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Oberbürgermeisterwahl Mannheim

Farbwechsel für die rote Hochburg?

Oberbürgermeisterwahl Mannheim: Farbwechsel für die rote Hochburg?
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Nach zwei Amtszeiten ist nun Schluss: Peter Kurz (SPD), der Mannheimer Noch-OB, lässt bei den Wahlen am 18. Juni acht anderen Kandidat:innen die Chance auf den Chefposten. Aussichtsreich ist diese nicht nur für den roten Kandidaten, auch Grün und Schwarz mischen ganz vorne mit. Ein Stimmungsbild aus der Quadratestadt.

Mannheim, volksmündlich je nach Stadtteil "Mannem" oder "Monnem" genannt, ist die Geburtsstadt des Fahrrads, von Spaghettieis und von Xavier Naidoo sowie die zweitbevölkerungsreichste Stadt Baden-Württembergs. Dort gibt es eine der größten Schlossanlagen der Welt, den Unesco-city-of-music-Award sowie eine Seilbahn. Und natürlich: die Bundesgartenschau im Luisenpark und auf dem Spinelligelände, einer Konversionsfläche, bis 2012 von der US-Army genutzt. Die Buga gilt als das Vermächtnis des noch amtierenden Oberbürgermeisters Peter Kurz (SPD). Noch, denn am 18. Juni wird sein:e Nachfolger:in gewählt.

Dann können rund 235.000 über 16-Jährige von den insgesamt 325.000 Einwohner:innen ihre Stimme abgeben. Entschieden wird zwischen acht Kandidat:innen: Christian Specht (CDU), Raymond Fojkar (Grüne), Thorsten Riehle (SPD), Isabell Belser (Linke), Thomas Bischoff (Die Partei) sowie den drei Parteilosen Tanja Krone, Ugur Cakir und Daniel Frey. Erreicht keine:r mehr als die Hälfte aller Stimmen, kommt es am 9. Juli zu einem zweiten Wahlgang, bei dem die einfache Mehrheit für den Sieg reicht. Spätestens dann wird sich zeigen, ob Mannheim seinen Ruf als rote Hochburg beibehält oder ob zum ersten Mal seit 75 Jahren ein CDUler das Ruder übernimmt. Oder ob – und das wäre eine kleine Sensation – zum ersten Mal überhaupt eine Frau den Mannheimer OB-Thron erklimmt.

"Eigentlich ist Mannheim top!"

Wer dieser Tage durch und rund um die Mannheimer Innenstadt fährt, sieht neben den üblich vielen Dönerläden freundlich lächelnde OB-Kandidat:innen mit ziemlich inhaltsleeren Slogans ("sozial", "Innovation", "Dein Mannheim kann mehr") auf ihren Wahlplakaten. Die 66-jährige Angelika W. weiß, welche Themen ihr wichtig sind: mehr soziale Teilhabe für finanziell schwache Menschen und mehr Fahrradstraßen in der Stadt.

Das Thema verkehrsberuhigte Innenstadt ist eines der brisantesten im Wahlkampf. Im März 2023 wurde frühzeitig der auf ein Jahr angelegte Verkehrsversuch beendet, bei dem die Hauptachse durch die Mannheimer Quadrate für den Verkehr gesperrt war – durch die Klage einer Einzelhändlerin. CDU-Kandidat Christian Specht ist kein Freund des Verkehrsversuches, er sorgt sich um den Einzelhandel, fand ihn "schlecht durchgeführt und kommuniziert" und fordert eine "gleichberechtigte Teilhabe aller Verkehrsarten". Seine Konkurrentin von der Linken, Isabell Belser, will aus Mannheim hingegen eine "Stadt der kurzen Wege" machen und setzt dabei vor allem auf den Ausbau des ÖPNV. Darüber würde sich Wolfgang Schuy, Vorstandsmitglieds des Umweltforums, freuen. Er wünscht sich eine Umverteilung der vorhandenen Verkehrsflächen. "Der zukünftige OB sollte massiv auf die alten autozentrierten Denkweisen der Verwaltung einwirken", sagt er im Gespräch mit Kontext.

Am Mannheimer Wasserturm, umgeben vom Rosengarten, sitzen an einem sonnigen Mittwoch Anfang Juni zwei junge türkische Frauen, die Füße im Wasser, das Kopftuch lässt ihre Gesichter frei. Neben ihnen plantscht der zweijährige Sohn der 30-jährigen zweifachen Mutter. Sie darf nicht wählen am 18. Juni, weil sie nur die türkische Staatsbürgerschaft hat, ihre 22-jährige Schwägerin kann und will hingegen ihre Stimme abgeben. Für wen, weiß sie noch nicht. Was sie sich vom zukünftigen OB wünschen? Schwierige Frage, denn: "Eigentlich ist Mannheim top!" Am ehesten fehle es an Parkplätzen in der Innenstadt, denn die Parkhäuser seien immer überfüllt und mit Kind und Kegel sei es beinahe unmöglich, den ÖPNV zu nutzen. Würde der Grünen-Kandidat Raymond Fojkar, langjähriger Gemeinderat sowie Kinder- und Jugendpsychiater, neuer OB, bleiben diese Wünsche unerfüllt: "In Heidelberg fährt niemand hinein mit der Erwartung, direkt an der Hauptstraße einen Parkplatz zu bekommen", sagt er beim "Mannheimer Morgen"-Stadtgespräch. Die Grünen haben 13 Sitze im Mannheimer Gemeinderat und Fojkar weiß somit die stärkste Fraktion hinter sich.

