Ohnehin haben aufmerksame Beobachter längst eine Gesetzeslücke in der bestehenden Rechtslage ausfindig gemacht: Das Erschleichen einer Leistung setzt eine "gewisse Heimlichkeit" voraus, wie das Bayerische Oberste Landesgericht bereits 1969 ausführte.
Wer also aktiv genug darauf hinweist, sich ohne gültigen Fahrschein transportieren zu lassen, hat strafrechtlich wenig zu befürchten (im Gegensatz zum erhöhten Beförderungsentgelt, an dem ohne Fahrschein kein Weg vorbei führt). Und tatsächlich gibt es zahlreiche Fallbeispiele für Freisprüche. Strittig ist dabei lediglich, wie sehr man sich zum Affen machen muss, damit nicht mehr von einem Erschleichen der Leistung gesprochen werden kann. Dem Amtsgericht Frankfurt genügte es etwa, dass ein Mann per T-Shirt-Aufdruck darauf hinwies, sich ohne Fahrschein befördern zu lassen. Ein Richter aus Hannover sprach hingegen trotz klar gekennzeichneter Kleidung schuldig – der Schwarzfahrer hätte darüber hinaus vor der Fahrerkabine herumhampeln und mit auffälligem Gebaren auf sein Shirt hinweisen müssen, damit der Anschein eines ordnungsgemäßen Erfüllens der Beförderungsbedingungen nicht mehr gegeben sei.
Die Fernseh-Anwälte Stephan Lucas und Alexander Stevens, bekannt aus der Sat-1-Justiz-Doku-Soap "Richter Alexander Hold", raten daher in "Garantiert nicht strafbar", einem Ratgeber zum effektiven Ausnutzen von Gesetzeslücken: "Ergänzen Sie deshalb Ihr Schwarzfahrer-Shirt ruhig noch um Schwarzfahrer-Buttons und -Aufkleber sowie um eine modisch kleidsame schwarze Schwarzfahrer-Schirmmütze. Singen Sie während der Fahrt ruhig eine selbstkomponierte Schwarzfahrerhymne. Hauen Sie auch Ihre Mitreisenden aufmunternd an: 'Na, was hat das Ticket gekostet? Ich bin voller Bewunderung ob Ihrer Zahlungswilligkeit. Ohne Leute wie Sie würde das ganze System hier zusammenbrechen!'"
Schwarzfahren als politische Aktion
Doch selbst das genügt noch nicht, um staatlicher Repression garantiert zu entgehen. So fanden sich im März 2015 fünf Umweltaktivisten zum gekennzeichneten Aktionsschwarzfahren zusammen. Obwohl ihr Transport in einem Wagen der Deutschen Bahn, wie sie mitteilen, dank "Megafon, Spruchbändern, Flyern und Schildern am Körper, bundesweiter Presseankündigung und Polizeibegleitung alles andere als heimlich erfolgte", muss sich einer der Teilnehmenden, Dirk Jessen, aktuell vor dem Landgericht München verantworten. Eine skurrile Konstellation: Deutschlands vielleicht bekanntester Schwarzfahraktivist, Jörg Bergstedt, war ebenfalls an der Aktion beteiligt, wurde jedoch vor einem anderen Gericht bereits freigesprochen. Als Laienanwalt vertritt er nun Jessen im Münchner Prozess, der am 11. April dieses Jahres begann.
Im Gespräch mit Kontext fragt Bergstedt, der sich gemeinsam mit seinen KollegInnen der Projektwerkstatt Saasen bereits seit einem Jahrzehnt für die Entkriminalisierung von Schwarzfahrern engagiert, wo bei ihrer Aktion auch nur ein Anhaltspunkt für ein heimliches Leistungserschleichen vorliegen solle. Zudem sei es den AktivistInnen nicht darum gegangen, sich Fahrtkosten zu ersparen und sich auf Kosten der Gesellschaft zu bereichern: "Für uns ist Schwarzfahren eine politische Aktion." Er verstehe es als Engagement für eine radikal-ökologische Verkehrswende und Selbstermächtigung. Wenn "bürgerliche Kräfte da jetzt hysterisch drauf ausrasten", helfe das letztlich, den Ideen der Freifahrer eine größere Plattform zu bieten.
