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Rassismus bei der Polizei

Gefährliche Selbstverleugnung

Rassismus bei der Polizei: Gefährliche Selbstverleugnung
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Mit seinem Nein zur Rassismus-Studie erweist Bundesinnenminister Horst Seehofer allen aufrechten PolizistInnen einen Bärendienst. Denn unbegründete Verdächtigungen hätten ausgeräumt und der Beweis geführt werden können, dass die NSU-Aufklärungsarbeit so vieler Parlamente doch nicht ohne Konsequenzen geblieben ist.

An Beispielen für Rassismus bei der Polizei ist kein Mangel. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und die vielen anderen Hardliner vor allem in der Union verhindern aber die wissenschaftliche Analyse, ob es sich um Einzelfälle handelt oder ob doch mehr offenbart wird bei unguten Nachrichten aus dem Innenleben des Polizeiapparats. Etwa wenn der Berliner Anwalt Biplab Basu, der seit 20 Jahren auch für die "Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt" arbeitet, berichtet, wie "People of Colour, also Schwarze, Türken, Araber, Sinti und Roma anlasslos kontrolliert werden".

Oder wenn die Antidiskriminierungsstelle des Bundes die Geschichte der Familie E. im Monat Juli in ihrer Rubrik "Der aktuelle Fall" beleuchtet: "Herr E., seine Frau und deren Tochter sind die einzigen schwarzen Personen im vollen Zugabteil." Natürlich werden nur sie kontrolliert, "mit ihren Erfahrungen aber stehen sie nicht allein da: Immer wieder berichten Betroffene von Racial Profiling durch die Polizei in Zügen, am Flughafen, auf dem Weg zur Arbeit oder vor der eigenen Wohnung". Oder – viel näher – wenn sich eine Beamtin aus dem Polizeirevier Stuttgart-Mitte versetzen lässt, weil sie die Anmache und die rechtsradikalen Sprüche eines Kollegen mit Ku-Klux-Klan-Vergangenheit nicht mehr aushält. "Es wäre angebracht gewesen, dem Sachverhalt durch weitere Befragungen nachzugehen", heißt es 2016 im Abschlussbericht des ersten Stuttgarter NSU-Untersuchungsausschusses. Passiert ist aber – natürlich? – nichts.

Dagegen gab es beträchtliche Aufregung, als Eva Högl zwei Jahre zuvor Klartext sprach: Aus Sicht der Sozialdemokratin zog sich "institutioneller Rassismus" durch die elf langen Ermittlungsjahre zum NSU, nach 15 Raubüberfällen, zwei Sprengstoffanschlägen und elf Morden. Damals, 2014, nahm der erste NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags seine Arbeit mit der Anhörung von Sachverständigen auf, mit Högl als Obfrau für die SPD. Am Ende machte sie im Pressegespräch klar, dass ihr die Terminologie egal und es nicht von Belang sei, ob "sanfter" von Vorurteilsstrukturen gesprochen werde. Es gehe nicht um einzelne Beamte, sondern um ein ganzes System, "das nicht in der Lage war, die eigenen Fehler zu erkennen".

Ausschuss zeigte: Viel läuft falsch bei der Polizei

Ihre Partei stellte seinerzeit mit Reinhold Gall den Innenminister in Baden-Württemberg. Die Genossen wollten nicht anstreifen ans heikle Thema, jedenfalls nicht in dieser Anfangsphase der parlamentarischen Aufklärung. Auch deshalb ist der Weg bemerkenswert, den der damalige Fraktionschef Claus Schmiedel oder Nik Sakellariou, der SPD-Obmann im ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Südwest-Landtags, zurückgelegt haben. Denn schließlich musste sich sogar Letzterer der Erkenntnis beugen, dass viel falsch läuft in einem Laden, in dem Angehörige der Bereitschaftspolizei einschlägige Musik hören und behaupten, Thor Steinar sei eine normale Klamottenmarke. Oder in dem der These, da gebe es doch reichlich rechtsextreme Gesinnung in Polizeikreisen, widersprochen wird mit dem "Argument", in Böblingen hätten sich ja nicht ganze Einheiten Glatzen schneiden lassen.

Fraktionsübergreifend wurde deshalb 2016 in der Beschlussempfehlung des Ausschusses mitgetragen, dass "der Bagatellisierung niedrigschwelliger politisch motivierter Kriminalität oder extremistischer Bestrebungen innerhalb der Polizei, aber auch darüber hinaus, entschieden entgegenzutreten" sei. Frühzeitiges Entgegentreten sei ebenso notwendig im Falle von "entsprechenden Anhaltspunkten bei einzelnen Bediensteten notfalls mit den Mitteln des Disziplinar- und des Arbeitsrechts". Bei den beiden Beamten, die über mehrere Monate hinweg Mitglieder im Ku-Klux-Klan waren, hatte das Entgegentreten nicht nur nicht funktioniert, sondern gar nicht erst stattgefunden.

Einzelfälle? Im Abschlussbericht des ab Juli 2016 tagenden zweiten NSU-Ausschusses in Baden-Württemberg ist die Rede von einem "Anliegen", denn "besondere Wachsamkeit" sei "geboten". Ausdrücklich wird auf das Amt des – inzwischen der – Bürgerbeauftragten verwiesen mit der Zuständigkeit für Belange von Polizeibeamtinnen und -beamten, weil damit "ein Ansprechpartner in den eigenen Reihen zur Verfügung steht". Die Vorgänge um die beiden uniformierten Ku-Klux-Klan-Fans wurden als "besonders schlimmes Beispiel" bewertet, wiederholen dürfe sich so etwas nicht.

