Überhaupt, diese Verklärungen. "Ich finde gar nicht, dass es früher politischer war", sagt Hassler, der seit 2000 die Veranstaltungen der Manufaktur managt, "nur die Zeit war politisch aufgeheizter". Wer sich gegen den gesellschaftlichen Konsens gestellt habe, und sei es nur äußerlich, habe "allein schon durch seine Existenz provoziert". Seinen eigenen Raum einzufordern, heute eine Selbstverständlichkeit, sei damals quasi eine Revolution gewesen.
Eine Interpretation, die Manufaktur-Gründervater Werner Schretzmeier, heute Chef des Stuttgarter Theaterhauses, bestätigt. "Es gab damals in Baden-Württemberg praktisch nur eine Partei, und die war stockreaktionär". Aber eben das sei auch dem jugendlichen Bedürfnis, dagegen zu sein, enorm entgegen gekommen. Man musste nicht viel machen, "es reichte, wenn du die Zunge rausgestreckt hast", um anzuecken. "Das war natürlich toll für uns", erzählt er lachend. "Die Widerständler" hieß passenderweise die Kabaretttruppe, mit der Schretzmeier zwischen 1964 und 1968 das Land bereiste. Der Widerstand wurde dann mit der – formal ganz konservativen – Gründung des "Geselligkeitsclubs Manufaktur e.V." am 17. November 1967 und der ersten Veranstaltung am 10. Februar 1968 institutionalisiert und lokalisiert, in einer alten Porzellanmanufaktur in der Gmünder Straße.
Auch heute nicht alles eiapopeia
Ehe man die nun vermeintlich hyperliberale Gegenwart zu sehr verklärt: Es ist auch nicht so, dass der Gegenwind, der in den Anfangsjahren vom konservativen Bürgertum und der Stadtpolitik recht heftig wehte, komplett abgeflaut ist. "Noch heute ist die CDU im Gemeinderat in vielerlei Hinsicht massiv gegen uns", betont Hassler, "die Fraktion stimmt fast immer geschlossen gegen uns, wenn es um Zuschüsse geht, da gibt es nur eine Gemeinderätin, die auch mal ausschert." Von daher sei "nicht alles eiapopeia". Doch die Mehrheitsverhältnisse sind andere geworden, "und im Gemeinderat sitzen inzwischen auch die, die früher die langen Haare hatten." Dazu komme etwas, was Hassler eine Art "verdeckte Form von Stolz" nennt: Wenn auf dem Tourplakat einer Band "Hamburg – Berlin – Köln – Schorndorf" stehe, "dann sieht das auch ein konservativer Stadtrat." Oder wenn die Manufaktur, wie im vergangenen November, den Spielstättenpreis "Applaus" der Bundesregierung für ihr Livemusikprogramm erhält.
Anlass zu solch verstecktem Stolz hätte es auch schon und gerade in den Anfangsjahren gegeben, als in der Manu Bands und Musiker wie Black Sabbath, Uriah Heep, Man, Mott the Hoople, Rory Gallagher oder The Nice spielten und sich die Manufaktur den Ruf erwarb, "einer der heißesten Clubs weit und breit zu sein, sicher der beste in Südwestdeutschland, wenn nicht sogar in der ganzen Bundesrepublik", wie der Musikjournalist Christoph Wagner in seinem Buch "Träume aus dem Untergrund" schreibt. Stuttgart habe demgegenüber als Provinz gegolten. Hilfreich war dabei auch, dass Schretzmeier ab 1969 beim Süddeutschen Rundfunk arbeitete und in der Sendereihe "P" Popgruppen in szenischen Darstellungen präsentierte, im Grunde frühe Musikvideos. Viele englische Bands waren dabei, und wenn die schon mal in der Gegend waren, traten sie oft auch noch in der Manufaktur auf. In öffentlicher Förderungswilligkeit schlug sich dieser Ruf indes lange nicht nieder, weswegen die Manufaktur trotz eindrucksvoller Gäste und bestens besuchter Konzerte immer wieder an der Zahlungsunfähigkeit vorbeischrammte. Um das Aus abzuwenden, wurden zwischen 1978 und 1982 über 30 Benefiz-Konzerte veranstaltet, teils auch in der Stuttgarter Messehalle, mit Künstlern wie Udo Lindenberg und Wolf Biermann. Das half eine Zeitlang, um weiterzumachen.
