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Ginsberg, Kerouac & Co.

Der Beat der Dichter

Ginsberg, Kerouac & Co.: Der Beat der Dichter
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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Datum:

Der amerikanischen Beat Generation der 1950er- und dem Social Beat der 1990er-Jahre widmet sich eine Ausstellung im Literaturhaus Stuttgart. Unser Autoren-Fotografen-Team konnte die ansonsten geschlossene Schau besichtigen und hat Spannendes entdeckt.

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"I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked …" – "Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, ausgemergelt hysterisch nackt …" Am 7. Oktober 1955 rezitierte Allen Ginsberg in der Six Gallery in San Francisco sein Gedicht "Howl". Ein literarischer Urknall, sagt das Literaturhaus Stuttgart, eine Initialzündung, die in einem Kontinente überbrückenden Online-Gespräch am morgigen Donnerstag diskutiert werden soll. Ausgangspunkt, diesmal nicht nur Beipack, ist die Ausstellung "Social Beat & Beat".

Ginsbergs Lesung machte ihn und befreundete Autoren wie Jack Kerouac und William S. Burroughs mit einem Schlag berühmt. Den Begriff Beat Generation hatte Kerouac allerdings schon ein paar Jahre vorher erfunden. Er sollte an die "Lost Generation" anklingen, die durch den Ersten Weltkrieg den Halt verloren hatte, aber auch an den Beat des Jazz und an béatitude, Glück, denn Kerouac stammte aus einer französischsprachigen Familie aus Kanada. Auch den City Lights Bookstore in San Francisco gab es bereits, gegründet von Lawrence Ferlinghetti, der "Howl" alsbald veröffentlichte. Kerouacs Tramper-Roman "On the Road" und Burroughs' "Naked Lunch" waren dagegen noch nicht erschienen.

"Howl" klingt in einer Aufzeichnung von 1956 noch ziemlich zahm verglichen mit späteren Aufnahmen Ginsbergs, der zu jener Zeit auch noch nicht aussah wie ein indischer Guru mit Vollbart und langen Haaren. Ginsberg hatte soeben seinen Lebenspartner Peter Orlovsky kennengelernt. Das Gedicht ist dem Autor Carl Salomon gewidmet, der in der Psychiatrie gelandet war. Die Beatniks rebellierten gegen das konservative Amerika der Hexenjagden auf Andersdenkende und Anderslebende. Ihre Aktivitäten wurden tatsächlich zu einer Initialzündung für die Jugend- und Bürgerrechtsbewegungen der 1960er-Jahre.

Social Beat in Ludwigsburg

Manfred Heinfeldner, der im Literaturhaus schon viele Veranstaltungen moderiert hat, hatte die Idee, den 65. Jahrestag von Ginsbergs Lesung zum Anlass für eine Ausstellung zu nehmen, die bereits steht, aber coronabedingt verschoben und immer noch nicht zugänglich ist. Sie schlägt zugleich eine Brücke zum "Social Beat" der 1990er-Jahre. Dabei spielten eine Asperger Autorenwerkstatt eine wesentliche Rolle, eine Zeitschrift "einblick" und ein viertägiges Literaturfestival in Ludwigsburg. Aus diesen Aktivitäten ging dann der Verlag Killroy Media hervor.

Killroy Media: Das sind die Brüder Michael und Joachim Schönauer. Michael schrieb selbst literarische Texte und veröffentlichte bereits seit zehn Jahren "einblick – das Magazin für Literatur und Kunst", als 1993 in Berlin das erste Social-Beat-Festival stattfand. Prompt machte er seine Zeitschrift zur "Social Beat Centrale Süd", performte unter dem Namen Yussuf M. und veranstaltete 1995 in der Ludwigsburger Karlskaserne das dritte Social-Beat-Festival. Die GIs hatten das Areal 1991 verlassen, die Kulturszene begann damals gerade erst einzuziehen.

