Wut und Verzweiflung: "Noch bin ich gesund und gehe auf mein 86. Lebensjahr zu. Während ich diese Zeilen schreibe, erschüttern mich die Ermordung der drei jüdischen Jugendlichen und die Entführung und die Verbrennung bei lebendigem Leibe eines 14-jährigen Palästinensers, wie auch die gescheiterte Entführung eines neunjährigen palästinensischen Kindes. Schon lange handelt man in Israel/Palästina nach dem Motto 'Auge um Auge, Zahn um Zahn'", schreibt Reuven Moskovitz am 8. Juli aus Jerusalem an seine Freunde in Deutschland.
Verzweiflung ist neu. Moskovitz, geboren in Rumänien, hat den Holocaust überlebt, ist mit 19 Jahren nach Israel geflohen, war Baggerführer, studierte in Jerusalem Geschichte und hebräische Literatur, wurde Lehrer – ein Mensch voller Lebensfreude und Tatendrang. Trotz der schlimmen Erlebnisse während der Nazizeit und des Kriegs in seiner rumänischen Heimat, trotz der schwierigen Flucht und der Rückschläge in den Friedensinitiativen, bei denen er sich von Anfang an engagierte, nach dem Sechstagekrieg als Sekretär der neu gegründeten "Bewegung für Frieden und Sicherheit".
Begeisterung für sein Land Israel schwang immer mit, wenn er in Vorträgen und vor deutschen Schulklassen vom jüdischen Leben im Schtetl erzählte, die aktuelle Nahostpolitik analysierte oder die Möglichkeiten des friedlichen Zusammenlebens von Israelis und Palästinensern in Israel aufzeigte. Hoffnung begleitete seine demonstrative Fahrt mit dem Segelschiff am Jom-Kippur-Tag, dem Tag der Versöhnung, vor vier Jahren von Zypern aus Richtung Gaza.
Das gefährlichste Konzept, Krieg zu vermeiden, ist das israelische
Und nun klingt zum ersten Mal Verzweiflung in Moskovitz' Worten: "Ich wende mich jetzt an euch mit meinen letzten Atemzügen. Das gefährlichste Konzept, Krieg zu vermeiden, ist das israelische, das davon ausgeht, dass Terror nur mit immer weiterer Gewalt besiegt werden kann. Ich erinnere an das Gebot 'Du sollst nicht töten', das für mich auch bedeutet, selbst dann nicht zu morden, wenn andere morden. Zu morden ist aber schon immer das wichtigste Konzept sowohl der israelischen Politiker als auch eines Teils des palästinensischen Widerstands gewesen."
Selbst wenn er, wie Abraham, einhundertfünfundsiebzig Jahre alt würde, Reuven Moskovitz wäre wohl immer noch unterwegs zwischen Jerusalem und Berlin und seinem kleinen Häuschen nördlich von Haifa an der libanesischen Grenze. "Gefährlich? Ach wo. Die Raketen von beiden Seiten fliegen doch drüber weg." Seine blauen Augen lachen meist. "Jahrelang bin ich ruhelos in der Fremde herumgeirrt; jetzt bin ich gekommen, um ruhelos in der Heimat umherzuirren", zitierte er einmal den jüdischen Dichter Itzig Manger. Wie könnte er auch ruhig sein, der kleine, kompakte Mann? Kariertes Hemd und glatt zurückgekämmte graue Haare, Straßenbauer und Geschichtslehrer. Wie könnte er ruhig sein angesichts palästinensischer Flüchtlingslager, dem wachsenden Einfluss religiöser Fanatiker und Nationalisten unter Juden und Palästinensern, neuen Siedlungen und dem Unrecht, das täglich in der Westbank und in Gaza geschieht.
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Karl-Heinz Behr
am 31.07.2014