Wenn die derzeitige Bürgerbeauftragte Bea Böhlen (Grüne) davon spricht, dass es zwar keinen "strukturellen Rassismus", aber "Bereiche mit Luft nach oben" gibt, und wenn sie den BeamtInnen zu mehr Mut rät, "zu Fehlern zu stehen", dann erntet sie Kritik, zumal von den Fachleuten der CDU-Landtagsfraktion. Der Waiblinger CDU-Abgeordnete Siegfried Lorek beispielsweise, selbst Polizeioberrat a.D., hat kürzlich zehn Fragen zu "Maßnahmen gegen Diskriminierung" vorgelegt und ist dabei weniger analytisch vorgegangen als eher mit der Stoßrichtung Reinwaschung – zumindest in der Tonlage: "Welche Möglichkeiten bestehen innerhalb der Polizei für Beamtinnen und Beamte, um sich gegen Diskriminierung zu wehren, unter Angabe, ob es in den letzten fünf Jahren entsprechende Fälle gab?"

Wie makellose Statistiken zustande kommen

Besonders hellhörig zu werden lohnt sich beim Thema Beschwerden und Bescheide. Einem Sprecher des Innenministeriums zufolge laufen derzeit keine Disziplinarverfahren wegen des Vorwurfs von Rassismus. Im ersten NSU-Ausschuss des Landtags gab Martin Schairer, Stuttgarts Bürgermeister für Recht, Sicherheit und Ordnung, Einblick in das Zustandekommen von makellosen Statistiken: zum Beispiel durch Abwarten, bis alle Fristen – in seinem Fall als Disziplinarvorgesetzter eines der Ku-Klux-Klan-Beamten – verstrichen sind. Schließlich, so der frühere Stuttgarter Polizeichef, ist die Polizei in der Landeshauptstadt mit 3.000 Beschäftigten "wirklich ein Riesenladen, wo natürlich der Präsident an der Spitze mit extrem vielen Vorarbeitern natürlich dann am Schluss mit der Verfügung konfrontiert war".

Was wollte der Zeuge damit sagen? Dass alle oder zumindest die entscheidenden Vorarbeiter ein Auge zugedrückt haben? Und noch ein Teil der Aussage des langjährigen CDU-Spitzenbeamten blieb in Erinnerung: Er habe mit vielen Fällen zu tun gehabt, in denen Polizeibeamte persönliche Neigungen, "vielleicht auch extreme politische Ansichten und Verhaltensweisen" geäußert hätten – konkret erinnern könne er sich aber an keinen einzigen. Aussagen, die in Stil und Inhalt nicht viel übrig lassen von der Hoffnung, die einschlägigen Probleme mit dem Denken und Fühlen mancher Polizeiangehöriger würden sich womöglich in Luft auflösen.

Genauso wie die lakonischen Anmerkungen zur Umsetzung entsprechender Empfehlungen der NSU-Ausschüsse. "Mit Blick auf einen etwaigen 'institutionellen Rassismus' mahnt der Untersuchungsausschuss eine besondere Wachsamkeit der staatlichen Institutionen, aber auch der gesamten Gesellschaft an", schreibt das Innenministerium im jüngsten Zwischenbericht. Dem sei "aus berufsethischer Sicht zuzustimmen". Polizeiwissenschaftlich gebe es seit mehr als zwanzig Jahren Forschungen zu diesem Bereich. Statt an diesem Punkt einzusteigen ins heikle Thema, wird zum nächsten Punkt übergeleitet, ganz so, als wäre alles gesagt.

Kritik auch aus den Reihen der Polizei

Gerade deshalb widersprechen inzwischen BeamtInnen, vor allem aus den Polizeigewerkschaften, selber den vielen Stimmen, die eine Durchleuchtung der Zustände als Frontalangriff missverstehen. Es gebe doch nur zwei Möglichkeiten, sagt Sebastian Fiedler, Vorsitzender beim Bund Deutscher Kriminalbeamter: Entweder die von Seehofer angekündigte und wieder abgesagte Studie zeige, dass alles in Ordnung ist, "oder sie erbringt negative Ergebnisse, dann müssen wir das doch wissen". Dass ausgerechnet der Bundesinnenminister sich jetzt hier abwehrend äußere, erschließe sich nicht, "weil es natürlich den Eindruck nährt, als gäbe es etwas zu verstecken".

Für Biplab Basu ist die Frage beantwortet. Seine Erfahrungen sprechen dafür, dass Negatives zutage treten würde und dringend aufgearbeitet werden muss: "Polizisten können die Worte Rassismus und Polizei zusammen nicht tolerieren, sie wollen das nicht hören, sie sind tief davon überzeugt, dass die Polizei nicht rassistisch sein kann." Dieses Verleugnen sei das Grundproblem, denn "vom Bundesinnenminister bis zu den Landesministern wird den Polizisten gesagt, dass es ja das Grundgesetz gibt, und dass es keinen Rassismus geben kann". Die Faustregel, nach der nicht sein kann, was nicht sein darf, hat aber noch nie gegolten. Noch eine der so wichtigen Lehren aus den NSU-Morden, die niemals in Vergessenheit geraten darf.


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2 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 24.07.2020
    Antworten
    Selbstverleugnung durch Selbstverweigerung aufrichtig, offen und ehrlich mit sich selbst umzugehen – was während der Kindheitsjahre erst angeeignet werden muss:
    2013 Kinder Uni Trier _ Wie Kinder Täuschen, Tricksen, Flunkern lernen - und wie sie lernen, dass man das nicht soll! https://www.uni-tri…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 13 Stunden
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