So also läuft das ab, wenn Beamte zusammensitzen im Gemeinschaftsraum ihres Dezernats und einen, der gerade im Urlaub war, über Neuigkeiten informieren. Eher beiläufig kommt dabei die Sprache auf den Ku-Klux-Klan und auf den Verdacht, dass ein Staatsdiener aus den eigenen Reihen beim hiesigen Ableger des US-amerikanischen Rassistenclubs mit von der Partie sein könnte. Entsetzen, wenigstens Verwunderung, Gesprächs- oder Nachfragebedarf, spontane Distanzierung? Nichts dergleichen. Der Zeuge schildert diese Begebenheit aus der Woche nach den Faschingsferien 2015 im Plauderton, mit einem Schulterzucken, als gehe es um eine Scheidung, eine Versetzung oder eine Schwangerschaft. Denn so eine Mitgliedschaft sei schließlich ja jedermanns Privatangelegenheit.
Nik Sakellariou, der SPD-Obmann im Ausschuss, war einer jener, die den Südwesten nicht in einem Atemzug genannt wissen wollten mit Thüringen, mit Köln oder Kassel. Inzwischen ist der Saulus ein Paulus, der schon heute, wiewohl der Ausschuss noch immer am Anfang steht, weiß, dass es "ziemlich tiefgreifende Veränderungen" wird geben müssen. Die sind – nicht nur, aber auch – organisatorischer Art. Die Arbeit der Ermittler rund um die Verbrennung des Rechts-Aussteigers Florian Heilig im September 2013 spottet jeder Beschreibung. Am vergangenen Montag trat eine Kriminaltechnikerin auf, die eine junge Kollegin in Details der Tatortdokumentation hatte einweihen wollte. Als der Zuständige die Durchsuchung des inzwischen ins Polizeipräsidium gebrachten Peugeot kurz verließ, unter anderem, um mittagessen zu gehen, überwachte sie die Arbeiten informell. Verantwortlich für irgend etwas fühlte sie sich dennoch nicht. Wie eine Litanei leierte sie Sätze zu ihrem Verständnis von Arbeitsteilung herunter, wie "Davon verstehe ich nichts", "Ich habe von nichts gewusst", "Ich kann Ihnen nicht mehr sagen." Später in einer Pause werden Abgeordnete darüber spekulieren, ob die Zeugin, immerhin im Range einer Kriminalhauptkommissarin, ihren Arbeitsalltag tatsächlich mit diesem mager ausgeprägten Erkenntnisinteresse bewältigt – oder ob sie bloß eine Rolle spielte und in Wirklichkeit viel mehr weiß zum brisanten Fall Heilig.
"Ich hatte keine Aufgabenstellung"
"Alle Beamtinnen und Beamten sind für ihre Aufgaben in Theorie und Praxis hervorragend ausbildet", heißt es in der Selbstdarstellung der baden-württembergischen Polizei. Der Mensch stehe im Mittelpunkt, Bürgernähe sei "ebenso gelebte Wirklichkeit wie die Beachtung von Recht und Gesetz bei der Erfüllung aller ihrer Aufgaben". Sätze wie in Butter gemeißelt, die wohl keiner der Abgeordneten, die seit vier Monaten intensiv mit dem NSU befasst sind, heute mehr undiskutiert unterschreiben würden. Nicht, dass es sie nicht gäbe, die Polizisten, die sich "als aktives Glied der Gesellschaft" verstehen, die "im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Zukunft mitgestalten". Es gibt aber auch die anderen. Und zwar nicht nur in jenen Einsatzhundertschaften oder mobilen Kommandos – siehe Schlossgarten –, sondern hinter dem Schreibtisch ebenfalls. Die Kriminaltechnikerin will aus der Zeitung erfahren haben, dass der junge Tote wenige Stunden später zur Ermordung von Michèle Kiesewetter hätte verhört werden sollen. "Ich hatte keine Aufgabenstellung", sagt sie geschraubt, "ich war zu keinem Zeitpunkt mit tiefergehenden Maßnahmen betraut." Sie habe "ihren Part erfüllt". Für Zusammenhänge hat sie sich jedenfalls nicht interessiert, wiewohl doch landläufig unterstellt wird, dass Polizeibeamte nichts so sehr aufwühlt wie ein KollegInnenmord.
