"Die Lösung ist Teil des Problems!", ruft ein Schild den Besuchern des Literaturhauses zu, das wie für eine Demo in der Ecke des Treppenabsatzes parat steht. Unter den Fenstern zwei Zitate, wie auf rotes Packpapier gedruckt, etwas verblichen, ausgerissen und an die Wand gekleistert. "Einen Satz zu verstehen heißt, wissen, was der Fall ist, wenn er wahr ist", sagt rechts Ludwig Wittgenstein. Links kontert Gudrun Ensslin: "den sinn eines satzes verstehen heißt, wissen, wie die entscheidung herbeizuführen ist, ob er wahr oder falsch ist."
Mit viel Witz und Ironie haben sich die drei Lyriker Frank Witzel, Ulf Stolterfoth und Dieter M. Gräf in der Ausstellung im Literaturhaus Stuttgart durch die Absonderlichkeiten der Zeitgeschichte gearbeitet, denen sie in ihrer Sozialisation und danach begegnet sind. Geboren zwischen 1955 und 1963, wuchsen sie hinein in die "bleierne Zeit" des "Deutschen Herbstes", Nachgeborene der 68er-Revolution, die sich diese Entwicklung nicht ausgesucht hatten. Den Zusammenbruch des "real existierenden Sozialismus" nahmen sie verwundert zur Kenntnis.
"Falsches Rot" heißt Gräfs jüngster Lyrikband, der wie Witzels letztes Buch in Stolterfoths "Brueterich Press" erschienen ist. Witzel ist besser bekannt durch seinen vor vier Jahren erschienenen Roman "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969". Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Stammheim und die Gräber auf dem Dornhaldenfriedhof bestimmen denn auch einen großen Teil der Ausstellung.
Am Roten Telefon revolutionäre Musik und Gedichte
Dies wäre weniger interessant, würde die Ausstellung nur in die große Erzählung vom Terrorismus einstimmen. Doch Gräf, Witzel und Stolterfoth haben die Zeit nach 1968, die schließlich in den Deutschen Herbst mündete, selber als rebellische Jugendliche, Anhänger linker und emanzipatorischer Bewegungen erlebt. Sie zeigen auch andere Seiten der Geschichte. So behauptet die Zeitung "Die Welt" 1977 dramatisch: "Jeder Bürger wird weiter damit rechnen müssen, dass ihm eines Tages der gewaltsame Tod in Gestalt eines jungen Mädchens gegenübertritt, das kein Erbarmen mehr kennt."
Im Zentrum steht eine "revolutionary jukebox". An einem roten Telefonhörer kann man Gedichte der drei Autoren abhören, über ein Megafon RAF-Tondokumente und mithilfe von zwei Kopfhörern "revolutionäre Musik", von "Revolution No. 9" von den Beatles über Gil Scott-Herons "The Revolution Will Not Be Televised" bis hin zu Tuli Kupferbergs Antwort auf die Beatles: "You Say You Want an Evolution?" Hier waren Kenner am Werk. Red Crayola und Robert Wyatt sind vertreten, ebenso Franz-Josef Degenhardt und Ton Steine Scherben, F.S.K., Billy Bragg und Woody Guthrie.
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era rasch
am 20.01.2019