Gerade einmal 26 Jahre alt, macht sich der frisch promovierte Chemiker Dr. Adolf Richter mit einer Gold- und Silberscheideanstalt 1865 in Pforzheim selbstständig. Er hat zuvor in Paris und London gearbeitet, kennt also die Außensicht auf das monarchistisch-nationalistische Kaiserreich. Sein Unternehmen profitiert ab 1871 vom allgemeinen Aufschwung nach dem siegreichen Krieg mit Frankreich. Im Gegensatz zu den "an Sedan- und ähnlichen Feiern im Siegesrausch schwelgenden Veteranen" aber sieht Adolf Richter den tiefen Riss, den grimmigen Hass gegen die "Prussiens", der als gärender Bodensatz in Frankreich zurückgeblieben ist. Ohnehin bereits politisch engagiert in der linksliberalen Deutschen Volkspartei, geraten die Friedensfreunde Europas in sein Blickfeld.
Ein naher Verwandter macht den Pforzheimer Jungunternehmer auf die "Internationale Liga des Friedens und der Freiheit" in Genf aufmerksam, deren prominente Propagandisten der französische Romanschriftsteller Victor Hugo, der italienische Revolutionär Guiseppe Garibaldi und auch der russische Anarchist Michail Bakunin sind. Ihr Ziel ist die Schaffung einer europäischen Demokratie, der "Vereinigten Staaten von Europa". Richter schreibt später: "Sie stimmten mit unserem politischen Programm, dem der Demokratie, überein, die Völkerverständigung und Schiedsgericht auf ihr Banner geschrieben hatte, und so wurde ich Mitglied im Frühjahr 1879." Inzwischen ist der Pforzheimer Fabrikant auch Stadtverordneter im Bürgerausschuss der Stadt, engagiert sich später noch zwölf Jahre lang als Stadtrat – ihm verdanken die sozial Schwachen die Abschaffung des Schulgelds für die Volksschule und die Lehrmittelfreiheit.
In Rom erlebt Adolf Richter 1891 als einziger Deutscher einen gut besuchten Kongress der weltweit wachsenden Friedensbewegung:" Mit Beschämung vernahm ich da, dass in Amerika, England, Frankreich, den skandinavischen Staaten, Italien, Rumänien und anderen Ländern überall Friedensorganisationen bestanden, während mein Vaterland nichts derart aufweisen konnte und mit einem gewissen Recht als Militärstaat gebrandmarkt wurde." Im selben Jahr noch gründete die Schriftstellerin Bertha von Suttner in Österreich die Friedensgesellschaft, auch ihr Kollege Peter Rosegger trat bei. Suttners ethisch-moralische Friedensappelle in ihrem Roman "Die Waffen nieder!" hatten auch in Deutschland Aufsehen erregt.
In der Zitadelle des Militarismus
Ihr Gefolgsmann, der Wiener Vertragsbuchhändlers Alfred Hermann Fried, organisierte für Bertha von Suttner im Jahr darauf, Anfang November, eine öffentlichen Versammlung in Berlin, der "Zitadelle des Militarismus" (Suttner). Sie entfachte so große Begeisterung, daß sich tags darauf, am 9. November 1892, in der Weinstube des Hotels Kaiserhof honorige Herren einfanden und die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG) konstituierten. Zunächst war man sich aber uneins, ob man nur ein exklusiver Herrenclub sein wollte, der lediglich den Reichstag für die Idee einer internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zu beeinflussen versuchte, oder ob man eine große Öffentlichkeit anpeilte.
4 Kommentare verfügbar
libuznik
am 30.06.2014So geht es 65…