Am vergangenen Mittwoch konnte Winfried Kretschmann wieder einmal zeigen, was in ihm steckt – an den Stätten seiner Kindheit. In Sonderbuch ist er aufgewachsen, im wenige Kilometer entfernten Zwiefalten stößt er zur Belegschaft seines Ministeriums auf Betriebsausflug. "Regelrecht verzückt" seien viele Kollegen gewesen, sagt anderntags eine Beamtin. Im Münster "Unserer Lieben Frau" begeistert er sich für barocke Fresken und die Zuhörer mit seiner Leidenschaft. Er ist in seinem Element, lenkt den Blick auf die Lebensumstände der Bevölkerung in früheren Jahrhunderten, auf den Kontrast zwischen irdischem Elend und der Pracht sakraler Gebäude als Vorgeschmack auf den Himmel. Fast eine Stunde, in freier Rede, die eigens vorbereiteten Notizen hat er vergessen – sonst hätte er noch länger geredet.
Authentisch und aufrichtig erklomm der gelernte Pädagoge ungeahnte Höhen auf der Demoskopen-Skala der Persönlichkeitswerte. Allerdings steht den Stärken ein – für einen Politprofi mit so langer Erfahrung überraschender – Mangel an strategischem Spürsinn gegenüber. "Ein Operndirektor, der wenig von Ballett versteht, braucht einen besonders starken Ballettchef" – so beschrieb Lothar Späth in den Achtzigerjahren sein Verhältnis zu Matthias Kleinert, dem Weggefährten und legendären Regierungssprecher, der ihn 15 Jahre durch alle Höhen und Tiefen begleitete. Diese Erkenntnis hätte auch Kretschmann besser berücksichtigt, ebenso wie den Rat eines anderen Vorgängers. Erwin Teufel hatte die Funktion des Ministers im Staatsministerium neu belebt und klar definiert: Er oder sie sollte, ohne sich selbst in Szene zu setzen, ausschließlich den Regierungschef entlasten, gerade im Repräsentationsalltag und schon mal rasch verfügbar. Silke Krebs dagegen, die Kurzzeit-Landesvorsitzende der Grünen, die schnell aufgestiegen ist in die Machtzentrale, "arbeitet viel zu oft am eigenen Profil", kritisiert eine Landtagsabgeordnete. Und gegen den Amtschef im Staatsministerium, Klaus-Peter Murawski. Einmal soll ihr Kretschmann sogar mit Rausschmiss gedroht haben.
Oft ist der Ministerpräsident des drittgrößten deutschen Bundeslands von vielen Mitarbeitern umgeben – und doch ganz allein. Er wird gemanagt, gelenkt, geschützt, geschoben und vor allem abgeschirmt, allzu oft auf eine dilettantische, seltsam verquere Art. Und er lässt die Fremdbestimmung zu. Manchmal, sagt einer, der viele Oppositionsjahre mit ihm im Landtag verbrachte, wirkt er wie eine Marionette, ohne eigenen Antrieb. Kretschmann selbst klagt seit Amtsantritt über Termindruck, fehlende Zeit und zu wenig Schlaf, er wünscht sich Kreativfenster, tut aber nichts dafür, sie zu öffnen.
Bei Erwin Teufel wusste jeder, wo es langgeht
Seine Redenschreiber treffen auch im vierten Jahr den Duktus des Chefs selten, und "in der Planung wird nicht unterschieden zwischen wichtig und unwichtig", berichtet ein alter Fuchs aus dem Staatsministerium. Damals unter Teufel seien viele genervt gewesen, wenn der seine Litanei von Prioritäten und Posterioritäten herunterbetete, "aber jeder wusste, wo es langgeht".
Exemplarisch offenbart der kürzlich aufgebrochene Konflikt zwischen Kretschmann, SPD-Sozialministerin Karin Altpeter und beiden Regierungsfraktionen um die Stellung kommunaler Beauftragter für Menschen mit Behinderung, wie schlecht das Frühwarnsystem in der direkten Umgebung des Ministerpräsidenten funktioniert. Und dass es keine Mechanismen zur Schadensbegrenzung gibt. Zwar kann Murawski für sich in Anspruch nehmen, darauf hingewiesen zu haben, dass Kretschmann eine Bevormundung der kommunalen Seite durch die geplante Neuregelung nicht mitmachen werde – viel zu knapp allerdings vor der entscheidenden Kabinettssitzung und nach mehr als einem Jahr Verhandlungen unter Beteiligung einer Beamtin des Staatsministeriums. Weder das Innen- noch das Sozialministerium wollten die Schuld am Ärger auf der Zielgeraden tragen, also wird der interne Zwist öffentlich. Prompt argwöhnen Genossen wie SPD-nahe Kreise ein grünes Revanchefoul dafür, dass Finanzminister Nils Schmid seine Nullverschuldungspläne im Alleingang publik gemacht hatte. Von solchen Manövern ist Kretschmann aber "mental so weit entfernt wie von seinen Gegenfüßlern", meint ein Grüner, dem "Moses aus Laiz" ("Die Zeit") sei nun mal "jede Taktik fremd, im Guten wie im Bösen".
18 Kommentare verfügbar
morgenwieder
am 25.07.2014ein bisschen dumm sind sie aber schon, oder? wenn es nicht mal zum googlen reicht...
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