KONTEXT:Wochenzeitung
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"Demokratie ist kein Kaufhaus"

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Sie ist die Frau, die das ARD-Magazin "Panorama" moderiert, Lieblingsfeindin der Rechten, Kämpferin für Menschlichkeit und gegen Rassismus. Am 23. März wird Anja Reschke bei der Kontext-Veranstaltung "Aufrecht gegen rechts" mit auf dem Podium sitzen. Ein Gespräch über Gleichberechtigung und Haltung im Journalismus und in der Politik.

Frau Reschke, Sie werden ab und an eingeladen mit dem Satz: Uns fehlt noch eine Frau auf dem Podium. Wir haben’s nicht gesagt. Haben Sie deshalb so zügig zugesagt?

Nein, ich habe zugesagt, weil mich das Thema "Aufrecht gegen rechts" umtreibt. Ich sehe es als unsere journalistische Aufgabe, zu recherchieren und zusammenzutragen, was sich da im Dunkeln zusammenbraut. Ich werde übrigens nicht ab und an, sondern häufig mit diesem Satz eingeladen. So nach dem Motto: wir haben hier vier Männer, da muss noch eine Frau hin. Da kommt man sich vor wie ein Deko-Element. Ich frage dann gerne zurück, ob ich mir noch einen kurzen Rock und hohe Schuhe anziehen soll, damit man es auch sieht? 

Sarkasmus. Das einzige, was noch hilft?

Die Unbequeme

Als Anja Reschke im Jahr 2015 Menschlichkeit und Offenheit im Umgang mit Geflüchteten anmahnte, wurde die Fernsehjournalistin nicht nur schlagartig bekannt, sondern auch zur Lieblingsfeindin rechter Hetzer.  Ihr Kommentar in den ARD-Tagesthemen im August 2015 wurde knapp vier Millionen Mal angeklickt.  Seitdem ist und wird die 47-Jährige immer wieder gefragt, wenn es um Haltung – nicht nur im Journalismus – geht.

Seit 2001 moderiert Reschke das Politmagazin "Panorama", zum 50-jährigen Jubiläum schrieb sie das Buch "Die Unbequemen". Sie war vier Jahre lang Vorstandsmitglied bei der Journalistenvereinigung "Netzwerk Recherche".

Anja Reschke ist Hauptabteilungsleiterin "Kultur und Dokumentation" beim NDR Fernsehen und damit als weibliche Führungskraft in dieser Programmdirektion allein unter Männern. Sie ist Mitglied der Gleichstellungsinitiative Pro Quote und sagt: "Ich bin für die Frauenquote, weil man Männer eben manchmal zu ihrem Glück zwingen muss."  (sus)

Ja, das habe ich früher gedacht. Aber inzwischen macht es mich wütend, weil das alles zu langsam geht mit der Gleichberechtigung. Inzwischen nehme ich eher Stillstand in der Gesellschaft wahr. So ein Gedanke: Jetzt ist auch mal gut mit den Frauen. Es ist aber nicht gut. Gerade auf der Preisverleihung an die "Journalisten des Jahres" standen bei der Kategorie Chefredakteure national und regional wieder sechs Männer auf der Bühne und noch eine Frau. Die wurde aber nur mit einem Halbsatz bedacht. Und wenn man sich die Auswahl zum Parteivorsitz der CDU anguckt, hat man den Eindruck, dass da eine subkutane Erleichterung zu spüren ist, dass dieser Frauen-Spuk endlich vorbei ist. Das muss jetzt mal wieder ein Kerl machen. Nein, es ist nicht wirklich gut. Da wird wieder Vieles einkassiert, was sich die Frauen mühsam erkämpft haben.

Antifeminismus gehört zum neuen rechten Denken ebenso wie Rassismus und  Antisemitismus.  Welche Rolle spielt dabei die AfD?

Es gab trotz Entnazifizierung, trotz der 68er-Revolte, immer noch einen zweistelligen Prozentsatz in der Bevölkerung, der rechtsradikalen Einstellungen gegenüber offen ist. Das war eine Zeitlang gut verborgen. Aber auch wenn die AfD sich dagegen wehrt: Durch das Sichtbarmachen, dadurch, dass sie Dinge in den öffentlichen Diskurs trägt, die früher nicht gesagt wurden, fühlt sich mancher ermutigt, sein rassistisches Gedankengut auf den Marktplatz zu tragen.

Und wie sehen Sie Ihre Rolle dabei?

Mir geht es nicht darum, eine Partei wie die AfD anzugreifen.  Ich will auch keine links-grüne  Stimmung oder eine wie auch immer geartete Ideologie verbreiten, wie mir gerne unterstellt wird. Mir geht es darum, die Kräfte zu benennen, die darauf abzielen, die Demokratie zu zersetzen. 

