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Günther Oettinger liest

Jede Menge Todesanzeigen

Günther Oettinger liest: Jede Menge Todesanzeigen
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Günther Oettinger sieht Deutschland im "Sinkflug". Woher er das weiß? Zumindest nicht aus den Stuttgarter Zeitungen. Die liest der ehemalige Ministerpräsident und EU-Kommissar nicht mehr, erzählt er vor versammelter Medienprominenz.

Dass Günther Oettinger auch Jahre nach seinem Abschied als EU-Kommissar und baden-württembergischer Landesvater immer noch ein Mann der Medien ist, versteht sich von selbst. Was also lag näher, als den Elder Statesmen letzte Woche zum Eröffnungspanel des "Medienverbands der Freien Presse" (MVFP) nach Berlin zu laden. "In my homeland of Baden-Württemberg, we are all sitting in one boat", hatte der CDU-Politiker in seiner EU-Zeit einst unnachahmlich zu Protokoll gegeben. Und so etwas Ähnliches hat der MVFP ja auch vor.

Hervorgegangen ist er aus dem guten alten Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), doch nun soll er allen Medien offen stehen, und so dem weiterhin auf die Tagespresse konzentrierten Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) Konkurrenz machen. Damit dabei nichts falsch läuft, steht wie beim VDZ natürlich noch immer in Philipp Welte ein Burda-Mann an der Spitze. Offenburg grüßte Stuttgart, und so nutzte Oettinger das Heimspiel vor versammelter Medienprominenz am 22. Juni für tiefe Einblicke in seine derzeitige Sorgenwelt und den eigenen Medienkonsum.

Ganz schwarz sieht er für Deutschland, das er für ein "Absteigerland im Sinkflug" hält, einen "Sanierungsfall", dem Innovations- und Reformbereitschaft abhanden gekommen ist. Die Agenda 2010 sei noch ein Wurf gewesen, sagte der europaweit tätige Consulter (unter anderem Lidl), heute treffe er auf Stagnation und Larmoyanz, womit der ökonomische Vorsprung weg und ein bedrohlicher Wohlstandsverlust im Kommen sei. Und weil schlechte Nachrichten sich schnell verbreiten, fanden sie bundesweiten Niederschlag.

Sofern er sie nicht selber produziert, schöpft er aus Quellen, die etwas abseits liegen. "Wenn sie in Deutschland up to date sein wollen, müssen Sie sich morgens den Steingart reingezogen haben", outete sich Oettinger als bekennender Fan des nicht unumstrittenen "Morning Briefings", mit dem der jetzt als "The Pioneer" firmierende ehemalige "Handelsblatt"-Herausgeber Gabor S. die Republik beglückt. Gewiss, es hätte schlimmer kommen können. In Brüssel, so Oettinger, setze "die Blase" ebenfalls auf einen Pionier in Sachen neuer Informationsvermittlung: "Da kommen Sie an 'Politico' und dem 'Brüssel Playbook' nicht vorbei". "Politico"-Inhaber Axel Springer dürfte das runter gehen wie Öl, schließlich hat bei Springer-Chef Mathias Döpfner die Lust am deutschen Markt in letzter Zeit erheblich abgenommen. Im Frühjahr kündigte Döpfner dafür an, dank "Politico" und anderer Zukäufe mit Springer in den USA zum drittwichtigsten Medienhaus zu werden.

Kein Bock mehr auf die Stuttgarter Zeitungen

Die Heimatpresse ist dagegen bei Oettinger abgemeldet. "Meine beiden Stuttgarter Zeitungen lese ich gar nicht mehr", so der Ditzinger Schwabe: "Die Verleger haben sich übernommen, das ist alles ausgedünnt." Es gebe zwar jede Menge Todesanzeigen, aber kaum noch etwas über Stuttgart oder die Region zu erfahren, kritisierte der frühere Regent in der Villa Reitzenstein. Das ist doch mal eine messerscharfe Analyse des Trauerspiels, das mit den Ambitionen der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) und dem überteuerten Kauf der "Süddeutschen Zeitung" 2008 seinen Anfang nahm.

Als bald 70-Jähriger ist Oettinger aber noch nicht ganz für die Print-Welt verloren. Denn eben diese "Süddeutsche Zeitung" und die "Frankfurter Allgemeine" liest er noch – "und zwar in der gedruckten Version". Die "Welt" dagegen nutzt er vor allem online. Dafür ist er fünf Stunden am Tag auf Nachrichtenjagd, und "das muss man sich aber zeitlich und finanziell erst mal leisten können". Der Vielfach-Berater kann's.

Trotz Online-Affinität ist Oettinger aber natürlich ein großer Befürworter der von den Verlagen seit Langem geforderten Vertriebsförderung für Presseverlage. Dass seine eigene Partei in der letzten Großen Koalition am schon damals fest zugesagten Thema Presseförderung scheiterte – geschenkt. Jetzt ist schließlich die Ampel zuständig, der die CDU munter ihre Versprechungen um die Ohren haut. Schließlich steht da auf Seite 99 des Koalitionsvertrags: "Wir wollen die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen gewährleisten und prüfen, welche Fördermöglichkeiten dazu geeignet sind." Etwas weiter unten folgt die Zwischenüberschrift "Erinnerungskultur", und genau dazu fühlte sich Oettinger denn auch berufen: "Der Koalitionsvertrag ist ein Pflichtenheft", sagte er in Berlin. Jetzt müsse endlich "das seit zwei Jahren laufende Schwarze-Peter-Spiel beendet" werden, eine Federführung her, "egal ob im Wirtschaftsministerium oder bei der Kulturministerin" und das Ganze "bis Ende des Jahres geklärt werden". Er halte diese Subventionen zeitlich begrenzt für vertretbar, sagte Oettinger, und gab dann nochmal den EU-Kommissar: "Das muss natürlich auch noch in Brüssel genehmigt werden."

Sprach's und reiste ab ins Schwabenland, wo er der Hochzeit des Gesamtmetallchefs Stefan Wolf beiwohnte, der sich in Bad Urach mit dem Sänger Kevin Tarte vermählte. Danach ging's zum Heimatfest nach Laupheim, wo er sich ins Goldene Buch eintrug und wieder vor dem "Sinkflug" warnte. In Berlin amüsierte sich derweil der nicht eben unumstrittene Verleger und Inhaber der "Berliner Zeitung", Holger Friedrich, beim MVFP-Galaabend mit Ex-Bundespräsident Christian Wulff. Aber das ist ein andere Geschichte.


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1 Kommentar verfügbar

  • Christoph Behrendt
    am 28.06.2023
    Antworten
    Na ja, habe den Artikel nur überflogen, denn ich frage mich schon, was da berichtenswert ist? „Liegt“ es wirklich „näher“, einen 70-jährigen, der immer noch gerne Druckerschwärze an die Finger kriegt, als Sprecher zur Tagung eines Verbandes einzuladen, der sich gerade neu firmiert, weil er sich auch…
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