"Reine Routine", sagt die Angestellte der Highland Creek Klinik zu Sawyer Valentini (Claire Foy) und schiebt ihr nach einem Beratungsgespräch ein paar Formulare hin. "Folgen Sie mir!", sagt dann im Foyer ein Mann im weißen Kittel zu der irritierten jungen Frau, die gerade das Gebäude verlassen will, und führt sie durch lange Korridore zu einem Behandlungszimmer. "Ausziehen, bis auf die Unterwäsche!", befiehlt nun, nachdem sie die Tür verriegelt hat, eine bullige Schwester und streift sich ein Paar Gummihandschuhe über. Das müsse doch alles ein Irrtum sein, sagt Sawyer, die nur mal über ihre Probleme mit einem Stalker sprechen wollte. Aber sie hat eine Klausel im Kleingedruckten überlesen und ist nun in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie gelandet. Und alles, was sie jetzt sagt und tut, wird gegen sie verwendet werden.
Stephen Soderberghs Thriller "Unsane - Ausgeliefert" spielt mit jenen Ängsten und Alpträumen, die seit den Zeiten von Doktor Caligari und Doktor Mabuse - beide ja Chefs von Psychiatrie-Kliniken! - durch die Geschichte des Kinos irrlichtern. In Milos Formans "Einer flog über das Kuckucksnest" (1975) rebelliert Jack Nicholson als anarchischer Held, der eine psychische Erkrankung nur vortäuscht, gegen das autoritäre System und wird durch Lobotomie für immer ruhiggestellt. In Sam Fullers expressivem und exzessivem "Shock Corridor" (1963) will ein Journalist einen Mord aufklären, lässt sich in eine Anstalt einweisen und verliert in dieser, unter anderem durch Elektroschockbehandlung, tatsächlich den Verstand.
Einige Motive dieser Genre-Klassiker finden sich auch in "Unsane", dazu noch jene manipulative Variante, die im Englischen "gaslighting" genannt wird und, was diese Bezeichnung betrifft, ihren Ursprung ebenfalls im Kino hat: In dem Thriller "Gaslight" von 1944, bei uns bekannt als "Das Haus der Lady Alquist", versucht ein Mann, seine Frau in den Irrsinn zu treiben. Die gutgläubig-sanfte Ingrid Bergman konnte diesem bösen Unterfangen damals kaum Widerstand entgegensetzen, die selbstbewusste Claire Foy dagegen zeigt in "Unsane" von Anfang an, wie sich die Zeiten geändert haben: Mit nie nachlassender Renitenz weigert sie sich, die Rolle des Opfers anzunehmen. Und wie es der zierlich-kleinen Schauspielerin ("The Crown") gelingt, sogar barfuß und im flattrigen Anstaltshemdchen als Person dazustehen und nicht als passives und zu behandelndes Etwas, das ist wirklich groß.
Altbekannte Horror-Motive
Aber als Sawyer, die als Analystin in einer Bank arbeitet, ganz rational darlegt, dass sie irrtümlich eingewiesen wurde, hört der Arzt kaum zu. Als sie dann die Polizei um Hilfe bittet, rücken zwei gelangweilte Beamte an, die sich von der Rezeptionistin sofort abspeisen lassen. Als sie sich schließlich physisch wehrt gegen derangierte und zudringliche Mitpatienten wie die neben ihr liegende Violet (Juno Temple), wird dies als gewalttätiges und den Aufenthalt verlängerndes Verhalten interpretiert. Nur ihr schwarzer Mitinsasse Nate (Jay Pharoah), der ebenfalls sehr vernünftig wirkt, hat ein Ohr und manchmal auch ein eingeschmuggeltes Handy für Sawyer. Nate weiß zudem, warum sie hier festgehalten wird: Weil die Klinik nämlich gut an ihr verdient, jedenfalls solange ihre Versicherung für Unterbringung und "Behandlung" zahlt. "Sie sperren gesunde Menschen ein wegen des Profits!", so fasst Sawyer die Ausführungen Nates zusammen. Sie weiß jetzt also, dass das, was ihr passiert, kein Einzelfall ist. Die Sache hat System.
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