10 Kommentare verfügbar
David Werner
am 20.04.2018Minh Schredle
am 20.04.2018Manfred Bartl
am 19.04.2018Dr. Diethelm Gscheidle
am 18.04.2018bitte teilen Sie mir doch mit, wann Sie das nächste Mal gedenken, in Bus- und Bahn schwarz zu fahren. Ich verspreche Ihnen, dass ich dann bestimmt auf genau dieser Fahrt Ihre Fahrkarten kontrollieren und von Ihnen das erhöhte Beförderungsentgelt einziehen werde - ein solch gutes Geschäft lasse ich mir nicht entgehen! Als redlicher Mensch bin ich ja bekanntlich dazu berechtigt, Fahrkartenkontrollen durchzuführen und das erhöhte Beförderungsentgelt zu vereinnahmen (welches ich für meinen Aufwand selbstverständlich behalten darf) - besonders gerne führe ich Fahrkartenkontrollen in Schulbussen durch, da unsere heutige Jugend ja bekanntlich besonders kriminell veranlagt ist; dort ist dann auch die Erfolgsquote höher. Als Verkehrswissenschaftler verfüge ich selbstverständlich auch über die Fachkompetenz, Fahrkartenkontrollen durchführen zu können.
Ansonsten lasse ich mir ungerne vorwerfen, dass ich Autofahrer und ÖPNV-Nutzer unterschiedlich behandle, wie es in diesem Artikel anklingt! Selbstverständlich zeige ich auch regelmäßig kriminelle Falschparker bei der redlichen Polizei an. Auch Altglastonnen-nach-zugelassener-Einwurfzeit-Befüller, Rasen-im-Park-Betreter, Mülltonen-nicht-auf-eigenes-Grundstück-Steller und andere Schwerkriminelle haben bei mir nichts zu lachen!
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Diethelm Gscheidle
(redlicher und gesetzestreuer Bürger, Verkehrswissenschaftler & Dipl.-Musikexperte)
P.S.: Kürzlich meinte ein Busfahrer doch tatsächlich zu mir, ich hätte eine Fahrkarte zu lösen! Dies ist natürlich hahnebüchener Unsinn - seit wann benötigt ein Fahrkartenkontrolleur denn einen Fahrausweis?
Peter Kurtenacker
am 18.04.2018Hier soll wieder durch "zivilen Ungehorsam" das System total geändert werden. Das dies so nicht funktionieren wird, müsste jeden nachdenklichen Menschen klar sein. Das man über politische Parteien Änderungen einführen könnte, halte ich für möglich. Nur wenn ich sehe was alles AfD und FDP so an Gebühren abschaffen wollen?
IHK nein, Ausbildung voll in staatlicher Hand?
Und dann gerade dieser "überteuerte" Abschluss der ver.di ?
Irgendwie sollten einige vielleicht doch noch einmal nachdenken.
PS. Ich bin durchaus für eine Verdoppelung der Steuern für die ALDI-Familie und ähnliche zu haben. Nur das bringt auch höchstens einen Teil der ausfallenden Kosten.
Und was passiert wenn man wirklich den Autoverkehr schröpft, will ich mir nicht einmal ansatzweise vorstellen. Ich habe kein Auto. Mir wird aber regelmäßig erzählt, das man ohne nicht leben kann...
Jörg Bergstedt
am 18.04.2018Sehen wir uns am 8.5.? Das hilft auch gegen Einfach-Denken.
Kornelia E.
am 18.04.2018auf diese Art kann man jeden und alles diskreditieren, was nicht dem Herden- dem Mainstream anpassend ist!
Fast immer sind -aus Sicht des ängstlichen Biedermeiers (insbesondere aber der Obrigkeit!)- Andersdenkende, Anderstuende wirr!
(Dabei sind -logisch gesehen- eher die Biedermeier wirr!)