Muss sich vor dem Hintergrund dieser Entwicklung, vor diesem Rechtsruck in der Gesellschaft, der Journalismus ändern? Auch gerade unter dem Eindruck der tödlichen Schüsse in Hanau?

Ich glaube, es sind herausfordernde Zeiten, für Journalisten wie für Politiker. Wir hatten es noch nie mit sich so stark formierenden  Kräften zu tun, die tatsächlich das Land ändern wollen. Und das in Zeiten, in denen man durch das Netz ganz anders Öffentlichkeit schaffen kann als früher.

In den 1960er- und 70er Jahren hat es die NPD, in den 90er Jahren haben es die Republikaner auch in einige Landtage geschafft. Was ist heute anders?

Es gibt ja nicht nur die AfD, sondern auch Pegida, die Identitären, die Reichsbürger und andere rechtsradikale Netzwerke. Die AfD ist nur der parlamentarische Arm. Und das Erstarken dieser rechtsradikalen Bewegungen trifft zusammen mit einer wirtschaftlichen Schwäche des Journalismus, mit einer Umbruchphase der Deutungshoheit.

Aber genau in Zeiten von Fake News und vielfältigen rechtsextremen Netzwerken ist es wichtig, dass Journalisten Kante zeigen.

Ja, die Bürger müssen gesicherte Informationen bekommen, um sich entscheiden zu können. Deshalb dürfen wir Journalisten nicht weich sein an den Rändern, müssen klar benennen, was ist. Davor scheuen viele zurück, weil sie bestimmte Gruppierungen nicht zurückweisen wollen. In diesem Geeiere befinden wir uns seit fünf Jahren. Und das muss sich ändern. Ich sehe den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dabei noch mehr in der Pflicht als privatwirtschaftliche Zeitungen. Er muss sich noch stärker einsetzen für die Verfassung, für stabile politische Verhältnisse, für eine stabile Demokratie. 

Eine Kritik am offentlich-rechtlichen Rundfunk lautet, er unterdrücke missliebige Meinungen. So wie dies AfD-Gründer Bernd Lucke letztes Jahr bei Maischberger getan hat – zack, bekam er von ARD-Journalist Georg Restle Zunder. Darf man die Öffentlich-Rechtlichen und die Medien nicht mehr kritisieren?

Doch, natürlich!  Und viele Redaktionen haben’s verstanden, fahren raus, achten auf Stimmen, auch die der sogenannten besorgten Bürger. Mein Eindruck ist aber, je mehr man dem besorgten Bürger zuhört, desto mehr hat er das Gefühl, er müsse jetzt ansagen, wie’s gemacht werden muss. Ich kriege haufenweise Mails, in denen steht: Sie sind der öffentlich-rechtliche Rundfunk, ich bezahle Sie mit meinen Gebühren, also berichten Sie gefälligst so, wie ich mir das wünsche. Aber ich bin doch kein bestellter Journalist! Und die Zuschauer oder Hörer sind nicht meine Auftraggeber. Dieser Gedanke: "Ich bin Kunde", zieht sich durch viele Bereiche. "Politiker müssen mich bedienen", auch solche Sprüche habe ich schon oft gehört. Nee, die Demokratie ist kein Kaufhaus. Ich bin nicht Kunde, sondern Teil des Ganzen.

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen will Innehalten, Zögern, Nachdenken im Journalismus und spricht von einer neuen Gereiztheit, einer kollektiven Erregung.

Ich beobachte ja schon an mir selbst,  wie oft ich auf die Push-Nachrichten und Eilmeldungen auf meinem Handy schaue, wo alles gleich wichtig erscheint und man immer lauter schreien muss, um gehört zu werden. Ja, dann muss ich Herrn Pörksen recht geben, wir haben auch eine irre Freude an der Empörung.

Wie kann man dem journalistisch begegnen?

Wenn ich das wüsste, wäre ich die bestbezahlte Beraterin und im ganzen Land durchgebucht. Ich kann nur immer wieder dafür plädieren, was man als Journalist machen muss: Besonnen reagieren, nicht über jedes Stöckchen springen, aber das wissen wir schon lange. Aber dann sitze ich nach der Kölner Silvesternacht 2015/2016 in Hamburg in der Redaktion, weiß, die Erwartung, dass wir berichten, ist hoch, aber ich habe gleichzeitig überhaupt kein klares Bild der Lage, völlig widersprüchliche Informationen der Polizei. Ich habe damals Panorama moderiert und gesagt, wir hätten gerne über Köln berichtet, aber wir können zu diesem Zeitpunkt nichts Gesichertes sagen, und deshalb berichten wir nicht. Das ist mir echt um die Ohren geflogen. Wir hätten verschwiegen, weil es nicht ins Bild passt, usw.  Also mit Ehrlichkeit bin ich da nicht weit gekommen. Trotzdem: Wenn man etwas auf sich hält als Journalist, darf man sich auch nicht treiben lassen von diesen Leuten. Sie empören sich dauernd.