Finanziell bis Ende der 80er immer wieder klamm
Die öffentlichen Töpfe öffneten sich erst Anfang der Achtziger allmählich. Werner Schretzmeier hatte damals für einen Kredit bei der Volksbank Schorndorf selbst mit 20 000 D-Mark gebürgt, "und diese Bürgschaft hat die Stadt Schorndorf 1983 abgelöst", erinnert sich Karl-Otto Völker, damals Zweiter Vorsitzender des Manu-Vereins. Ermöglicht wurde dies, so Völker, durch die Gemeinderatsstimmen von SPD, FDP, Freien Wählern, Grünen – und einer von der CDU. In trockenen Tüchern war sie auch damit noch lange nicht, die tiefste Krise kam erst noch, Ende der Achtziger.
Gründer Schretzmeier hatte sich zu seinem neuen Baby, dem Theaterhaus Stuttgart, verabschiedet, andere soziokulturelle Zentren schossen im ganzen Land wie Pilze aus dem Boden und machten der einstigen Rockhauptstadt des Landes Konkurrenz.
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Wir waren froh und erleichtert über dieses Urteil - Herzlichen Glückwunsch! Überrascht war ich über den Dank an den "Spiegel" - war dort die Berichterstattung doch stets hinter der Bezahlschranke und auf der Startseite nicht präsent. Aber vielleicht ist...
"Das Landgericht Mannheim sah sich außer Stande, zu beurteilen, ob die Chat-Protokolle gefälscht sein könnten." Ist das nicht auch dieses Landgericht, das so überaus emsig bei der Verfolgung des angeblichen Vergewaltigers Kachelmann vorging?
@Ge La, meinen Sie das wirklich? „Die Gewaltenteilung funktioniert zum Glück ,“ Wenn ja, wo haben Sie Ihre Schulbildung „abgesessen“?!? Bereits im Vorfeld der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde in ebensolcher Weise weiter gegen...
Weiter so, geht es schon wieder los in Deutschland, dass solche Leute vor Gericht recht bekommen und dann mit so einer Aussage des Vorsitzenden Richters Stojek, das gibt zu denken.
Das ist wirklich eine gute Nachricht!
Der gemessene und somit statistisch erfasste Stromverbrauch in der entwickelten Welt stagniert bzw. nimmt stark und kontinuierlich ab: https://moderndiplomacy.eu/2019/02/14/the-mysterious-case-of-disappearing-electricity-demand/ Teilweise ist das auf selbst...
Die Nakba-Ausstellung, die zur Zeit von der VHS Reutlingen gezeigt wird, dokumentiert klar nachvollziehbar und mit den entsprechenden Nachweisen die wissenschaftliche Diskussion, die sich spätestens seit den 1980er Jahren (international noch früher) an den...
Wunderbar! Die Gewaltenteilung funktioniert zum Glück , auch dank der professionellen Recherchen und dem durchhaltevermögen von Kontext!
Sehr erfreulich und trotzdem stellt sich im Moment noch die Frage, ob Herr Grauf nicht gezwungermaßen das Hauptsacheverfahren "anleiern" könnte, um nicht Gefahr zu laufen, dass die Staatsanwaltschaft wegen seiner Eidesstattlichen Versicherung, dass die...
Herzlichen Glückwunsch zu dieser OLG-Entscheidung und Dank an Sie alle bei kontext für Ihre Standhaftigkeit. Die Freude war groß.
Danke, auch dafür, dass es KONTEXT gibt! "Der erste Kommentar kam von Edzard Reuter: "Die Feinde unserer Demokratie können sich nicht im Dunkeln verstecken!" KONTEXT schaut hin indes halb bin ich dabei! Der Klügere gibt nicht nach - alles andere wäre...
Ich denke, das eine neutrale Aufarbeitung der Fluchtbewegungen nötig ist. Zur gleichen Zeit wurden in allen arabischen Staaten Menschen jüdischen Glaubens vertrieben. Die Ausstellung ist gründlich mißlungen und wird berechtigterweise kritische Stimmen...
Eine tolle Nachricht!! Danke, dass ihr durchgehalten habt! Weiter so!
Es gibt doch noch gute Nachrichten für den Journalismus - Glückwunsch zum Erfolg und dran bleiben