Erinnern wir uns an die Grünen, deren Einzug in den Bundestag: mit Schlappen und Sonnenblume!
Erinnern wir uns an die Stolperstein-Aktionen: Schlapphut und Kelle! (Mitten auf den ramponierten Bürgersteigen, tz,tz)
Oder stellen wir uns heute eine Juristenschar vor, die anstelle z.B.Mutlangen sitzend(!!) vorm Justizministerium für Demokratie und Gerechtigkeit, für Würde und Gleiche Rechte einstehen würde!
Das (Un)Gute an solchen RamboVergleichen und Diskreditierungen ist: man braucht sich überhaupt nicht mehr inhaltlich befassen: alle doof außer ich!
Mike Morris
am 18.04.2018Solche Aktionen sind ja ganz lustig. Dennoch lenken sie von dem Umstand ab, dass alle Bürger ohnehin für den ÖPV zahlen - unabhängig davon, ob sie ihn nutzen oder nicht. Denn eines wird den konservativen Betonköpfen wohl niemals vermittelbar sein: der ÖPV ist ganz grundsätzlich nur aus Ticketpreisen NICHT finanzierbar! Der Staat muss den Betrieb IMMER subventionieren. Und das macht er womit? Mit unserem Steuergeld!
Nicht dass mich nun jemand missversteht. Ich fände es absolut sinnvoll, dass die Preisspirale bei den Ticketpreisen nicht ständig nach oben weiter geht (es bringt ja eh' nix). Besser wäre es sich auf frühere Zeiten zu besinnen, wo es beispielsweise keine Hin- und Rückfahrtickets gab, sondern einfach zu handhabende Zeittickets.
Ein anderer Punkt ist die ausgesprochen asoziale Ausgrenzung von Armen und Geringverdienern, die besonders auf den ÖPV angewiesen sind, weil sie sich logischerweise kein Auto leisten können. An dem Punkt beisst sich dann die Katze in den Schwanz, denn wenn sich die "Wirtschaft" der vorhandenen Infrastrukturvorteile (bspw. ggü. Bangladesch) beraubt, indem Niedriglöhner aufgrund der zu hohen Ticketpreise nicht zum Arbeitsplatz gelangen können, dann ist es mit dem Nachdenken bei den Verantwortlichen nicht sehr weit her!
Marla V.
am 18.04.2018Alle Dinge, die von Mehreren benutzt werden, werden staatlich/vom Volk subventioniert!
Oft gilt: je grösser desto subventionierter!
Es hätte ab KohlGeschnerSchröderFischer eine Reform, heißt eine brutalst mogliche Analyse der Subventionierungen, also Sozialhilfepakete, sattfinden müssen: was ist Zukunft21 und was ist GewohnheitGestern!
Atomkraft wurde und wird mit tausenden von Milliarden gespondert!
Flugverkehr wird massivst mit Sozialhilfe gepampert!
Oper wäre ohne Hartz4 nicht durchführbar!
Kriegsmaschinerie wäre ohne wohlwollende Gaben und Ausnahmen nicht finanzierbar!
Die Fragen des 21.Jahrhunderts müssen lauten: was ist wichtig? Was ist für 'die Zukunft unserer Enkel' lebenswichtig? Wo müssen wir massiv gegensteuern?
Aber das würde die schwäbischen Hausmänner a la Schäuble, a la Rommel, a la Schuster, a la Kuhn und Föll massiv überfordern!
(Und ihre Anschlußverwendungen in Frage stellen! Oder ihre Heldengedenken ankratzen!)
Andrea K.
am 21.04.2018Natürlich klingt das schön, wenn man glauben will, dass KFZ- und Mineralölsteuer für die Instandhaltung der Straßen verwendet werden - dem ist aber nicht so. Es gibt keine zweckgebundenen Steuern in Deutschland.
Und wenn Sie jetzt mal in sich reinhorchen: Wäre es Ihnen nicht auch lieber, von Ihrem Steuergeld würde ÖPNV für alle bezahlt, statt dass irgend eine Bank "gestützt" wird, die vorher das Geld ihrer Anleger verzockt hat?