Ein Stier im Porzellanladen, ein verdammt großer Stier noch dazu. Ja, es ist ein monströser schwarzer Fleischberg, der gerade wie tollwütig durch die Gassen einer spanischen Kleinstadt gerast ist und dabei die Stände und Büdchen eines floralen Folklorefests zertrümmert hat. Der Zuschauer weiß also, was jetzt kommt. Eine Sequenz mit hohem Klirrfaktor nämlich, eine scheppernd-scherbige Destruktionsorgie, die ... Aber was macht dieser Stier denn nun? Er steht so bedröppelt da, als wüsste er ganz genau, was die Zuschauer erwarten. Und als wolle er diese Erwartungen auf keinen Fall erfüllen. Was er vorher angerichtet hat, das passt ja auch gar nicht zu ihm. Zu dieser wilden Wüterei ist es bloß gekommen, weil ihn eine Biene ins Hinterteil gestochen hat. Tatsächlich ist er doch Ferdinand, ein sanfter Riese und der friedlichste Stier aller Zeiten.
Im Jahr 1936 kam er auf die Welt, da wurde nämlich Munro Leafs Kinderbuch "Ferdinand, der Stier" veröffentlicht, in dem der Titelheld lieber an Blumen riecht, als in der Arena zu kämpfen. Es war das Jahr, in dem der spanische Bürgerkrieg begann, und tatsächlich wurde diese Geschichte von manchen auch als aktueller Kommentar gesehen und mitunter auch denunziert. Die überwiegenden Reaktionen aber fielen so positiv aus, dass die Walt Disney Studios das Buch schon 1938 als achtminütigen Zeichentrickfilm adaptierten. "Wie soll man denn gegen jemanden kämpfen, wenn der gar nicht will?", fragt am Ende dieses schnellen und spritzigen Abenteuers (unter anderem auf Youtube zu finden) ein verzweifelter Matador. Und der liebe Ferdinand darf schließlich zurück auf seine Blumenwiese.
Nun also, fast acht Jahrzehnte später, ist Ferdinand in einem von Carlos Saldanha inszenierten, computeranimierten Spielfilm in 3-D zu erleben, der sich 106 Minuten Zeit nimmt und deshalb der Originalgeschichte viele neue Figuren und viele neue Schauplätze einschreibt. Unter anderem eben diesen Porzellanladen, durch den Ferdinand nun ganz, ganz vorsichtig hindurch will. "Denk dich dünn", befiehlt er sich, rückt spitzhufig Tellerstapel auseinander, schiebt seinen massigen Körper an ihnen vorbei, und versucht auch dann noch ruhig zu bleiben, als die kurzsichtige Ladenbesitzerin seinen Schwanz mit einem Staubwedel verwechselt. Nein, Ferdinand ist wirklich nicht schuld, dass in dem Porzellanladen am Ende trotzdem das passiert, was im Englischen eben nicht der sprichwörtliche Elefant, sondern der Stier anrichtet.
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