Also wieder Spanien. Kretschmann ist unterwegs auf den Spuren von Lothar Späth. Der hatte sich vor fast 30 Jahren die "vier Motoren Europas" ausgedacht. Mit Baden-Württemberg, der Lombardei, Katalonien und Rhône-Alpes sollten besonders wirtschaftsstarke Regionen voneinander lernen. Schon damals im Gepäck: das Modell des sich gegenseitig stärkende Miteinanders von Berufsschule und betrieblicher Praxis, als Markenzeichen eigener Stärke. Die Chancen, im Ausland tatsächlich Interesse für die grundlegende Reform der Arbeitswelt zu wecken, standen nicht schlecht. Bosch hatte sich in einen katalonischen Autoausrüster eingekauft. Das Stuttgarter Unternehmen mit dem weltweit klangvollen Namen gründete schon 1913 die erste Lehrlingswerkstatt und brachte unendlich viel Erfahrung mit. Späth warb und lockte und trommelte. Setzte auf Wissenstransfer, immer zum Wohle Baden-Württembergs natürlich. Nicht nur Spanien sollte lernen vom Südwesten, Frankreich und Italien, sondern auch China, die Tigerstaaten, die USA, am besten die ganze Welt.
Die (Zwischen-)Bilanz ist niederschmetternd. Kein einziger der anvisierten Abnehmer hat seine berufliche Bildung wenigstens im Ansatz umgestellt. "In regelmäßigen Intervallen taucht der Vorschlag auf, das deutsche System in andere Länder zu transferiere", heißt es in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung. Mal solle es die "wirtschaftliche Entwicklung befördern, mal zur deutlichen Reduzierung der (Jugend-)Arbeitslosigkeit in den möglichen Transferländern beitragen". Die Bilanz fällt ernüchternd aus: "Trotz vielfältiger Bemühungen von deutscher Seite bleibt die duale Ausbildung auf wenige Staaten in Mitteleuropa begrenzt." Dort funktionieren stabile Kooperationen wie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im badischen Landesteil mit seinem "echten grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt", wie die Bundesagentur für Arbeit wirbt: Rund 22 500 Fachkräfte pendeln aus dem Elsass auf die rechte Rheinseite. Allerdings pendeln auch 34 000 Badener in die Nordschweiz, Auszubildende inklusive.
Global Player wie Bosch oder SAP sind keine wirkliche Hilfe beim Versuch, hiesige Standards über Mitteleuropa hinaus zu verankern. Die Großen haben längst ihre eigenen Systeme aufgebaut. Und tragen statt zur Ausdehnung munter zur Begriffsverwirrung bei. Denn 140 von der deutsche Wirtschaft getragene Schulen weltweit preisen die duale Ausbildung zwar an, wenden sich damit aber vor allem an mehrsprachige Abiturienten mit Karriereabsichten. Ganze 220 werden derzeit in Spanien unterrichtet und absolvieren Praxisphasen in den Betrieben. Die Schulleiterin bekennt unumwunden, sich "als verlängerter Arm der Unternehmen zu verstehen". Die Besten binden die Firmen rasch an sich, andere studieren weiter, der Sprache wegen gerne übrigens in Mittel- und Südamerika. Mit der Berufsausbildung nach deutschem Mittelständler-Muster hat das wenig zu tun. Und wenn es die gibt, wie im Madrider Bosch-Werk, dann wird der Aufwand groß und jede Menge Unterstützung nötig: Im Herbst fangen 50 spanische Jugendliche an, Sprachkurse und Lebenspraktika ("Wie ist der richtige Umgang mit Behörden?") stehen auf den Stundenplan. In vielen EU-Ländern, vor allem im Süden, bleibt der Normalfall weiterhin "Training on the Job", was nichts anderes bedeutet als eine Schnellbleiche über wenige Tage, bestenfalls Wochen. "Die Unternehmer sehen nicht ein, dass sie in einen Schulbesuch investieren sollen in einer Zeit, in der die Leute auch bei ihnen im Betrieb arbeiten können", sagt Uwe Peleikis, Spanienkenner und stellvertretender Leiter der Kaufmännischen Schule 1 in Stuttgart. Seit Jahren unterhält sie intensive Kontakte nach Madrid und Barcelona und will einen wirklichen Austausch auf die Beine stellen. An einer Horizonterweiterung in Spanien interessiert sind vor allem angehende Speditionskaufleute; ihr Ausbildungsbetrieb und ihre Schule tragen – siehe oben – die Kosten gemeinsam. Noch geht es um Einzelfälle, das für die Auslandsaufenthalte zuständige Lehrerteam visiert aber an, ganze Klassen aus Stuttgart nach Madrid und Barcelona zu schicken.
12 000 Bewerbungen für 15 Lehrstellen in Deutschland
Weil das heimischen Mittelständlern, die keine Lehrlinge mehr finden, wenig hilft, hat sich die Stoßrichtung bilateraler Austausch-Initiativen geändert. Rund 600 000 Fachkräfte, haben Experten ausgerechnet, werden bis zum Jahr 2030 allein im Südwesten fehlen. Unter dem Deckmantel der Ausfuhr des erprobten heimischen Ausbildungssystem geht es deshalb – nicht immer, aber immer öfter – um die Suche nach Menschen, die europäische Arbeitsfreizügigkeit zum Wechsel nach Baden-Württemberg nutzen wollen, Personenmobilität nennen das Technokraten, wenn sie nicht wie in den Sechzigerjahren von Anwerbung sprechen wollen. Lidl, der Discounter aus Neckarsulm, zählte in Spanien 12 000 Bewerbungen für 15 Lehrstellen in Deutschland. Im Dezember 2011 wurden hundert spanische Ingenieure zur Jobbörse nach Stuttgart eingeflogen, 22 blieben. Die Handwerkskammer Ulm holte im Rahmen des Projekts "Azubis aus Spanien" neun junge Männer ins Land, fünf sind schon wieder daheim. Sprachprobleme in der Berufsschule, der Umstieg auf ein Studium oder die Rückkehr zur Freundin in Spanien nennt die Kammer als Motive. Den Lidl-Azubis wurde von vornherein eine Anstellung beim spanischen Tochterunternehmen zugesagt. "Es wird bei uns viel zu wenig berücksichtigt, wie groß der Schritt von Spanien nach Deutschland für jeden Einzelnen ist", kritisiert Peleikis.
3 Kommentare verfügbar
GS
am 15.06.2014"Rund 25 Prozent gelten – nach den deutschen Standards – als arbeitslos, nicht 50 Prozent, wie so gern kolportiert wird. "
Nur 25% Jugendarbeitslosigkeit, Na dann ist ja alles in Ordnung!
Ja gehts noch?