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Erzbergers schwerer Gang

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Am Ende des großen Schlachtens drücken sich die Generäle. Den Waffenstillstand muss ein Staatssekretär für das Deutsche Reich unterzeichnen. Matthias Erzberger gilt seitdem bei den Rechten als "Novemberverbrecher". Teil XIV unserer Serie "Der Weltkrieg im Südwesten".

11. November 1918, ein Montag, früher Morgen, 5.20 Uhr. In einem Salonwagen, der in einem Waldstück nahe der Stadt Compiègne steht, wird der Waffenstillstand zwischen dem Deutschen Reich und seinen Gegnern im Westen unterzeichnet. Sechs Stunden später tritt er in Kraft. An diesem letzten halben Kriegstag sterben noch 2783 Soldaten, mehr als 8000 werden verwundet.

Die Alliierten diktieren den Deutschen harte Bedingungen. De facto wird eine Kapitulation der deutschen Armee verlangt. Die alliierte Delegation wird von Marschall Ferdinand Foch geführt, dem "Helden von Verdun". Auf deutscher Seite steht ein Zivilist an der Spitze, der Staatssekretär Matthias Erzberger, ein Volksschullehrer aus Buttenhausen in Württemberg.

Das ist ungewöhnlich: Normalerweise ist der Abschluss eines Waffenstillstands Sache der Militärs. Doch die haben sich auf deutscher Seite aus dem Staub gemacht und den ganz und gar undankbaren Auftrag Politikern überlassen.

Die Vorgeschichte dieses 11. November ist rasch erzählt: Ende September hat General Ludendorff, der eigentliche Chef der OHL (Oberste Heeresleitung), völlig überraschend Verhandlungen über einen Waffenstillstand gefordert; der Krieg sei nicht mehr zu gewinnen. Das deutsche Volk ist geschockt. Noch wenige Wochen zuvor sind Siegesmeldungen verbreitet worden, und schließlich stehen die deutschen Truppen tief im Feindesland.

Der US-Präsident Wilson scheint der neuen Regierung des Reichskanzlers Max von Baden der geeignete Verhandlungspartner. Fünf Wochen verhandelt man hin und her. Während dieser Zeit werden noch etwa 500 000 Soldaten auf beiden Seiten der Front getötet oder verwundet. Um die Demokratien des Westens etwas gnädiger zu stimmen, werden nun in Berlin auch Parlamentarier an der Regierung beteiligt. Etwa der Staatssekretär Matthias Erzberger, der Chef der deutschen Waffenstillstandskommission.

Ludendorff schiebt die Verantwortung an die Politiker ab

Ludendorff will die Verantwortung für den verlorenen Krieg den von ihm gehassten Politikern zuschieben: "Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muss. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben." Auch sein Stellvertreter, der württembergische General Groener, meint, durch die Entsendung der Zivilisten "den guten Ruf" des Militärs "für die Zukunft unbelastet zu erhalten".

Wenige Monate später wird Matthias Erzberger im Reichstag den hinterhältigen Ludendorff vorführen: "Die Regierung des Prinzen Max von Baden hat vielleicht einen einzigen Fehler gemacht, wenn es ein Fehler war. Sie hätte den General Ludendorff hinschicken und ihm sagen sollen: 'Schließe du den Waffenstillstand ab!'"

Nun aber werden die Führer der demokratischen Parteien von den Anhängern der alten Ordnung als "Novemberverbrecher" diffamiert. Dabei ist die deutsche Delegation in Compiègne entsetzt, als ihr die Bedingungen des Waffenstillstands vorgelegt werden: die sofortige Räumung aller besetzten Gebiete im Westen sowie die Freigabe Elsass-Lothringens, die Räumung des gesamten linken Rheinufers und einer 35 Kilometer breiten rechtsrheinischen Sicherheitszone, die entmilitarisiert bleiben soll. Die Städte Köln, Koblenz und Mainz sollen durch alliierte Truppen besetzt werden. Der Friedensvertrag von Brest-Litowsk wird annulliert. Sämtliche U-Boote und große Mengen an Waffen, Munition, Fahrzeugen und Lokomotiven sind abzuliefern. Die alliierten Kriegsgefangenen sollen freigelassen werden, während die deutschen noch nicht heimkehren dürfen. Die Seeblockade soll vorerst weiter bestehen bleiben – und damit der Hunger im Reich.

Erzberger handelt noch Erleichterungen aus

Erzberger nimmt telegrafisch Verbindung zur Obersten Heeresleitung auf, der Generalfeldmarschall Hindenburg drahtet zurück, man solle versuchen, Milderungen zu erreichen, in jedem Falle aber unterzeichnen. Erzberger gelingt es tatsächlich, eine ganze Reihe von Erleichterungen durchzusetzen. Bei seiner Rückkehr ins deutsche Hauptquartier im belgischen Spa dankt ihm Hindenburg "für die ungemein wertvolle Arbeit, die Sie dem Vaterlande geleistet haben". Dies berichtet Erzberger in seinem Buch "Erlebnisse im Weltkriege". Darin steht auch, dass von den Militärkraftwagen, selbst im Hauptquartier, jetzt rote Fahnen wehen.

