Sie lehnen es ab, "chauvinistische Artikel" abzudrucken und "über Nacht wie Keil und der Landesvorstand ihre Gesinnung zu wechseln." Und überhaupt: Sie seien nach wie vor Sozialdemokraten und als solche gemäß den Parteitagsbeschlüssen gegen den Krieg. Innerparteilich geht es deftig zur Sache: "Lump", "Gesinnungsschwein", "Polizeispitzel". Zum Repertoire der Rechten gehören noch "Schreihals" und "Krakeeler".
Der SPD-Landesvorstand kocht vor Wut, der Vorsitzende Friedrich Fischer und seine Getreuen wollen endlich ihren "sozialpatriotischen" Kurs bei der Parteizeitung durchsetzen. Anfang November kommt es zum "Gewaltstreich": Der Königsfreund Wilhelm Keil wird zum Chefredakteur ernannt – ohne die "Presskommission" zu fragen.
Die Empörung in den linken Ortsvereinen, besonders in Stuttgart, aber auch in den Industriestädten Göppingen und Esslingen, ist groß. Die Parteiführung muss aus Berlin anreisen, um den Streit zu schlichten. Vergebens. Selbst Otto Braun und Friedrich Ebert können den statutenwidrigen Handstreich des Landesvorstands nicht rückgängig machen. So kommt es bereits Ende 1914 in Württemberg faktisch zur Spaltung der Partei. Jahre vor der Trennung von linken und rechten Sozialdemokraten, von USPD und SPD, im Reich. Der Kriegsgegner Friedrich Westmeyer gibt nun eine eigene Zeitung heraus: "Der Sozialdemokrat". Im Juni 1915 wird er aus der SPD-Fraktion im württembergischen Landtag ausgeschlossen.
Zur Strafe an die Front geschickt
Die" Gruppe Westmeyer" wird von der Polizei und den Militärbehörden schikaniert, wo es nur geht: Versammlungsverbote, Vorladungen, Verhaftungen. Im Frühjahr 1917 bekommen viele linke Sozialisten Stellungsbefehle. Der Kriegsgegner Johann Friedrich Westmeyer aus Stuttgart stirbt am 14. November 1917 im Alter von 44 Jahren in einem Westfrontlazarett in Rethel bei Reims an der Ruhr. Nach seinem Tod schreibt Rosa Luxemburg aus dem Breslauer Gefängnis an Clara Zetkin nach Stuttgart: "Westmeyer ist ein großer Verlust. Ich dachte immer, er würde noch in großen Zeiten eine Rolle spielen." Etwas verspätet meldet selbst die "New York Times" seinen Tod: "German Anti-War Socialist was sent to the Front as Punishment."
Westmeyer ist heute völlig vergessen. Während Hindenburg und andere Militärführer immer noch auf Straßenschildern zu finden sind, während es sein Gegenspieler in Stuttgart immerhin noch zu einem "Wilhelm-Keil-Weg" gebracht hat, ist der Kriegsgegner nahezu unbekannt. Keine Straße, kein Platz, kein Weg, weder Staffel noch Stäffele; nicht einmal eines der Waldheime ist nach Friedrich Westmeyer benannt, obwohl er doch deren Erfinder war. Da bleibt noch etwas gutzumachen. Der 100. Jahrestag seines – vergeblichen – Kampfes wäre ein gute Gelegenheit dafür.
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TheSocialistLiberal
am 16.05.2014