"Statt auf Bußpredigten und Verbote sollten wir vor allem auf Eigeninitiative, Erfindungsreichtum und Unternehmergeist setzen", meint auch Ralf Fücks, Chef der Heinrich-Böll-Stiftung. Für ihn ist wichtig, die Allianz von Ökologie und Demokratie gegen die angeblichen Gefahren des Autoritarismus zu schützen. In den fast 35 Jahren ihres Bestehens hat die Partei tatsächlich nicht wenig erreicht durch Überzeugungsarbeit. Nun aber im Stile von Westerwelle, Lindner und Co. Verbote pauschal als demokratiewidrig zu denunzieren, ist realitätsfern und entzieht obendrein jeder Elterninitiative, die vor der örtlichen Kindertagesstätte für Tempo 30 kämpft, oder der Bürgerschaft, die Nachtflugverbot erstreitet, die moralische Legitimation.
Natürlich haben bereits Gremien getagt. Einige Kreisverbände mahnen die Berücksichtigung der sozialen Komponenten von Freiheit an. Mindestlohn oder Grundeinkommen seien grüne Themen, erinnert eine Stadträtin aus Hannover. Die müssten aufgenommen werden in den Freiheitsdiskurs, "ansonsten werden wir als FDP mit Fahrrad wahrgenommen". Der Label-Versuch Freiheit sei "so hilfreich wie ein Kropf", heißt es im Beitrag zweier ostdeutscher Mitglieder, nach Jahrzehnten der Vereinnahmung durch die FDP transportiere es vor allem die Idee des Egoismus des Einzelnen. Eine neue, positivere Bewertung des Begriffes anzustreben, ist "ein utopisches Unterfangen".
Ein Lob immerhin verdient die Diskussion: Es gibt kein Drängen und kein Schieben, schon gar kein Machtwort, wie es in anderen Parteien, allen voran der Union, von ganz oben längst gesprochen wäre, keine Maulkörbe und keine Denkverbote. Selbst abhängig Beschäftigte können sich ungeniert und offensiv zu Wort melden. So der Freiburger Forschungsexperte Thilo Westermayer, der in der Stuttgarter Landtagsfraktion arbeitet. Er stellt sich klar gegen Bauer und Andreae, beklagt, dass die beiden die "sozialstaatliche und damit materielle Seite von Freiheit" nicht im Blick haben und gibt die Losung "Ohne Sozialstaat keine Freiheit" aus: "Der Steuerwahlkampf war ein Versuch der Ehrlichkeit, jedenfalls hab' ich es so verstanden."
"Wir sollten die liberale Partei in Deutschland sein"
Weil so viel Ehrlichkeit 2013 so wenig Prozente gebracht hat, ist jetzt erst einmal Schluss damit. Die Grünen sind endgültig angekommen in der Welt derer, die ihre Ämter liebgewonnen haben. Minister und Ministerinnen sitzen inzwischen in fast der Hälfte der 16 deutschen Landesregierungen. Und weil das Sein bekanntlich das Bewusstsein bestimmt, schielen die besonders intensiv nach der FDP-Wählerschaft. "Wir sollten die liberale Partei in Deutschland sein", empfiehlt der Hesse Tarek Al-Wazir. "Wir sind auch für Liberale wählbar", lockt Eveline Lemke aus Rheinland-Pfalz.
"Wir müssen einfach ein Stück wirtschaftsnäher und wirtschaftsfreundlicher werden", verlangt Winfried Kretschmann, "weil unsere Industrie im harten globalen Wettbewerb steht." Und von Steuererhöhungen will er nichts hören, weil solche Diskussionen "nur die Leute ins andere Lager" treiben. Das glatte Gegenteil steht im Grundsatzprogramm, dessen Lektüre der frühere Bundesvorsitzende und Heidelberger Landtagsabgeordnete Reinhard Bütikofer dieser Tage allen Beteiligten dringend rät: Freiheit und Selbstbestimmung brauchten "eine gerechte Eigentumsordnung" und "eine gerechtere Verteilung von Steuerlasten".
Unklar ist, wie der vielstimmige Chor einmünden könnte in ein "Programm der Zukunft", das der Bundesvorstand kürzlich auf seiner Klausur in Potsdam diskutierte: "Freiheit" und "Gutes Essen" sind für die Führung die ersten Schwerpunkte in Vorbereitung der Bundesdelegiertenkonferenz im November in Hamburg. Und die geschrumpfte Bundestagsfraktion ("Uns geht's um Ganze") lädt für nächstes Wochenende für einen Tag nach Berlin. Auf dem Flyer symbolisiert ein blondmähniges Wesen unbestimmten Geschlechts, einsam durch die Prärie reitend, die Sehnsucht nach Unabhängigkeit.
Vier Dutzend Referenten und zwölf Zwei-Stunden-Foren werden die Materie von oben und unten beleuchten, von hinten und vorn. Zur Vorbereitung steht ein Check im Netz. "Welcher Freiheitstyp bist Du?", heißt die Frage aller Fragen. Nach 22 Antworten stehen fünf Kategorien zur Auswahl: Ökodiktator, Ökospießer, Kompromissler, Anarchist oder Soziopath. Auch ein Spiegelbild für den Zustand einer Partei, deren führende Köpfe sich - in der realen Welt - aktuell die Freiheit nehmen, Wahlergebnisse von unter sechs Prozent in Sachsen und Thüringen "als Rückenwind" schön zu reden.
13 Kommentare verfügbar
Ulrich Frank
am 23.09.2014Ein…