"In den 60er Jahren erfahren K G B [Kerouac, Ginsberg, Burroughs] – das geistige Urgestein des amerikanischen U-ground & Beat-Pioniere – ihre Zeit als eine Zeit des 'no advance', in der es kein Vorankommen gibt", schrieb Michael Schönauer damals in seinem Magazin. "Dem ist hinzuzufügen dead beat; ganz kaputt, um die 90er (SB) zu begreifen, deren Wurzeln & Wunden sind eine Abkehr von einem sterilen Kunstbetrieb, unverständlichem Feuilleton und dem abgenutzten Unterhaltungswert der Musikbranche."

"Künstler wie Fallbeile"

Ein Foto im Literaturhaus-Foyer zeigt den Autor bei einem Auftritt. Er könnte der Sänger einer Punkband sein. Dada und Punk, Happening und Wiener Aktionskunst spielten für ihn ebenso eine Rolle wie die Beat Generation. Großformatige Werke – scheinbar ungelenke Graffiti der Künstlerin YAM (Yvonne Alexandra Mühleis) hingen beim Festival in der Karlskaserne im Saal, eines begrüßt nun die Besucher im Literaturhaus. Sogar Maureen Tucker, Schlagzeugerin der legendären Band Velvet Underground, war aus New York angereist. Zur selben Zeit gründete Schönauer den Verlag. Und hier kommt sein Bruder ins Spiel.

Joachim Schönauer ist gelernter Drucker und hat anschließend an der Fachhochschule für Druck, heute Hochschule der Medien, Verlagswirtschaft und Verlagsherstellung studiert. Im eigenen Verlag schöne, handwerklich gut gemachte Bücher herausgeben: Das war sein Anliegen. Und deshalb gibt es Killroy Media noch heute, denn es handelt sich um ein Liebhaberprojekt. Wenn es nicht gerade, wie bei der jüngsten Publikation, dem Erzählband "Volk der Freien" von Bernd Marcel Gonner, eine Förderung des Nationalen Kulturfonds Luxemburg gibt, investieren Michael und Joachim Schönauer in die Bücher ihr eigenes Geld.

Die erste Publikation war ein Künstlerbuch, eben mit YAM, einer früheren Mitschülerin Joachims, die damals auch in New York unterwegs war. "I am so free", sagt die Figur auf dem Cover. Der Titel: "Warum Kunst? painted popsongs". Gleichzeitig erschien als Sonderausgabe der Zeitschrift "einblick" ein Magazin zum zweiten Social-Beat-Festival in Berlin. Drei Bände zu Social Beat und Slam Poetry folgten. Killroy Media wurde zum Organ der Bewegung. Dabei unterscheiden sich die sorgfältig geplanten und hergestellten Bücher deutlich von den handkopierten Fanzines anderer Gruppen.

"Die außerliterarische Opposition meldet sich zu Wort", kündigte sich das vierte Social-Beat- und Slam-Poetry-Festival 1996 in Ludwigsburg an. "Die Zeiten sind kälter geworden", steht über einem Text Michael Schönauers von 1995. "Jederzeit bereit, in den Untergrund abzutauchen. Es wird wieder Partisanen geben, Künstler wie Fallbeile."

Von der Kneipe ins Literaturhaus

In Berlin fanden die Lesungen damals vor allem in Kneipen statt. Warum, erklärt Jörg Dahlmeyer, Mitbegründer des Berliner Social-Beat-Festivals, im Deutschlandfunk: "Die Meisten sind schulgeschädigt und stellen sich unter einer Lesung etwas ziemlich Langweiliges vor." In Literaturhäuser dagegen würde "ein normaler Mensch sowieso nicht gehen". Nun ist es das Literaturhaus Stuttgart – das es seinerzeit noch gar nicht gab –, das an den Social Beat erinnert und die Aktivitäten der Schönauers endlich ins Rampenlicht rückt.

Heinfeldner, der als Journalist vorwiegend für den Fernsehkanal arte arbeitet, hat in den 1990ern die Festivals in Berlin und Ludwigsburg besucht. Er war sich sicher, dass es bei Killroy Media noch genügend Materialien geben müsste und lud Joachim Schönauer ein, die Ausstellung mit ihm zu gestalten. Michael Schönauer ist zwar weiterhin der literarische Kopf des Verlags, distanziert sich aber mittlerweile vom Social Beat. Gegenkulturen haben ihre Zeit, sie sind nicht von Dauer. Aber der Verlag bleibt.

