Es gab mal eine Zeit, da war "Mainstream" ein Schimpfwort. Benutzt von den Kindern derer, die schon in ihrer Jugend nicht zum "Establishment" gehören wollten. Keine Macht für niemanden forderten. Rebellierten. Ihre Eltern mit "entarteter Musik" malträtierten. Und niemals so werden wollten wie sie. Okay, das war ein bis zwei Generationen nachdem die eigenen Väter und Großväter die halbe Welt zerfetzt haben und danach immer noch ihre braunen Hintern in diversen Ämtern breitdrückten. Doch selbst bis in die 1990er konnte man dagegen sein. Sich auf Technoparties wenigstens die Birne wegballern, "Gothic", "Hip-Hopper" oder "Grunger" werden. Egal ob auf neonfarbenen, fellbesetzten Plateau-Sohlen, in Patschuli gebadeten Vampir-Klamotten oder mit Nirvana-Shirt und Holzfäller-Flanellhemd um die Hüften: Jung zu sein, hieß anti zu sein. Im Zweifel anti irgendwas. Anti alles. Hauptsache laut und exzessiv.
Heute ist "Mainstream" das neue Anti der 14- bis 17-Jährigen. Die aktuelle SINUS-Jugendstudie "Wie ticken Jugendliche 2016?" zeigt, dass Provokation und Abgrenzung out ist. Große Jugend-Subkulturen passé. Man will so sein "wie alle", akzeptiert Anpassungsbereitschaft und Leistungsnormen als Preis für die Sehnsucht nach Halt und Orientierung in zunehmend unübersichtlicheren Verhältnissen. Die Jugendstudie "Wo bitte geht's zum Generationenkonflikt?" der Konrad-Adenauer-Stiftung mündete 2013 im Ergebnis, dass sich die Generationen immer ähnlicher werden. Insofern gibt es doch eine neue Jugendbewegung: den Neokonservatismus. Ein Blick in die Schaufenster angesagter Modeketten spricht jedenfalls dafür. Wer hätte gedacht, dass es irgendwann mal "cool" sein würde, auszusehen wie die Oma der eigenen Oma? Rebellion ist zu einem Merchandise-Artikel verkrüppelt. "Revolution" ein Begriff, mit dem Autos, Computer und Wimperntusche beworben werden. Selbst den ollen Ché Guevara trägt man nicht mehr im Herzen, sondern auf einem Made-in-Bangladesh-Shirt. Oder war es ein Konterfei von Colonel Sanders – dem Gründer der Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken? Auch egal.
Rebellion ist out
"Das glaubst du ja wohl selber nicht!", will man da schreien. Schorsch Kamerun, Theaterregisseur und Sänger der Hamburger Punkband Die Goldenen Zitronen, tut das jetzt im Stuttgarter Schauspiel Nord. Der 1963 geborene Punk-Avantgardist weiß, wovon er spricht. Noch bevor Bands wie Tocotronic, Blumfeld oder Die Sterne die Musikszene der Hamburger Schule prägten, zeigten "die Zitronen" um Kamerun dem Mainstream den Mittelfinger. Verweigerten sich trotz Erfolg zahlreichen Major-Label-Angeboten. Avancierten mit dem Album "Kampfstern Mallorca dockt an" (1988) oder "Das bisschen Totschlag" (1994) zur Antithese der Generation Golf. Wenn ihnen die Fans zu viel wurden, nannten sie ein Album auch schon mal "Fuck you" – in der Hoffnung, sie wieder loszuwerden und nicht zum gefürchteten Mainstream zu verkommen.
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