Ja, die Bürger müssen gesicherte Informationen bekommen, um sich entscheiden zu können. Deshalb dürfen wir Journalisten nicht weich sein an den Rändern, müssen klar benennen, was ist. Davor scheuen viele zurück, weil sie bestimmte Gruppierungen nicht zurückweisen wollen. In diesem Geeiere befinden wir uns seit fünf Jahren. Und das muss sich ändern. Ich sehe den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dabei noch mehr in der Pflicht als privatwirtschaftliche Zeitungen. Er muss sich noch stärker einsetzen für die Verfassung, für stabile politische Verhältnisse, für eine stabile Demokratie.
Eine Kritik am offentlich-rechtlichen Rundfunk lautet, er unterdrücke missliebige Meinungen. So wie dies AfD-Gründer Bernd Lucke letztes Jahr bei Maischberger getan hat – zack, bekam er von ARD-Journalist Georg Restle Zunder. Darf man die Öffentlich-Rechtlichen und die Medien nicht mehr kritisieren?
Doch, natürlich! Und viele Redaktionen haben’s verstanden, fahren raus, achten auf Stimmen, auch die der sogenannten besorgten Bürger. Mein Eindruck ist aber, je mehr man dem besorgten Bürger zuhört, desto mehr hat er das Gefühl, er müsse jetzt ansagen, wie’s gemacht werden muss. Ich kriege haufenweise Mails, in denen steht: Sie sind der öffentlich-rechtliche Rundfunk, ich bezahle Sie mit meinen Gebühren, also berichten Sie gefälligst so, wie ich mir das wünsche. Aber ich bin doch kein bestellter Journalist! Und die Zuschauer oder Hörer sind nicht meine Auftraggeber. Dieser Gedanke: "Ich bin Kunde", zieht sich durch viele Bereiche. "Politiker müssen mich bedienen", auch solche Sprüche habe ich schon oft gehört. Nee, die Demokratie ist kein Kaufhaus. Ich bin nicht Kunde, sondern Teil des Ganzen.
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen will Innehalten, Zögern, Nachdenken im Journalismus und spricht von einer neuen Gereiztheit, einer kollektiven Erregung.
Ich beobachte ja schon an mir selbst, wie oft ich auf die Push-Nachrichten und Eilmeldungen auf meinem Handy schaue, wo alles gleich wichtig erscheint und man immer lauter schreien muss, um gehört zu werden. Ja, dann muss ich Herrn Pörksen recht geben, wir haben auch eine irre Freude an der Empörung.
Wie kann man dem journalistisch begegnen?
Wenn ich das wüsste, wäre ich die bestbezahlte Beraterin und im ganzen Land durchgebucht. Ich kann nur immer wieder dafür plädieren, was man als Journalist machen muss: Besonnen reagieren, nicht über jedes Stöckchen springen, aber das wissen wir schon lange. Aber dann sitze ich nach der Kölner Silvesternacht 2015/2016 in Hamburg in der Redaktion, weiß, die Erwartung, dass wir berichten, ist hoch, aber ich habe gleichzeitig überhaupt kein klares Bild der Lage, völlig widersprüchliche Informationen der Polizei. Ich habe damals Panorama moderiert und gesagt, wir hätten gerne über Köln berichtet, aber wir können zu diesem Zeitpunkt nichts Gesichertes sagen, und deshalb berichten wir nicht. Das ist mir echt um die Ohren geflogen. Wir hätten verschwiegen, weil es nicht ins Bild passt, usw. Also mit Ehrlichkeit bin ich da nicht weit gekommen. Trotzdem: Wenn man etwas auf sich hält als Journalist, darf man sich auch nicht treiben lassen von diesen Leuten. Sie empören sich dauernd.
Kein bisschen geklappt hat’s mit der Besonnenheit, als die "Umweltsau-Oma" im WDR aufgezogen ist. Eine gezielt aus der rechten Ecke gesteuerte, künstliche Empörung um eine Satire.
Ja, es wäre besser gewesen, man hätte sich rumgedreht und nochmal drüber geschlafen, anstatt sich direkt zu entschuldigen. Die Journalisten, die viel angegriffen werden, kennen die Kampagnen, die gezielt im Netz gefahren werden. Wer nicht so erfahren ist, steht erst mal im Sturm und denkt: Um Himmels Willen, das fühlt sich schrecklich an. Ich sage allen Kollegen, die so etwas zum ersten Mal erleben: Ruhig Blut, das mag wie ein Monstersturm erscheinen, ist aber nur ein Scheinriese.
Für die rechten Empörer war die Umweltsau-Oma eine Kerbe im Colt und kein Scheinriese.
Ja, das war perfekt orchestriert. Und die andere Seite, die Politik und die Medien, in diesem Fall der WDR, haben unbesonnen darauf reagiert.
Trotz Gegenwind und Beschimpfungen sagen Sie von sich selbst, Sie seien eine Idealistin. Wie geht das?
Ja, eigentlich irre. Ich bin immer wieder selber überascht. Obwohl ich seit Jahren "Panorama" mache, eine Sendung, die sich nicht eben mit den schönen Dingen des Lebens beschäftigt. Die im Gegenteil tief in die Abgründe der Seilschaften und Missstände guckt. Und doch denke ich immer wieder: Ach krass, das ist echt passiert? Oder: Dass der so ein mieses politisches Spielchen treibt! Ich glaube an das Gute in den Menschen und bin immer wieder neu erschüttert, wenn das nicht so ist.
Sie wollen weder Messias noch Hassobjekt sein, sagten Sie, als Sie 2016 nach ihrem vieldiskutierten Kommentar zu Geflüchteten Journalistin des Jahres wurden. Fühlten Sie sich in eine Schublade gesteckt?
Wenn man in so eine Rolle rutscht, wie nach meinem Kommentar, und so eine komische Prominenz bekommt, spürt man am eigenen Leib, wie Medien funktionieren. Ich bin seitdem die Frau, die sich für Flüchtlinge einsetzt. Dass das gar nicht meine Rolle ist, ist nicht mehr wichtig. Genauso bin ich die Verhasste und werde für alles mögliche verantwortlich gemacht, was Menschen tun, die nicht aus Deutschland stammen. Also bei jedem Mord, jeder Vergewaltigung, kriege ich Post mit dem Tenor: Sehen Sie, Frau Reschke, Ihre geliebten Flüchtlinge! Das ist Unfug. Genauso wie die Rolle der pauschalen Retterin. Auch dafür tauge ich nicht. Ich habe nur eine sehr klare Haltung, wenn es um Rassismus geht und um Menschenrechte, mehr nicht.
Dafür nehmen Sie auch Hasskommentare in Kauf?
Sehen Sie, jetzt fragen Sie endlich auch danach! Das ist bei fast jedem Interview die erste Frage: Wie kommen Sie mit dem Hass klar? Nein, ohne Witz: Ich will nicht viktimisiert werden, ich fühle mich nicht als Opfer, und ich bin auch nicht eingeschüchtert. Ich sehe nur mit Sorge auf die politischen Strömungen in diesem Land. Und ich werde weiter auf demokratiefeindliche Netzwerke hinweisen, auf Parteien und Kräfte, die diese Demokratie zersetzen. Das sehe ich als meine Grundaufgabe als Journalistin.
Anja Reschkes Dankesrede bei der Preisverleihung zur "Journalistin des Jahres" am 15. Februar 2016 in Berlin:
2 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 18.03.2020Der ö-r Rundfunk hat ja staatlich zugesprochen eine besondere Verantwortung zu übernehmen …
E-Mail in SWR4 Studio 24.01.2019…