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Werner weiß wie

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Am 21. Januar wird Werner Schretzmeier 75. So einer müsste gezeugt werden, wenn er nicht schon geboren wäre, sagt unser Gratulant. Er hat mit dem Jubilar und dessen Frau Gudrun das Stuttgarter Theaterhaus gegründet.

Also, mal so gesagt: Wenn man hier in der Stadt irgendwo mal was machen wollte, dann konntest du die Liederhalle nehmen oder das Gustav-Siegle-Haus am Leonhardsplatz. Den Club Voltaire gab's ja nicht mehr, und der wär' auch für irgendwas zu klein gewesen. Du konntest auch in den Wulle-Saal in der Neckarstraße – bis die Bagger kamen. Und der Wulle hatte sogar Atmosphäre. Aber auf so was hält man hier nicht viel, wie du beim Milaneo sehen kannst. Du musstest wohl oder übel mieten.

Die Leute von der städtischen Hallen und Säle GmbH waren immer freundlich, aber an ein paar entscheidenden Stellen hat sich oft was gebissen. Nicht nur, dass du keine eigene Gastronomie organisieren konntest, weil die alles verpachtet hatten und immer noch und nöcher verpachten und so der Nutzung durch die Allgemeinheit entziehen: Plätze, Musikpavillons, Treppen, Durchgänge, ganze Straßen. "Ond dees goht grad so weiter!", sagt der Tabakhändler am Königsbau.

Kostengünstige Verdienste

Werner Schretzmeier ist gebürtiger Schorndorfer und hat dort 1968 den legendären Club Manufaktur aus der Taufe gehoben. Zugleich war er Autor und Dokumentarist beim SDR. 1985 hat er zusammen mit seiner Frau Gudrun und Peter Grohmann das Theaterhaus gegründet. 2009 hat ihm das Land Baden-Württemberg eine Verdienstmedaille verliehen. Das Theaterhaus sei ein "Novum in der Kulturlandschaft Europas" hieß es in der Laudatio. Mehr Geld hat es dafür nicht gegeben. (jof)

Aber seinerzeit, in den Achtzigern, da ging's ganz schwer mit der Stadt und auf dem Land. Die Räume, innen wie außen, waren neutral. Unsereins hatte immer das Gefühl, da nicht reinzupassen. Die vom Kursaal etwa sagten uns mal, den vermieten wir nicht für eine Ausländerveranstaltung. Wer soll denn das anschließend wieder sauber kriegen? Wir, haben wir gesagt, wir. Aber das ging nicht. Die Reinigung war ja auch verpachtet, wie die Gastronomie.

Alles muss man selber machen, Werner weiß was, Werner weiß wie. Mit der Hand. Mit dem Besen. Mit der Kreide. Mit dem Kopf. Mit der Gudrun. Mit dem Fuß, für die Bittgänge. Die sind geblieben.

Komisch, dass wir da nicht selbst draufgekommen sind. Auf die Bittgänge, auf die Hartnäckigkeiten, auf die Ausdauer, auf die Widerständler in Schorndorf, auf die größeren Entwürfe, auf die Fantasie zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Gut, wir waren auch auf dem Killesberg, Halle 6 und Halle 2, Zu Gast bei Gastarbeitern, in der Liederhalle mit Kunst, Musik und Texten gegen die griechische Militärdiktatur. Aber erst die "Ständige Vertretung" aus Schorndorf – Völker, hört die Signale! – machte das Kulturelle, das Politische und das Städtische zum Kessel Buntes. Schretzmeier. In Stuttgart.

Man kennt sich. Eben vom Killesberg, vom Zelt auf dem Karlsplatz, von den Mühen der Ebene mit dem politisch-literarischen Club Voltaire in der Stuttgarter Leonhardstraße (1964 - 1971, städtischer Zuschuss 3000 Mark im Jahr!), von der Schorndorfer Manufaktur (1968, die es heute noch gibt!). Von der Bewegung jenseits der Universitäten, von den Bewegungen in der Provinz für der Jugendzentrumsbewegung.