Doch was heißt überhaupt Social Beat? Als Worthülse bezeichnet Boris Kerenski, der Dritte im Bunde, in einer zur Ausstellung erschienenen Publikation das Schlagwort. Als Künstler war er früh an den Aktivitäten beteiligt. 1998 verschickte er Postkarten an Künstlerkollegen mit der Frage: Was ist Social Beat? Einige der Antworten sind nun in der Ausstellung zu sehen. Eine Wand hat Kerenski gestaltet, ausgehend von William S. Burroughs und seinem Gedicht "Thanksgiving Day Nov. 28, 1986", einer sarkastischen Abrechnung mit dem amerikanischen Traum.

Bücher von Killroy Media liegen in einer Vitrine, eine andere zeigt weitere Publikationen zum Social Beat. Der Schnell-Maler Jim Avignon hat zehn Porträts von Autoren der Beat Generation angefertigt, auf Heinfeldners Wunsch neben Ginsberg, Kerouac, Burroughs und Ferlinghetti auch zwei "People of Colour", darunter der oft unterschlagene LeRoi Jones alias Amiri Baraka sowie zwei Frauen, Hettie Jones und Diane di Prima. Es hätten auch andere AutorInnen genannt werden können – die Beat Generation war kein geschlossener Kreis.

Killroy Media bleibt rebellisch

Eine ganze Wand ist mit Plakaten von Veranstaltungen der Schönauers tapeziert. Denn nach dem dritten Social-Beat-Festival ging es noch weiter, unter anderem in der Röhre, im Travellers Club, in der Stadtbibliothek Esslingen und im Demokratischen Zentrum Ludwigsburg. Beteiligt waren Hadyatullah Hübsch und Jürgen Ploog, Außenseiter-Autoren der älteren Generation. Damals junge AutorInnen sind dem Verlag treu geblieben, so Philipp Schiemann, von dem kürzlich das Buch "Rockstar 5.0" erschienen ist.

Die Beat Generation ist längst Geschichte. Statt Social Beat hat Slam Poetry Karriere gemacht. Die Bücher von Killroy Media stehen nicht mehr unter einem Schlagwort. Das ist schlecht für die Aufmerksamkeitsökonomie, aber besser für die Literatur, die sich gewandelt hat und doch unzeitgemäß geblieben ist wie das Versepos "Oderberger" von Bernd Marcel Gonner: eine literarische Form scheinbar von vorvorgestern für ein Buch von heute.

Gleichwohl sind die Publikationen der Schönauers kratzbürstig, rebellisch geblieben, wie ein Auszug aus Gonners neuestem Band "Volk der Freien" verdeutlichen mag: "… in einem abgerockten Europa mit Epizentren in den großen Städten wie in den hintersten Winkeln der Länder suchen allerlei Heranwachsende, im Gepäck wenig mehr als heißen Kopf, Herz und Hand, nach Gefährten, mit denen sie ein neues Wechselspiel zwischen Denken und Verhältnissen buchstabieren und aufbauen können …"

Das ist vielleicht kein Social Beat, aber eine interessante Stimme, der Michael und Joachim Schönauer in ihrem Verlag mit viel Liebe und Aufmerksamkeit Gehör verschaffen. Doch was war jetzt eigentlich Social Beat? Auf einer von Kernskis Postkarten steht: "Social Beat ist, wenn das literarische Wühlen im Müll zur Archäologie der Schönheit wird."


Am morgigen Donnerstag, dem 25. Februar um 19.30 Uhr diskutieren der amerikanische Autor T. C. Boyle, Jean-Jacques Lebel, der unter anderem im ZKM eine Ausstellung zu Beat Generation kuratiert hat, und Franz Dobler, der bereits am 3. Social-Beat-Festival in Ludwigsburg beteiligt war, online über Allen Ginsbergs "Howl". Näheres und Tickets hier.


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