Der Herr und Meister führt penibel seine Morgentoilette durch, kleidet sich an, erscheint bei Tisch, wo schon seine derzeitige Freundin wartet und auch seine Schwester und Vertraute Cyril (Lesley Manville). Nein, das Frühstück behagt ihm nicht, er habe doch gesagt: "Nichts schwer Verdauliches mehr!" Die solcher Art getadelte Freundin begehrt ein bisschen auf, aber er meint dazu nur schmallippig, für "Konfrontation" habe er keine Zeit. Schließlich ist er Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis), der berühmte Modemacher, der in einem Londoner Stadtpalais residiert und seit vielen Jahren die Damen der Society mit mondänen Modellen ausstatten muss.
Die streng über ihren Bruder wachende Cyril erklärt dessen Beziehung nun für beendet, er solle der Geliebten, so wie den andern vorher, zum Abschied noch ein Kleid schenken und sie dann schnell verabschieden. Es sei für ihn eben alles ein bisschen viel gewesen, der leicht angegraute, ein wenig gebeugte Reynolds, von Kopfweh und vielleicht auch von einer Depression geplagt, solle ein wenig ausspannen und zur Erholung aufs Land fahren. So rast er mit seinem Sportwagen an die Küste und bestellt in einem Hotel ein Frühstück, dieses nun sehr englisch, also ein Haufen schwer Verdauliches. Er bestellt es nämlich bei einer jungen Bedienung (Vicky Krieps), einer morgenfrisch lächelnden Frau, bei deren bloßem Anblick sein Magen zu gesunden scheint und sein Gesicht zu Leuchten beginnt. Sie reicht ihm danach einen Zettel, auf dem steht: "For my hungry boy. My name is Alma". Er lädt sie sofort zum Abendessen ein, was sie wie selbstverständlich annimmt.
So beginnt es. Die Frage ist nur: Was beginnt eigentlich? Denn Reynolds ist nicht auf eine Romanze aus, jedenfalls nicht auf traditionelle Art. Er macht sich also nicht an Alma ran oder gar über sie her, sondern fängt zunächst damit an, sie nach seinem Willen und seiner Vorstellung zu formen. Mit höflich verbrämter Übergriffigkeit ("Darf ich?") wischt er ihr noch im Restaurant den Lippenstift weg, will diese Frau also lieber naturbelassen, bringt sie dann in sein Landhaus und beginnt ohne weitere Erklärung damit, sie zu vermessen. Gleich am ersten Abend eignet der Egomane Reynolds, nun wieder ganz straff und aufrecht, sich also diese so versonnen lächelnde Frau an und probiert sie aus als Modell. Und Cyril, die nun auch noch dazustößt, notiert sich gleich die von Reynolds ermittelten Maße und sagt später zu Alma, die sich ihren Körper betreffend unsicher zeigt: "Sie sind perfekt. Er mag Frauen mit Bäuchlein."
Ein Porträt von Mama im Anzug eingenäht
Der Regisseur Paul Thomas Anderson, der nach seinem gewalttätigen und furiosen Drama "There will be Blood" zum zweiten Mal mit Daniel Day-Lewis zusammenarbeitet, stellt in "Der seidene Faden" eine Welt des Reichtums, der Stile und der Moden vor, die zwar im England der fünfziger Jahre angesiedelt ist, sich aber gegen die prekäre Nachkriegszeit vollkommen abschottet. Nein, nicht vollkommen. Sehr subtil setzt Anderson Zeichen dafür, dass es jenseits dieses exquisit inszenierten, an seinem guten Geschmack aber schier erstickenden Mikrokosmos noch etwas anderes gibt. Auch wenn Almas Herkunft nie ganz geklärt wird, so deutet ihr leichter Akzent (der in der deutschen Fassung leider verloren geht) doch darauf hin, dass sie vom Kontinent kommt, dass sie vielleicht Jüdin ist. Jedenfalls hat sie wohl mehr erlebt, als man ihr zutrauen würde. Und spätestens dann, wenn sie Reynolds nachsichtig erklärt, er sei gar nicht so stark, er tue nur so, zeigt sie sich ihm als ebenbürtig.
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