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Racial Profiling

Der strukturelle Einzelfall

Racial Profiling: Der strukturelle Einzelfall
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Ein Podium, das Täter und Opfer vereint: Das birgt Zündstoff. Entsprechend dick war die Luft jüngst im Württembergischen Kunstverein. Beim Reizthema Racial Profiling kollidieren Lebensrealitäten, die verschiedener nicht sein könnten.

Olimpio Alberto sitzt breitschultrig und gelassen auf seinem Stuhl. Er spricht knapp und präzise, seine Stimme kontrolliert. Als er sich zu seinem Nebensitzer wendet, den Stuttgarter Polizei-Vizepräsidenten, kreuzen sich ihre Blicke, klettert die Tonhöhe für einen kurzen Moment: "Bitte, tun Sie etwas!" Es ist der verzweifelte Wunsch, von der Polizei als normaler Mensch behandelt zu werden – nicht als Bürger zweiter Klasse. Alberto erzählt in kurzen Sätzen von seinen alltäglichen Erfahrungen. Er fahre oft frühmorgens mit dem Zug zur Arbeit, wenn es draußen noch dunkel ist. Regelmäßig werde er dabei kontrolliert, ohne irgendetwas Besonderes gemacht zu haben. Nur seine schwarze Haut unterscheidet ihn von den anderen Zuggästen.

"Es kann so nicht weitergehen", sagt Alberto. Deshalb hat das Forum der Kulturen am 24. September in den Württembergischen Kunstverein in Stuttgart zum Dialog geladen: Nichtweiße, Weiße, Betroffene, Nicht-Betroffene. Auch die Migrantifa sitzt mit Pappschildern dabei. Es soll um Racial Profiling gehen – das anhaltlose Kontrollieren und Durchsuchen von Menschen aufgrund äußerer Merkmale. Längst ein Teil der Lebensrealität vieler People of Colour, wabert Racial Profiling auf der politischen Bühne als Kampfbegriff herum. An diesem Abend krachen zwei Welten aufeinander.

"Schärfste Waffe ist die moralische Integrität"

Der Saal des Württembergischen Kunstvereins wirkt wie eine Theater-Inszenierung. Aufgeräumt stehen die Stühle kerzengerade Richtung Podium nebeneinander. Die Stimmung ist angespannt, eine Konzentration erfüllt den Raum, als würde gleich die Abiturprüfung beginnen. Grund: die interessante Mischung an Gästen. Olimpio Alberto vom Forum der Kulturen, Biplab Basu von der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) sprechen für und als Betroffene. Auf der anderen Seite: Thomas Berger, der Polizei-Vizepräsident, und Andrea Merkle, Dozentin an der Polizeihochschule. Es kollidieren Theorie und Recht mit Praxis und Unrecht. Thomas Berger kommt aus einer Polizisten-Familie. Die Polizei ist sein Leben. Entsprechend will er seine KollegInnen verteidigen.

Verdachtsunabhängige Kontrollen, wie es im Fachjargon heißt, seien rechtswidrig. Keine Frage. Berger kommt ins Reden, erklärt viel, will "mit Vorurteilen aufräumen" – der Polizei gegenüber. Es ist so still, dass jeder herunterfallende Kugelschreiber einer Bowlingkugel gleicht. "Die schärfste Waffe der Polizei ist ihre moralische Integrität", sagt Berger. Das Pathos trieft. Das Problem jedoch bleibt: BeamtInnen verspielen eben diese Integrität, wenn sie tagtäglich Menschen aufgrund ihrer Haut- oder Haarfarbe anhalten, durchsuchen, befragen. Eine junge Frau mit rot gefärbtem Afro erzählt, wie sie am Flughafen als Einzige rausgezogen und befragt wurde. Als sie sich nach dem Grund erkundigte, sagte man ihr, das sei wegen ihrer schwarzen Haut. Polizei-Vizepräsident Berger betont nochmal, dass sowas nicht mit dem Recht vereinbar sei. Es ärgere ihn, von solchen Vorfällen zu hören. Berger stellt schließlich klar: "Es gibt Rassisten in der Polizei. Da mache ich keinen Hehl draus."

