Der zweite Schlossgarten-Untersuchungsausschuss schreibt Geschichte. Nicht, weil ein und dasselbe Thema erneut verhandelt wird – solche Doubletten gab's schon in der Landesgeschichte –, sondern weil erstmals ein Grüner einem Gremium wie diesem vorsitzt. Jürgen Filius hat allerdings schon vor dem eigentlichen Auftakt der öffentlichen Arbeit am 9. Mai jede Menge Probleme. Selbst gemachte, nachdem er sich in seiner Bewertung des "System Mappus" reichlich aus dem Fenster gelehnt hat, und weil ihn die CDU mit Beschwerden über Fraktionskollegen traktiert. Darunter der stellvertretende Fraktionschef Uli Sckerl, der selber mit dem Ausschussvorsitz geliebäugelt hatte, aber kein Jurist ist. Oder der Stuttgarter Abgeordnete Nikolaus Tschenk, der erst neulich einen umfangreichen Katalog zu Planungsstand, Kosten oder Brandschutz auf den parlamentarischen Weg gebracht hat. Beiden wird versuchte Einflussnahme vorgeworfen.
Im Mittelpunkt der Kritik allerdings steht Brigitte Lösch. Die bezeichnet sich – zu Unrecht – als Erste Stellvertreterin von Landtagspräsident Guido Wolf. Ein Amt, das es gar nicht gibt, da alle Stellvertreter gleichrangig sind. Vor allem aber hat sie in einem Abgeordnetenbrief – ohne Erfolg – Fragen ans Justizministerium zum Schwarzen Donnerstag gestellt, die sie sich nun als Ausschussmitglied selber beantworten könnte. Zwar möchte die CDU nicht unterstellen, dass sie diese Information an Dritte weitergibt, sie verlangt aber – aus Gründen der politischen Hygiene – eine Klärung des Sachverhalts bis zum 9. Mai. Filius hüllt sich vorerst in beredtes Schweigen, will Lösch ganz offensichtlich nicht ohne Weiteres beispringen.
Im EnBW-Ausschuss mussten die CDU-Abgeordneten Volker Schebesta und Winfried Mack nach der Weitergabe von Informationen an Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus ihren Hut nehmen. Die Grünen verlangten damals einen Stopp der alten Netzwerke in der CDU-Fraktion. Jetzt, so CDU-Ausschussobmann Reinhard Löffler, befinde sich die Vizepräsidentin wegen ihres einschlägigen Engagements in einer ähnlichen Bredouille. Gegen die 51-Jährige bringt er jedenfalls "die Besorgnis der Befangenheit" vor – ganz so, als könne er keinen Unterschied erkennen zwischen Fragen stellen und Dienstleistungen für bedrängte Zeugen. "Der Zweck heiligt die Mittel auch für eine gute Sache nicht", warnt allerdings selbst einer der Sozialdemokraten im Ausschuss.
Der Namensvetter attackiert die Grünen
Szenenwechsel: Am letzten Aprilsamstag auf dem Stuttgarter Marktplatz. Die im schwierigen Wahlkreis IV der Landeshauptstadt mit einem Sensationsergebnis von mehr als 32 Prozent 2011 direkt in den Landtag gewählte Sozialpädagogin mischt sich unter die Demonstranten gegen Tiefbahnhof und Bahnreform. Grüne, gerade solche, die regelmäßig auf den Montagsdemos der Tiefbahnhofgegner geredet haben, die aus ihrer Kritik an der DB kein Hehl machen, die lange gegen Stuttgart 21 kämpften, haben hier keinen leichten Stand. Brigitte Löschs nicht verwandter Namensvetter Volker sieht Winfried Kretschmann persönlich auf Platz eins einer "Hitliste der Lobbyisten, Antidemokraten und Betrüger", er wirft dem Regierungschef vor, "zu kungeln und zu liebedienern mit der Wirtschaft wie die CDU in ihren schwärzesten Zeiten". Dafür kassiert der bekannte Theaterregisseur lebhaften Beifall. Später im Großen Sitzungssaal wird fünf Wochen vor den Kommunalwahlen ein Teil des Auditoriums, der alles andere als ein kleines Häuflein ist, jubeln bei der Vorstellung, die Grünen hätten auf den Eintritt in die Landesregierung verzichtet der reinen Stuttgart-21-Lehre wegen.
Mit Haltungen wie diesen kann Brigitte Lösch ganz wenig anfangen. Zugleich weiß sie, dass dagegen nicht anzukommen ist. "Vielen ist zu wenig wert, was wir politisch erreichen können und bereits erreicht haben", sagt sie, die seit 13 Jahren dem Landesparlament angehört. Von der Gleichstellung schwuler und lesbischer Paare bis zur Abschaffung der Studiengebühren, von der Einführung der Gemeinschaftsschule bis zum Hotel Silber, einem geplanten Gedenkort in der einstigen Gestapo-Zentrale Stuttgarts. Allein wegen Stuttgart 21 ist sie in dieser Legislaturperiode einige Dutzend Mal aktiv geworden, zuletzt in Sachen Enteignungsverfahren. Für viele hier ist sie dennoch eine Verräterin – oder zumindest eine unsichere Kantonistin.