Gerade deshalb muss es Veränderungen beim Thema Selbstverständnis und in der Stellung in der Gesellschaft geben. Wie frappierend das Desinteresse im Todesermittlungsverfahren Heilig ist, wird beim Blick auf den Zeitablauf überdeutlich. Mitte September 2013 war der Münchener NSU-Prozess gerade aus der Sommerpause gekommen, behandelt wurde der Mord an Ismail Yasar acht Jahre zuvor in Köln. Die Medienberichterstattung war breit und riss, etwa wegen umfangreicher Befangenheitsanträge, nicht ab. In Baden-Württemberg mühte sich die von Innenminister Reinhold Gall (SPD) eingesetzte Ermittlungsgruppe Umfeld seit inzwischen sechs Monaten, die Spuren auszuleuchten, die der NSU gezogen haben könnte. Bundesweit werden immer neue Details zur rechtsradikalen Mordserie bekannt und hierzulande immer neue Spekulationen laut zur Qualität der Ermittlungen in Heilbronn.
Rechte Szene? Was für eine rechte Szene?
In dieser Situation, am 16. September im Laufe des Tages, sind alle beteiligten Beamten mit der Mitteilung konfrontiert, dass Heilig rechter Aussteiger war, dass er am Todestag zum Kiesewetter-Mord verhört werden sollte. Entsetzen, wenigstens Verwunderung, Gesprächs- oder Nachfragebedarf? Abermals Fehlanzeige. Am Dienstag machte Drexler sogar hinter den verschlossenen Türen des SPD-Fraktionsvorstands kein Hehl aus seiner Erschütterung über das Bild, das Teile der Polizei abgeben. Der Druck selbst aus den Reihen der Sozialdemokraten auf den Innenminister wächst, in internen Ermittlungen im zweiten Durchlauf nach der EG Umfeld "mit dem Drahtbesen durchzukehren", so einer der roten Abgeordneten. Diskutiert werden müsse auch darüber, "ob Vorgesetzte eigentlich ausreichend durchgreifen, wenn sie über solche Vorgänge informiert werden".
Wie sehschwach zumindest Einzelne sind, wird in der Aufklärungsarbeit im Ausschuss häufig in Nebensätzen deutlich. In Heiligs Zimmer daheim finden Beamte einen Spruch von Rudolf Hess. Was niemanden auf die Idee bringt nachzuforschen. Selbst Hakenkreuzfahnen lösen keinen Alarm aus. Zwei Heilbronner Staatsschützer machen alles andere als eine gute Figur: Der eine – mit jahrelanger Zuständigkeit für die rechte Szene – bestreitet praktischerweise die Existenz derselben. Der andere, der Vorgesetzte, geht differenzierter vor, weiß um einzelne Organisationen – ohne allerdings trotz mehrfacher Nachfragen Zahlen nennen zu können –, berichtet von Verbindungen und von jener "gemischten Harmonie-Gruppe", die sich Tag für Tag bei der gleichnamigen Stadthalle trifft. Parolen oder Posen werden vor allem mit Alkoholkonsum erklärt. Immer nach der schon mehrfach von Polizisten vertretenen Devise: Ein Angetrunkener vor einem Hakenkreuz muss ja nicht unbedingt gleich rechtsradikal sein. "Ich kann sechs Flaschen Wodka aussaufen", platzt Drexler der Kragen, "und stelle mich nicht vor eine Hakenkreuzfahne."
13 Kommentare verfügbar
Michael Schock
am 22.04.2015Das trifft leider nicht nur auf die ganze NSU Verwicklung von Beamtinnen und Beamte zu, sondern auch auf die Durchführung des schwarzen…