Das Hegeljahr 2020 stand im Zeichen des Politischen und der Krisen. Keine Spur von jenem "Ende der Geschichte" (Francis Fukuyama), das schon Hegel mit den napoleonischen Kriegen und der Etablierung des vernunftbasierten bürgerlichen Rechtsstaates anbrechen sah. Statt dessen: autoritäres Gebaren und erratische Kommunikation eines US-Präsidenten, der chinesische Kommunikonfuzikapitalismus im Aufschwung, technologische Disruption, Terror, und dazu nicht gerade vernunftsverdächtiger Dauerzank über Identität, Gender, Klima.
Sogar eine archaisch anmutende Pandemie suchte die Welt heim und überraschte zuvorderst die Europäer in ihrem posthistorischen Schlummer. Im Gesumse des coronaberauschten Medienschwarms, der mit obszönen Todeszahlen-Livetickern für psychosoziale Kollateralschäden und die Nicht-Behandlung anderer dringlicher Themen sorgt, ging vollends unter, worüber sich anlässlich Hegels 250. Geburtstags auseinanderzusetzen wert gewesen wäre: Hegels Diagnosen zur Kunst, genauer gesagt zu deren Ende – denn im Gegensatz zum Ende der Geschichte lag er damit goldrichtig.
Zwar hat Hegel die ihm zugeschriebene Wendung "Ende der Kunst" nie im Wortlaut formuliert. Aber sinngemäß diagnostizierte der in Stuttgart geborene Philosoph, die Kunst sei in der Moderne nicht mehr imstande, unsere höchsten geistigen Bedürfnisse zu erfüllen – einzig die Wissenschaft vermöge dies, sprich: vor allem Universaldenker wie Hegel selbst. Auch so kann man sich seinen – im Falle Hegels übrigens nicht gerade üppig dotierten – Job sichern. Das Kunstschaffen, dozierte Hegel in seinen Vorlesungen im Berlin der 1820er Jahre, sei in ein Stadium des Epilogs eingetreten. Damit meinte er nicht, dass keine Kunst mehr produziert werde, dass keine Kunst mehr konsumiert werde, dass die Menschen sich nicht mehr an der Kunst erfreuten oder keine Kunstobjekte mehr erwürben. All das war nach wie vor, ja mehr denn je der Fall. In Berlin, wo Hegel am Ende seines Lebens als Professor amtete, gründete man zu der Zeit, als er seine Vorlesungen hielt, gerade mit großem Pomp die Gemäldegalerie. Was also steckte hinter dem Downgrading der Künste ex cathedra?
Was sagt uns eine Pyramide?
Zunächst einmal entdeckte Hegel in der Kunst um 1800 allerhand Nostalgisches, heute würde man sagen: müde Retro-Trends. Bezeichnend hierfür ist seine Kritik an Julius Schnorr von Carolsfelds Nibelungenfresken in der Münchener Residenz. Diese blieben laut Hegel einer mythischen Vergangenheit verpflichtet, anstatt den neuen Geist der Moderne auszudrücken. Aber vielleicht war Schnorr ja nur konsequent. Denn Hegel zufolge waren einzelne Kunstwerke gar nicht mehr in der Lage, als sinnliche Phänomene der Komplexität und dem rationalen Gepräge der Moderne Ausdruck zu verleihen. Wie dem auch sei: Jene Romantiker, die zu Hegels Lebzeiten Erfolge feierten, etwa die mittelalterselige Künstlergruppe der Nazarener, waren für den progressiven Systemdenker rückwärtsgewandte Träumer.
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