Der Aufstand der Matrosen steht am Beginn der Revolution. Sie wehren sich dagegen, zu einem letzten "ehrenvollen Gefecht" gegen die weit überlegenen Briten auszulaufen. In Wilhelmshaven marschieren sie unter dem Transparent "Wir sind das Volk", in Kiel und bald an der ganzen Küste haben rote Fahnen die Farben des Kaiserreichs abgelöst.

Bald greift die Revolution auf Berlin über. Am 9. November wird dort der Thronverzicht des Kaisers bekannt gegeben; wenige Stunden später vom Sozialdemokraten Scheidemann die "Deutsche Republik" ausgerufen. In wenigen Wochen geben alle gekrönten Häupter in Deutschland das Zepter ab; relativ spät die Herrscher im Südwesten: Großherzog Friedrich II. von Baden am 22. November, König Wilhelm II. von Württemberg gar erst am letzten Tag des Monats.

Die Militärs machen sich einfach aus dem Staub

In diesem November 1918 hat sich die Welt grundlegend verändert. Die tausendjährige Herrschaft des Adels ist zu Ende, das Volk – so scheint es – hat gesiegt.

Kaiser Wilhelm II., der noch wenige Tage zuvor, an der Spitze seiner Truppen kämpfend, den Soldatentod an der Front finden wollte, hat stattdessen ein nettes Schlösschen in Holland gefunden und lebt dort noch mehr als zwanzig Jahre im Exil. Ludendorff klebt sich einen falschen Bart an und flieht mit gefälschten Papieren nach Schweden.

So machen sich die Spitzen Preußen-Deutschlands einfach aus dem Staub. Die Misere regieren müssen nun andere, darunter auffallend viele Politiker aus dem Südwesten: Reichskanzler Prinz Max von Baden, sein Nachfolger Friedrich Ebert, Matthias Erzberger, der Liberale Conrad Haußmann.

Schon bald müssen sie sich der gefährlichen "Dolchstoßlegende" erwehren: ein Jahr nach Kriegsende hat der ehemalige Generalfeldmarschall Hindenburg den Dank an Erzberger vergessen oder verdrängt. Er behauptet jetzt, die Armee sei "von hinten erdolcht worden". Natürlich ist das ziemlicher Schwachsinn, aber besonders die ehemaligen Frontsoldaten und ihre Offiziere hören es gerne, "im Felde unbesiegt" geblieben zu sein.

Dem Waffenstillstand folgt der Vertrag von Versailles; auch dies eine schwere Hypothek für die junge deutsche Republik – selbst wenn die meisten Historiker heute meinen, dieser Vertrag sei besser als sein Ruf gewesen.

Matthias Erzberger wird Reichsfinanzminister, seine Reformen stärken das Reich gegenüber den Teilstaaten und tragen so wesentlich zur leidlichen Stabilität der Weimarer Republik bei. Er zählt zu den Erfahrensten in der politischen Klasse des neuen Deutschland; seit 1903 Mitglied des Reichstags, ein umtriebiger, immens fleißiger Berufspolitiker, ausgestattet mit einem phänomenalen Gedächtnis. Aber der Sohn kleiner Leute bleibt doch zeitlebens, selbst dem liberalen Bürgertum, ein etwas unheimlicher Außenseiter, dem kaum jemand so recht was gönnt. 

Vom wihelminischen Mainstream-Politiker zur Hassfigur

Dabei ist der Abgeordnete Erzberger jahrelang durchaus im wilhelminischen Mainstream mitgetrudelt, als Verfechter abenteuerlicher Kriegsziele, im Wortkrieg gegen Sozialisten hat er auch schon mal die eine oder andere antisemitische Attacke geritten.

Doch nun ist er für die alten Eliten und die neue radikale Rechte zum meistgehassten Politiker in Deutschland geworden: Beleidigungen, Prozesse, Attentate. Der deutschnationale Abgeordnete Helfferich schreibt ein Pamphlet "Fort mit Erzberger". Ein ehemaliger Offiziersanwärter schießt auf den Zentrumspolitiker, der dabei – mit viel Glück – nur verletzt wird. Der Schütze kommt mit einer lächerlichen Strafe davon – 18 Monate Gefängnis.

26. August 1921, Bad Griesbach im Schwarzwald. Matthias Erzberger, der hier zur Kur weilt, macht einen Spaziergang mit einem Parteifreund. Dabei wird er von zwei ehemaligen Marineoffizieren mit Pistolenkugeln regelrecht hingerichtet. Die Täter fliehen nach München. Bayerns Polizei zeigt sich bei den Ermittlungen nicht besonders eifrig. So gelingt es den Attentätern, ins Ausland zu entkommen. 

Die zahlreichen Feinde der jungen Republik von Weimar verbergen kaum ihre Freude über den gewaltsamen Tod des "Novemberverbrechers". Nationalistische Studenten, das sind die meisten, singen – in Abwandlung des Kirchenliedes – "Nun danket alle Gott für diesen braven Mord".


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2 Kommentare verfügbar

  • Nichts...
    am 18.07.2014
    Antworten
    ...hat sich geändert!
    Die sogenannten "bürgerlichen" in der Politik handeln früher wie heute menschenverachtend und verantwortungslos (Gier frißt Hirn).
    Die "bürgerlichen" und der Monarch zetteln aus imperialistischer Großmannssucht (Gier nach Macht/Land) im Jahr 1914 den 1.Weltkrieg an (nehmen…
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