Die politische Ökonomie von Marx wie auch schon die von Smith und Ferguson arbeiten dagegen das Politische der Ökonomie heraus, die sozialen und politischen Voraussetzungen, die gegeben sein müssen für ein erfolgreiches Wirtschaften. Betonten Smith und Ferguson die moralischen Voraussetzungen wirtschaftlichen Tuns, so betonen Hegel und Marx, dass das Arbeiten immer ein gesellschaftliches Tun von Mehreren, niemals aber von einem Einzelnen sei und sein könne. Die "unsichtbare Hand", die bei Smith das Marktgeschehen reguliert, ist nichts anderes als die moralische, tugendhafte Qualität der Marktakteure. Smith versucht, die Tugendethiken von Aristoteles und aus der römischen Tradition für das Begreifen der bürgerlichen Gesellschaft fruchtbar zu machen. Die Aristoteliker Hegel in seiner Theorie der Sittlichkeit und Marx mit seinem gesellschaftstheoretischen Ansatz gewichten dagegen Rechtsverhältnisse als Voraussetzungen funktionierenden Wirtschaftens und als Regulative des Marktgeschehens stärker.
In diesem Diskurs entwickelt Marx eine ganze Reihe von Fragen und Problemen, die weder von ihm noch von seinen Nachfolgern aufgegriffen und gelöst worden sind. Dazu nur ein Beispiel. Das sogenannte Methodenkapitel der "Grundrisse", einem Manuskript-Konvolut aus den Jahren 1857 und 1858, beginnt Marx mit dem Satz: "In Gesellschaft producirende Individuen - daher gesellschaftlich bestimmte Production der Individuen ist natürlich der Ausgangspunkt." Der methodologische Individualismus in der (neo-)liberalen Tradition, in der die Vergesellschaftung individueller, für sich produzierender Individuen erst sekundär durch Vertragsabschluss um des eigenen Vorteils willen zustande kommt, erweise sich als "Schein". Wenn Individuen nur "in Gesellschaft", also miteinander und füreinander produzieren, dann kann kein einzelnes Individuum Subjekt sein. Wenn man bedenkt, wie sparsam Marx insgesamt das Wort "Subjekt" verwendet, dann wird die Herausforderung deutlich, die er mit folgenden Sätzen formuliert, und die in der Marx-Interpretation meines Wissens noch nie systematisch aufgegriffen wurden. "Auch bei der theoretischen Methode muss daher das Subject, die Gesellschaft, als Voraussetzung stets der Vorstellung vorschweben." Und einige Seiten weiter: "das Subject, hier die moderne bürgerliche Gesellschaft".
Die heilige Familie der Marxologen
Was auch immer Marx an weitergehenden Vorstellungen mit der Behauptung verbunden haben mag, die Gesellschaft, die moderne bürgerliche Gesellschaft sei das "reale Subjekt" - eine weitere emphatische Formulierung im Methodenkapitel –, so viel ist deutlich: Es geht ihm darum, das dynamische Moment der Entwicklung in der bürgerlichen Gesellschaft zu erfassen. Denn diese sei – so haben er und Engels schon im "Manifest der Kommunistischen Partei" (1848) behauptet – die erste Form eines Gemeinwesens, das sich im Unterschied zu anderen Formen von Gemeinwesen aus sich selbst heraus, also ohne Anstöße von außen wie Naturkatastrophen, Eroberungen usw., permanent verändert und entwickelt. Und nur dann, wenn man diese Veränderungs- und Entwicklungsdynamik begriffen hat, ist es möglich, so in diese Dynamik einzugreifen, dass durch politisches Handeln Entwicklungsmöglichkeiten realisiert werden, die nicht mehr nur einzelnen Individuen zu Gute kommen, sondern möglichst allen. So heißt es ebenfalls schon im "Kommunistischen Manifest": "Das Kapital ist ein gemeinschaftliches Produkt und kann nur durch eine gemeinsame Tätigkeit vieler Mitglieder, ja in letzter Instanz nur durch die gemeinsame Tätigkeit aller Mitglieder der Gesellschaft in Bewegung gesetzt werden." Den Nutzen aus der gemeinsamen Tätigkeit aller Mitglieder der Gesellschaft zieht aber ein Einzelner oder eine Gruppe von Einzelnen, indem sie das Kapital nicht als gemeinschaftliches Produkt behandeln, sondern es sich unter Einsatz von Macht- und Gewaltmitteln als Privateigentum aneignen. Damit sind wir bei sozialen und politischen Auseinandersetzungen, die Hegel als Kämpfe um Anerkennung thematisiert hatte. Und in solchen Kämpfen bewegen wir uns heute noch, aber unter gegenüber Marxens Zeit deutlich anderen Bedingungen.
Die heiligen Familien der Marxologen klammern sich an die geschriebenen Texte von Marx, blenden aber die für Marx selbst offen gebliebenen Aufgaben, Fragen und Probleme weitgehend aus. Wäre es für die Kämpfe unserer Zeit nicht viel hilfreicher, endlich den in einer Gliederungsskizze geplanten letzten Band des "Kapitals" zu schreiben, den Marx mit dem Titel "Der Weltmarkt und die Crisen" versehen hat? Aber dazu müsste man sich der Mühe unterziehen, die für Marx selbstverständlich war: Nämlich ausgehend von unseren Kämpfen den Theorienzusammenhang der Gesellschaftswissenschaft systematisch zu rekonstruieren, so wie es Marx mit der Politischen Ökonomie gemacht hatte. Denn Kritik bedeutet die Selbstreflexion der eigenen Position in der Auseinandersetzung mit konkurrierenden Konzepten, nicht aber die bloße Kritik an anderen Positionen ohne die eigene dabei in Frage zu stellen. Dann erst wird die Auseinandersetzung mit Marx spannend und produktiv.
Veranstaltungen zum 200. Geburtstag von Karl Marx:
Die beiden Dokumentarfilme <link http: www.literaturhaus-stuttgart.de event _blank external-link-new-window>"Karl Marx und seine Erben" und "Fetisch Marx", von Peter Dörfler sowie von Torsten Striegnitz und Simone Dobmeier, zeigt das Literaturhaus Stuttgart am Mittwoch, den 18. April, ab 19 Uhr in einer Doppelpreview.
<link https: www.hospitalhof.de programm _blank external-link-new-window>Goethe trifft Marx. Manfred Osten im Gespräch mit Sahra Wagenknecht, Hospitalhof, Stuttgart-Mitte, 19. April, 20 Uhr.
<link https: www.die-anstifter.de veranstaltungen zum-200-geburtstag-von-karl-marx-prof-dr-winfried-thaa-der-antipolitische-marx-zurueck-zu-hegel-das-kapital-projekt-von-karl-marx _blank external-link-new-window>Der antipolitische Marx, Vortrag von Professor Winfried Thaa am Samstag, 21 April, um 10:30 Uhr im Hegelhaus, Stuttgart-Mitte.
<link https: www.die-anstifter.de veranstaltungen zum-200-geburtstag-von-karl-marx-prof-dr-winfried-thaa-der-antipolitische-marx _blank external-link-new-window>"Zurück zu Hegel" - Das Kapital-Projekt von Karl Marx. Vortrag von Professor Michael Weingarten am Samstag, 5. Mai, um 10:30 Uhr im Hegelhaus, Stuttgart-Mitte.
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