Sie sagen Reform und wollen Revolution

"Junge Menschen, oftmals in Kleidung und Haartracht, ohne nähere Inspektion schlecht unterscheidbar ob männlichen oder weiblichen Geschlechts, lassen uns eine Welle der bewussten Nichtanpassung erleben, des gewollten und gesuchten Infragestellens, des Reformeifers, des kritischen Bewusstseins. Berechtigte Bedenken stellen sich in den Raum durch die Gründung der roten Zellen, deren Existenz bereits von der Hochschule bis zur Werkbank festzustellen ist... dieser aktiven und wortführenden Minderheit, die 'Diskussion' ruft und Umfunktionieren meint, die Reform sagt und Revolution will." Denen also "noch über Steuergelder eine Bleibe zu verschaffen, ist eine Utopie", wetterte ein Bürgermeister im Wertheimer Gemeinderat 1971, und hatte wohl Freddy Quinn im Ohr:

Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden? Wir!
Wer sorgt sich um den Frieden auf Erden? Wir!
Ihr lungert herum in Parks und in Gassen,
wer kann eure sinnlose Faulheit nicht fassen? Wir! Wir! Wir!
Wer hat den Mut, für euch sich zu schämen? Wir!
Wer lässt sich unsere Zukunft nicht nehmen? Wir!
Wer sieht euch alte Kirchen beschmieren,
und muss vor euch jede Achtung verlieren? Wir! Wir! Wir!
Doch wer will weiter nur protestieren,
bis nichts mehr da ist zum protestieren? Ihr! Ihr! Ihr!
[Freddy Quinn: Eine Handvoll Reis/Wir. Polydor 1966]

Freddy und der Bürgermeister haben ausgesprochen, was gängige Denke und Praxis war, und haben die beiden Kerle nicht vielleicht doch Recht behalten? Ist es nicht so, dass die Bleibe, die Schretzmeier & Co. KG geschaffen haben, Lohn und Brot für 100 bis 200 Leut', immer noch zu 70 Prozent Eigenleistung mit Haut und Knochen ist, dass sich Stadt und Land weigern, so eine einzigartige und eigenartige europäische Einrichtung wie das Theaterhaus anständig und angemessen auszustatten? Heiner Geißler meinte, als er Schretzmeier traf, das Geld von Land und Kommune sei ja keine Gnade, sondern gesetzliche Pflicht. Aufgewacht, Leute!

Wer eher auf Ordnung fixiert ist, auf Sitte und Anstand, auf Werte und Autoritäten, der geht eher zum Militär oder zur Polizei. Die meisten Menschen mögen es, wenn der Hausmüll sortiert ist. Der Amazonas ist ihnen egal. Der ordnungsliebende Mensch als solcher hat nun mal per se eher Sympathien mit der rechtsradikalen Division Braune Wölfe als mit der Roten Zora in Hamburg. Wenn Werner auch an seinem Geburtstag den Rundgang durchs Theaterhaus macht, hier ein Lichtlein löscht und sich dort nach einem Papierle bückt, weiß er, dass das auch bei der Roten Zora so ist.

Denken und Machen? Ja. Es sollte nur schneller gehen. Wer zu viel denkt, kommt nicht zum Machen. Und manches ist schneller gemacht als gedacht. Bei unserem Kampf zweier Linien (Mao) kommt es doch, echt jetzt!, vor allem darauf an, dem Publikum die verschiedenen Meinungen und Möglichkeiten vorzustellen – zur Auswahl, und nicht den eigenen Standpunkt zur Messlatte des Richtigen zu machen.

Man kann in Schorndorf wohnen oder an der Neuen Weinsteige oder in Berlin oder im Theaterhaus bei Werner. Da ist immer Platz. Und Zeit, "uns aus dem Elend zu erlösen, (das) können wir nur selber tun." Wenn Werner Schretzmeier nicht 1944 geboren worden wäre, hätte man ihn zeugen müssen. Um den Menschen auf den Fersen bleiben, den Kunden an den Hacken hängen, denen oben und unten auf den Geist gehen. Bis sie ihrer Pflicht nachkommen.


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1 Kommentar verfügbar

  • Waldemar Grytz
    am 16.01.2019
    Antworten
    Lieber Peter,
    bei Deiner Rückschau hast Du einen Veranstaltungsort leider übersehen:
    das DGB-Haus. Hier hätte die Gewerkschaft ihrem politischen und kulturellen Ansprüchen gerecht werden können. Aber statt einer Öffnung in die Gesellschaft musste sich jeder Veranstalter erst mal einer…
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