Kein bisschen geklappt hat’s mit der Besonnenheit, als die "Umweltsau-Oma"  im WDR aufgezogen ist. Eine gezielt aus der rechten Ecke gesteuerte, künstliche Empörung um eine Satire. 

Ja, es wäre besser gewesen, man hätte sich rumgedreht und nochmal drüber geschlafen, anstatt sich direkt zu entschuldigen. Die Journalisten, die viel angegriffen werden, kennen die  Kampagnen, die gezielt im Netz gefahren werden. Wer nicht so erfahren ist, steht erst mal im Sturm und denkt: Um Himmels Willen, das fühlt sich schrecklich an. Ich sage allen Kollegen, die so etwas zum ersten Mal erleben: Ruhig Blut, das mag wie ein Monstersturm erscheinen, ist aber nur ein Scheinriese. 

Für die rechten Empörer war die Umweltsau-Oma eine Kerbe im Colt und kein Scheinriese.

Ja, das war perfekt orchestriert. Und die andere Seite, die Politik und die Medien, in diesem Fall der WDR, haben unbesonnen darauf reagiert.

Trotz Gegenwind und Beschimpfungen sagen Sie von sich selbst, Sie seien eine Idealistin. Wie geht das?

Ja, eigentlich irre. Ich bin immer wieder selber überascht.  Obwohl ich seit Jahren "Panorama" mache, eine Sendung, die sich nicht eben mit den schönen Dingen des Lebens beschäftigt. Die im Gegenteil tief in die Abgründe der Seilschaften und Missstände guckt. Und doch denke ich immer wieder: Ach krass, das ist echt passiert? Oder: Dass der so ein mieses politisches Spielchen treibt! Ich glaube an das Gute in den Menschen und bin immer wieder neu erschüttert, wenn das nicht so ist.

Sie wollen weder Messias noch Hassobjekt sein, sagten Sie, als Sie 2016 nach ihrem vieldiskutierten Kommentar zu Geflüchteten Journalistin des Jahres wurden. Fühlten Sie sich in eine Schublade gesteckt?

Wenn man in so eine Rolle rutscht, wie nach meinem Kommentar, und so eine komische Prominenz bekommt, spürt man am eigenen Leib, wie Medien funktionieren. Ich bin seitdem die Frau, die sich für Flüchtlinge einsetzt. Dass das gar nicht meine Rolle ist, ist nicht mehr wichtig. Genauso bin ich die Verhasste und werde für alles mögliche verantwortlich gemacht, was Menschen tun, die nicht aus Deutschland stammen. Also bei jedem Mord, jeder Vergewaltigung, kriege ich Post mit dem Tenor: Sehen Sie, Frau Reschke, Ihre geliebten Flüchtlinge! Das ist Unfug. Genauso wie die Rolle der pauschalen Retterin. Auch dafür tauge ich nicht. Ich habe nur eine sehr klare Haltung, wenn es um Rassismus geht und um Menschenrechte, mehr nicht. 

Dafür nehmen Sie auch Hasskommentare in Kauf?

Sehen Sie, jetzt fragen Sie endlich auch danach! Das ist bei fast jedem Interview die erste Frage: Wie kommen Sie mit dem Hass klar? Nein, ohne Witz: Ich will nicht viktimisiert werden, ich fühle mich nicht als Opfer, und ich bin auch nicht eingeschüchtert. Ich sehe nur mit Sorge auf die politischen Strömungen in diesem Land. Und ich werde weiter auf demokratiefeindliche Netzwerke hinweisen, auf Parteien und Kräfte, die diese Demokratie zersetzen. Das sehe ich als meine Grundaufgabe als Journalistin.
 

Anja Reschkes Dankesrede bei der Preisverleihung zur "Journalistin des Jahres" am 15. Februar 2016 in Berlin:

 

 


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2 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 18.03.2020
    Antworten
    Gratulation zu den Würdigungen [1] in Ihrem Einsatz für die Entwicklung hin zur Demokratie, die nach wie vor als zu erreichendes Ziel Anstrengungen erfordert [2].

    Der ö-r Rundfunk hat ja staatlich zugesprochen eine besondere Verantwortung zu übernehmen …
    E-Mail in SWR4 Studio 24.01.2019…
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