Aber ist diese Kritik nicht ihrerseits überzogen, ist sie vielleicht zurückzuführen auf ein subjektives und somit leicht zu widerlegendes Empfinden? Nun, der Programmbeirat der ARD hat 2014 in Sachen Ukraine-Berichterstattung ebenfalls den "Eindruck der Voreingenommenheit" festgehalten, sie sei "einseitig", "fragmentarisch", "mangelhaft" und "tendenziell gegen Russland und die russischen Positionen" gerichtet. Insbesondere gerügt wurden die "Weltspiegel"-Ausgaben des Bayerischen Rundfunks mit ihrer "einseitigen, fast schon an die Sprache des Kalten Krieges gemahnenden Moderation". Auch was die Nato, den Majdan-Rat oder das Assoziierungsabkommen mit der EU betrifft, das Präsident Janukowytsch verschieben wollte, schreibt der Programmbeirat, es habe dazu keine differenzierenden Berichte gegeben. Dass dieses Abkommen nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine militärische Anbindung der Ukraine an den Westen beinhaltet, wurde und wird den Zuschauern und Lesern also meist vorenthalten.
Die Nato wollte sich doch nicht nach Osten ausdehnen
War nicht schon die Nato-Osterweiterung geschichtsvergessen? Wurde Michail Gorbatschow bei der von ihm ermöglichten deutschen Wiedervereinigung nicht versichert, dass sich das Militärbündnis "keinen Zentimeter nach Osten" bewegen würde? Könnte man nicht, nachdem 2016 in den neuen Nato-Mitgliedsstaaten Polen und Rumänien Raketensysteme installiert wurden (vom Westen als nur zur Abwehr tauglich, von Russland als angriffsfähig bezeichnet), russische Vorbehalte gegen eine militärische Assoziierung der Ukraine nachvollziehen? Sollte man sich mal wieder eine Karte anschauen und von der geografischen auf die politische und militärische Situation schließen? Und sollte man sich nicht erst mal im eigenen Lager umschauen, bevor man mit dem Finger auf andere zeigt? Als die Sowjetunion 1962 Raketen auf Kuba stationieren wollte, fühlten sich die USA bedroht und es kam beinahe zum Weltkrieg.
Kleiner Exkurs 1: Russland hat im Jahr 2017, so das Internationale Institut für strategische Studien, 61,2 Milliarden Dollar für Rüstung ausgegeben, es liegt damit auf Platz vier der Liste. Auf Platz 1 stehen die USA, die 602,8 Milliarden Dollar ausgeben haben, also fast zehnmal so viel wie der Feind Russland, das übrigens noch hinter Saudi-Arabien (76,7 Milliarden Dollar) firmiert.
Sogar der deutsche Ex-General Klaus Reinhardt, der die KFOR-Truppen im Kosovo befehligte, hat den Ausschluss Russlands vom G-7-Treffen damals kritisiert ("Damit vergibt man sich die Möglichkeit, auf der höchsten Ebene mit Putin zu reden und zu verhandeln."), genauso wie Harald Kujat, Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr, der von einem Versagen der Nato in der Ukraine spricht und nachvollziehen kann, dass Russland sich eingekreist fühlt. Warum werden solche Positionen ignoriert, marginalisiert oder als blanker Unsinn bezeichnet?
Was könnte dahinter stecken? Nun, in einer Ausgabe der ZDF-Sendung "Die Anstalt" von 2014 deckt eine Schautafel auf, in welchen und in wie vielen transatlantischen Aufrüstungs-Lobby-Bündnissen Journalisten wie Stefan Kornelius von der "Süddeutschen Zeitung" oder Josef Joffe von der "Zeit" tätig sind. "Aber dann sind ja alle diese Zeitungen nur so etwas wie Lokal-Ausgaben der NATO-Pressestelle," stellt Claus von Wagner fest. Dietrich Krauß, der für "Die Anstalt" schreibt, hat <link https: www.kontextwochenzeitung.de medien mal-nato-hure-mal-putin-pudel-3331.html _blank internal-link-new-window>in einem Kontext-Interview über den "Zeit"-Redakteur Jochen Bittner gesagt: "Wenn Bittner erst an einem Papier eines transatlantischen Thinktanks mitarbeitet, das einen Strategiewechsel in der Außenpolitik fordert; wenn dieses Papier dann in die wichtige Rede von Bundespräsident Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 zur neuen Verantwortung Deutschlands einfließt und derselbe Redakteur danach in der ‘Zeit’ durchaus wohlwollend über diese Rede schreibt, dann ist das, finden wir, ein merkwürdiges Rollenverständnis von Journalismus." Bittner und Joffe haben gegen diese Sendung geklagt, der BGH hat die Klage 2017 abgewiesen.
Schon Kohl hat vor der Isolation Russlands gewarnt
Auch der Ex-Kanzler Helmut Kohl hat die Isolation Russlands durch den Westen kritisiert, die Ausladung des Landes beim Treffen der Industrienationen als "einschneidend" und "bedrückend" bezeichnet. Der Ex-Kanzler Helmut Schmidt hat Kohl beigepflichtet, für "eine stabile europäische Sicherheitsordnung" sei die Einbeziehung Russlands notwendig, der Versuch der EU-Kommission, die Ukraine anzugliedern, sei falsch, er halte auch "nichts davon, einen dritten Weltkrieg herbeizureden, erst recht nicht von Forderungen nach mehr Geld für Rüstung der Nato. Aber die Gefahr, dass sich die Situation verschärft wie im August 1914, wächst von Tag zu Tag."
Dass Ex-Kanzler Gerhard Schröder eine andere Russland-Politik fordert, überrascht nicht. Dass aber 60 weitere Personen - darunter Antje Vollmer, Erhard Eppler, Roman Herzog, Hans-Jochen-Vogel, Reinhard Mey, Manfred Stolpe, Mario Adorf, Wim Wenders, Otto Schily, Margot Käßmann, Burkhard Hirsch, Herta Däubler-Gmelin und Lothar de Maiziere – 2014 den Appell "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" unterzeichnet haben, müsste eigentlich aufhorchen lassen. Darin werden auch die Medien ("Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker...") aufgerufen, ihrer Pflicht zur vorurteilslosen Berichterstattung nachzukommen. Der Appell wurde, so kritisiert Stefan Niggemeier in seinem Blog, von ARD und ZDF zunächst völlig ignoriert.
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Andreas Hildebrandt
am 02.04.2018