Eigennutz, an der Macht kleben und die Hände in den Schoß legen – das sind in der Szene oft gehörte Ansichten über die Politikerkaste im Allgemeinen, die Grünen und die Grüne im Besonderen. In einschlägigen Foren wird ihr vorgeworfen, zu wenig getan zu haben gegen Stuttgart 21 und für die Aufklärung der Vorgänge am Schwarzen Donnerstag. Was wiederum die CDU ganz und gar nicht findet. Die beklagt vielmehr, Lösch habe mit ihren einschlägigen Abgeordnetenbriefen den Ausschuss und seine Aufklärungsarbeit schon vor Beginn in schlechtes Licht gerückt. Kein kleiner Vorwurf. Der Aufschrei der Parteifreunde zur Verteidigung ihrer bisher einzigen Vizepräsidentin bleibt aus.
Nicht immer applaudiert die eigene Fraktion
Lösch, die von 2001 bis 2006 – gemeinsam mit Kretschmann – stellvertretende Fraktionschefin und parlamentarische Geschäftsführerin war, diskutiert sehr häufig mit Schülern, will zur politischen Bildung beitragen und "die Demokratie auch mit persönlichem Engagement attraktiv halten". Sogar in der eigenen Fraktion ist der Grat immer wieder schmal. Sie bekommt nicht nur Applaus, wenn sie "ihre Leib- und Magenthemen fährt", wie einer berichtet, etwa Anfang April, als sie eine Sitzung verlässt, um streikenden Journalisten eine Solidaritätsadresse zu überbringen. Oder wenn sie die sattsam bekannten Stuttgart-21-Schwachstellen immer und immer wieder thematisiert.
Selbst den Konflikt mit Kretschmann höchstpersönlich scheut sie nicht, unterstützt im vergangenen Sommer einen offenen Brief, der "um entschiedenes politisches Handeln zum Wohle des Landes und unserer Stadt" bittet im Zusammenhang mit den Mehrkosten des Milliardenprojekts. Sie legt sich mit Innenminister Reinhold Gall (SPD) an, weil er den Rahmenbefehl nicht aufhebt, weil er den verstorbenen Stuttgarter Polizeipräsidenten Thomas Züfle – in ihren Augen – falsch zitiert. Sie findet deutliche Worte gegen einen Polizeieinsatz vom Herbst 2012, als in Göppingen linksautonome Gruppen am Rande einer Nazidemo eingekesselt werden. Lösch war vor Ort, kann ohne Schaum vorm Mund berichten und muss sich doch von der CDU rüffeln lassen, "antifaschistischen Schlägerbanden den roten Teppich auszurollen".
Jahrelang Einzelkämpferin im Geislinger Gemeinderat
Einmischen ist der vergleichsweise spät berufenen Grünen als größte Bürgerinnenpflicht anerzogen worden von ihren Eltern, erzählt sie. Ihr verstorbener Vater Karl war ein linker Sozialdemokrat, stellvertretender Landesvorsitzender der legendären IG Druck und Papier, der 1980 als Gefolgsmann von Erhard Eppler den Einzug in den Landtag knapp verpasst und seiner Partei den Rücken später kehrt, weil er die Agenda 2010 nicht mittragen mochte. Die Tochter engagierte sich in der Jugendhausszene, lebte in einer WG auf der Alb, saß jahrelang als parteilose alternative Einzelkämpferin im Geislinger Gemeinderat, bis sie 1993 den Grünen beitrat in einer Erkenntnis, die auch den Bogen zu ihrem kirchlichen Engagement schlägt. Aus dem ersten Korintherbrief gelten ihr die Zeilen "Denn wie der Leib 'einer' ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch 'ein' Leib sind: so auch Christus" besonders viel. "Der Einzelne ist zwar wichtig, aber nur die Gemeinschaft ist erfolgreich", meint sie, "siehe VfB Stuttgart."
Wie die Teams im Schlossgarten-Untersuchungsausschuss zusammenspielen, wird sich erst noch zeigen. Erst einmal muss der Neuvorsitzende Filius seine Position finden angesichts der Forderungen und der Kritik aus den Reihen der Opposition. Zumal die FDP seine Zurückhaltung schon nutzt und nachlegt. Sie nimmt allerdings nicht allein grüne Abgeordnete und die Vizepräsidentin ins Visier, sondern auch Kretschmann. Wieder eine Unterstellung, diesmal in Form einer Frage samt Aktueller Landtagsdebatte: "Zur Sache, Herr Ministerpräsident, sollte das Staatsministerium Daten von S-21-Befürwortern und Polizisten sammeln?" Auch zu dieser Aktion findet Lösch – Parlamentsamt hin oder her – deutliche Worte. Das sei ein "unglaublich billiges Manöver", um "von der politischen Einflussnahme des Herrn Mappus abzulenken".
Und dann sagt sie noch etwas. Sie habe schon viele Niederlagen einstecken müssen, aber gerade deshalb werde sie weiterhin große Standfestigkeit beweisen. Und sie sich weiter "lautstark einmischen".
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Schwester@nee Egon
am 10.05.2014