Mehr als eine nervige Begleiterscheinung

Als das nächste Stichwort fällt, rutscht Berger auf seinem Stuhl hin und her, streift sich mit den Händen durchs Gesicht. Bundespolizeigesetz, Paragraf 22/1a – er weiß schon, was jetzt kommen wird. KritikerInnen sehen diesen Absatz als Freifahrtschein für ethnisches Profiling. Denn er gibt der Bundespolizei das Recht, Menschen nach Gutdünken zu kontrollieren. Damit sollen illegale Einreisen verhindert werden. Dabei ist fraglich, ob diese Maßnahme überhaupt effektiv ist. Eine vielbeachtete Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte aus 2013 konstatiert: Von den etwa 3,6 Millionen Identitätsfeststellungen bestand nur bei 0,44 Prozent ein tatsächlicher Verdacht auf illegale Einreise oder Aufenthalt. Bei wie vielen Fällen sich der Verdacht wiederum erhärtete, ist völlig unklar.

Biplab Basu weiß aus Erfahrung: Nur vereinzelt lassen sich Opfer diese Ungleichbehandlung nicht gefallen und beschweren sich. Denn für viele Betroffene sei Racial Profiling so alltäglich, dass sie sich gar nicht die Mühe machten, sich zu wehren. Berger und Polizeiausbilderin Merkle sehen die rechtswidrigen Kontrollen eher als unglückliche Einzelfälle – für die Betroffenen hat es Struktur. Basu betreut regelmäßig Opfer dieses institutionellen Rassismus. Er betont: "Die Seele des Racial Profiling ist Kriminalisierung." Denn dabei handle es sich nicht bloß darum, grundlos angehalten und kontrolliert zu werden. Für People of Color könne diese ständige Ungleichbehandlung zu Misstrauen und Hass gegenüber der Exekutive führen. Eben Louw, der Psychologe auf dem Podium, erzählt aus seiner Therapiearbeit – von Familienvätern, die mit ihren Kindern nach dem Einkaufen nach Hause gehen und plötzlich von Polizisten wie Kriminelle behandelt werden. Ohne etwas getan zu haben. Alter oder gesellschaftlicher Status spielten dabei keine Rolle. Racial Profiling ist mehr als eine nervige Unterbrechung des Alltags: Es ist eine Verletzung der Menschenwürde und des Grundrechts auf Gleichbehandlung, wie es Artikel 3 zementiert.

Dialog als erster Schritt

Die Polizei-PR hat schon bessere Tage gesehen: Rechtsextreme Chatgruppen von BeamtInnen in NRW zeigen Fotocollagen von Flüchtlingen in Gaskammern. Der Ruf nach Maßnahmen wird laut. Medial dominiert jedoch das Hickhack der Politik. Während die Sozialdemokraten notfalls im Alleingang eine Studie zum Rassismus in der Polizei wollen, stellt sich Innenminister Horst Seehofer (CSU) nach wie vor quer, denn Racial Profiling sei ja verboten. Sebastian Fiedler, der Bundesvorsitzende des Bunds Deutscher Kriminalbeamter, ist kein Freund der Seehofer-Logik: "Das erinnert mich an ein Gespräch mit einem Freund, der Angst hat, zur Vorsorgeuntersuchung zu gehen, weil er Angst hat, dass etwas Schlimmes rauskommen könnte", sagte er im Interview mit dem Deutschlandfunk.

 

Auf Kontext-Nachfrage meint Thomas Berger, er habe nichts gegen eine solche Studie. Doch er könne auch Seehofer verstehen, denn eine solche Studie bringe nicht viel. Wieder spricht er von Vertrauen, das entstehen müsse. Er verweist zudem darauf, dass es derartige Untersuchungen in Baden-Württemberg schon gab. Was er auch lobt: den Anstieg an BeamtInnen mit Migrationshintergrund. Den gibt's im Südwesten tatsächlich, von 17 Prozent im Jahr 2009 auf 24 Prozent 2019. Lob gibt es im Kunstverein auch dafür, dass Berger als Repräsentant der Polizei überhaupt gekommen ist. Das sei nicht selbstverständlich, erklärt er: "Nicht alle im Polizeipräsidium finden es gut, dass ich heute Abend hier bin." Doch der Podiumskonsens meint: gut so. Nur durch Dialog beider Seiten könne es vorangehen. Allein das Eingeständnis, dass die Polizei ein Problem mit Rassismus hat, sei schon ein erster Schritt. Olimpio Alberto grinst ins Mikrofon: "Jetzt hat's auch der Chef bestätigt."


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4 Kommentare verfügbar

  • Dieter Reicherter
    am 04.10.2020
    Antworten
    Gut, dass Kontext das Thema aufgreift. Und gut, dass Herr Berger teilgenommen hat. Leider beobachte ich aber bei Polizeikontrollen noch mehr bedenkliche Muster. Man achte nur darauf, wie gegen Wohnsitzlose und Menschen, die es nach ihrem Aussehen sein könnten, vorgegangen wird. Das gehört inzwischen…
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