts haben wir noch nicht - aber am 26. Mai sind Kommunal- und Europawahlen.

 

Andrea Kostka, Club Manufaktur, Schorndorf

Der Club Manufaktur e. V. lehnt grundsätzlich totalitäre Tendenzen ab. Wir laden Künstlern*Innen aus der ganzen Welt, unabhängig von ihrer Religion und sexuellen Orientierung ein, ermöglichen durch Lesungen und Vorträge zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen eine Diskussionskultur und Meinungsbildung. Deswegen haben wir die Erklärungen der Vielen als Zeichen gegen rechts unterzeichnet.


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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 11 Stunden
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