Der Krieg, auf den die heutige Lage im Nahen Osten zurückgeführt werden kann, begann mit einer Lüge. Am 5. Februar 2003 präsentiert der US-Außenminister Colin Powell dem Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen "Beweise" dafür, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitze. Er zeigt Satellitenfotos von Lastwagen mit angeblichen Biowaffen-Laboren, er hält ein Reagenzglas hoch, um zu demonstrieren, was schon eine kleine Menge von Bakterien anrichten könne. Die Bush-Regierung und die Blair-Regierung in Großbritannien trommeln nun eine "Koalition der Willigen" zusammen, am 20. März greifen sie den Irak an. Eine Invasion ohne UN-Mandat, ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Später, als nichts mehr rückgängig zu machen ist, gesteht Powell ein, dass die "Beweise" vom CIA gefälscht wurden und er sich, <link http: www.faz.net aktuell politik europaeische-union irak-krieg-powell-schandfleck-meiner-karriere-1255325.html external-link-new-window>so die FAZ am 9. September 2005, für seinen UN-Auftritt schäme. Der SPD-Bundeskanzler Schröder hat sich damals der "Koalition der Willigen" verweigert, Angela Merkel hat ihn dafür als Bundesvorsitzende der Union scharf kritisiert. Als Regierungschefin wäre sie damals mit in den Krieg gezogen.

Kein Ausscherer: Heiko Maas. Foto: Jochen Zick, action press/Flickr, CC BY 2.0
Fünfzehn Jahre später, am 7. April 2018, wird ein angeblicher Giftgasangriff der syrischen Assad-Regierung gegen die von Rebellen gehaltene Stadt Duma gemeldet. Für die US-Regierung sind die Beweise wieder mal ausreichend, der von Präsident Trump als "Tier" bezeichnete Assad sei auf jeden Fall schuld, es müsse Konsequenzen geben. Großbritanniens Premierministerin Theresa May und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sind ebenfalls dafür, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt sich, <link https: www.zdf.de nachrichten heute giftgas-einsatz-durch-assad-merkel-sieht--schwere-indizien-102.html external-link-new-window>wie das ZDF am 11. April meldet, von "schweren Indizien" beeindruckt und lässt ihren Regierungssprecher in fast biblischem Tonfall verkündigen, dass solche Taten "nicht ungesühnt bleiben" dürften. Aber gibt es da nicht noch einen SPD-Außenminister? Ja, er heißt Heiko Maas, aber anders als im Jahr 2003 sein Parteigenosse Schröder schert er nicht aus, plädiert im Gegenteil für einen "härteren Kurs" gegenüber Russland, dreht also Willy Brandts Entspannungspolitik um. Und er wäre, wenn man ihn angefragt hätte, bei der von den USA angeführten Militäraktion wohl dabei gewesen. Ohne Anfrage signalisiert die deutsche Regierung "nur" ihre politische Unterstützung.
Die Gefahr einer bewaffneten Konfrontation zwischen den Atommächten USA und Russland ist in diesen Tagen so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der UN-Generalsekretär António Guterres fordert internationale Ermittlungen zum angeblichen Giftgasanschlag: "Die Schwere der jüngsten Beschuldigungen erfordert eine gründliche Untersuchung auf Basis unparteiischen, unabhängigen und professionellen Sachverstandes." Stattdessen aber arbeiten die Propagandamaschinen beider Seiten auf Hochtouren, unparteiisch und unabhängig ist in diesem Konflikt deshalb kaum mehr jemand. Und selbst wenn: Der Westen will nicht auf ein UN-Untersuchungsergebnis warten. In der Nacht zum Samstag, dem 14. April 2018, folgt also ein von Donald Trump befohlener und von Großbritannien und Frankreich mit ausgeführter Luftschlag gegen Syrien. Ohne UN-Mandat. Völkerrechtswidrig. Bleibt es jetzt tatsächlich bei diesem einen Angriff?
Nicht nur Politik und Militär rüsten auf
Kaum jemand scheint an einer Deeskalation interessiert. Und es sind ja nicht nur Politik und Militär (man höre mal dem Nato-Sprecher Jens Stoltenberg zu!), die seit langem verbal aufrüsten, damit endlich Taten folgen können und konnten. Nein, es sind auch viele namhafte Medien, in Deutschland von der "Tageschau" und den "Heute"-Nachrichten über den "Spiegel" und die "FAZ" bis hin zur "Süddeutschen". Wie gehen sie mit dem angeblichen Giftgasangriff auf Duma um, nachdem sie sich schon im Fall Skripal schnell Theresa Mays Es-waren-die-Russen-These angeschlossen haben? Auch im Fall Duma werden als Schuldige schnell Syrien und Russland gebrandmarkt. Zwar wird manchmal noch das Wort "mutmaßlich" vor den Giftanschlag gesetzt, aber wirkliche Zweifel, was Täter oder Tat betrifft, werden kaum geäußert. "Selten so eine mediale Einheitsfront gesehen wie in Bezug auf Russland", zitiert der Medienjournalist Stefan Niggemeier am 13. April 2018, also einen Tag vor dem US-Luftschlag, <link https: uebermedien.de selten-so-eine-mediale-einheitsfront-gesehen-wie-in-bezug-auf-russland external-link-new-window>die grüne Politikerin Antje Vollmer auf "Übermedien", nachdem ein <link http: www.antje-vollmer.de russlandpolitik.htm _blank external-link-new-window>Deeskalationsappell, in dem Vollmer, Edmund Stoiber (CSU), Horst Teltschik (CDU), Günter Verheugen (SPD) und Helmut Schäfer (SPD) vor einem "dritten und letzten Weltkrieg" warnen, von fast allen Medien ignoriert wurde.
Und wie viele Zuschauer der öffentlich-rechtlichen Nachrichten, wie viele Leser der Qualitätszeitungen – von den anderen Medien gar nicht zu reden – wissen eigentlich etwas über die sogenannten Rebellen? Der Wissenschaftler Werner Arnold <link http: www.dw.com de syrische-christen-zunehmend-unter-druck a-17272533 external-link-new-window>erklärt schon am 28. Dezember 2013 in der "Deutschen Welle": "In der Vergangenheit galt die Lage der Christen in Syrien im Vergleich mit anderen Ländern im Nahen Osten als gut. Das Regime in Damaskus erlaubte ihnen, Kirchen zu bauen, sie bekamen eine eigene Einrichtung zur Förderung der aramäischen Sprache. Mit Ausbruch der Rebellion gegen Assad traten allerdings bewaffnete Gruppierungen auf den Plan, die einen islamischen Gottesstaat errichten wollen und andere religiöse Gemeinschaften bekämpfen." Der Historiker <link https: www.berliner-zeitung.de politik meinung kommentar-der-westen--der-is-und-die-moral-iii-28129820 external-link-new-window>Götz Aly zitiert dann am 7. August 2017 den Franziskanerpater Ibrahim Alsabagh, der im von Rebellen gehaltenen Westteil von Aleppo ausharrt: "Was wir in diesen Tagen hier erleben, ist die beispiellose Grausamkeit der dschihadistischen Milizen, die den Waffenstillstand und den Weg des Dialogs nicht akzeptieren und stattdessen weiter Raketen auf überfüllte Wohnsiedlungen abfeuern."
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Charlotte Rath
am 20.04.2018französischen Militärschlags vom 14. April 2018 gegen
Chemiewaffeneinrichtungen in Syrien" ist hier die Stellungnahme des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zu finden:…