Einhörner und Lamas an den Schulen

Schon sicher, wen sie wählen wird, ist sich die 29-jährige Amelie Frey, verraten will sie es nicht. Als zweifache Mutter erhofft sie sich mehr Kita- und Kindergartenplätze. SPD-Kandidat Thorsten Riehle, Fraktionsvorsitzender der SPD im Gemeinderat und Geschäftsführer des Mannheimer Capitols, spricht in diesem Zusammenhang von einer "Gerechtigkeitsfrage, vor allem gegenüber Frauen". Es müsse schneller gebaut werden, etwa in Modulbauweise, mehr Wald- und Wiesenkindergärten und eine zweite integrierte Gesamtschule (IGMH) müssten eröffnet werden. Die Lücke fehlender Erzieher:innen will er mit Tageseltern, durch die Zusammenarbeit mit freien Trägern oder Stipendiumprogrammen schließen – etwa angehenden Erzieher:innen einen Ausbildungsplatz in Mannheim anbieten und sie im Gegenzug für mehrere Jahre verpflichtend an eine Mannheimer Einrichtung binden.

Der Vertreter von Die Partei, Thomas Bischoff, hat – wie üblich für die Satirepartei – kreative Ideen für die Schulpolitik: Rutschen vom Klassenzimmer direkt in den Pausenhof, Lamas zur Entspannung der Schüler:innen und Einhornkostüme für die Lehrer:innen. Statt "langweiliger Matheaufgaben" sollen Lieder geschrieben und Poetryslams organisiert werden. Beim Thema Ganztagesbetreuung will in Zukunft auch der Stadtjugendring, der Dachverband der Mannheimer Jugendverbände, mehr mitgestalten. Vorstandsmitglied Theo Argiantzis erhofft sich vom zukünftigen OB zudem mehr Räume für Jugendliche und mehr Geld, um langfristig planen zu können. Es habe Zeiten gegeben, da "hatten wir kein Klopapier mehr, weil uns das Geld gefehlt hat", sagt er gegenüber Kontext.

Wer ist Mannheims Mann?

Auf einem kleinen Hocker neben dem Wasserturm sitzt eine Frau und zeichnet mit Kohle das Mannheimer Wahrzeichen auf ein Stück Papier. Die 54-jährige Babette Leitgeb ist in Mannheim auf Besuch bei ihrer Tochter. Und sie ist empört: Die "kryptischen Wahlplakate" wirkten wie "böhmische Dörfer". "Nicht mal die Partei kann man da ablesen, geschweige denn irgendwas aus dem Programm." Nicht nur aufgrund ihrer Inhaltsleere haben die Wahlplakate für Aufregung gesorgt: Bereits im April hingen die ersten Werbebanner von Specht (CDU) und Riehle (SPD) in den Straßen, obwohl das erst sechs Wochen vor der Wahl erlaubt ist – wie von der Stadt inklusive des Ordnungsdezernenten Christian Specht selbst beschlossen. In den darauffolgenden Wochen und bis zuletzt beschmierten und zerstörten "ein paar Vandalen", wie Specht sie nennt, immer wieder seine und die Plakate seines SPD-Kontrahenten. Jüngst wurden jene von Raymond Fojkar (Grüne) sogar mit Todesdrohungen versehen. Die parteilose Kandidatin Tanja Krone hat dahingehend weniger zu befürchten, ihre Wahlplakate hat sie einfach selbst "angesprayt": Über einem Ganzkörperfoto in ihrem Markenzeichen beige-karierter Trenchcoat steht in schwarzer Farbe und wie frisch aus der Spraydose: "Die Krone ist unser Mann."

Sie ist Sammlerin, Künstlerin, Mitte 40, nicht von hier und auch nicht fremd, hat drei Kinder, aber keine eigenen. Und sie hat kein Programm, sie hat Interesse, wie auf ihrer Webseite zu lesen ist. Beim "Candydate", einem Gesprächsformat mit OB-Kandidat:innen im Kulturzentrum Alter ,sagt sie, sie wolle sich für mehr Teilhabe einsetzen, die Dinge runterbrechen auf die Stadtteile, denn sonst könne man die Politik gleich ins Museum stellen. Und sie steht für mehr Frauen in der Kommunalpolitik. Genauso wie ihre Linken-Konkurrentin Belser: "Ich will meiner Stadt zeigen, dass es möglich ist, als Frau zu kandidieren, sogar mit Migrationshintergrund." Und meint damit ihren US-amerikanischen Vater. Ziemlich aufgeregt vor ihrem Auftritt im Alter gibt sie zu, dass sie gar nicht wisse, wie sie es bis hierhin geschafft habe zwischen ihrer Arbeit als Altenpflegerin und als alleinerziehende Mutter einer neunjährigen Tochter. Als sie die Moderatorin fragt, vor was sie sich als OB am meisten fürchte, ist ihre Antwort klar: vor der Verwaltung.

Die Stärke liegt in der Vielfalt

Ganz im Gegensatz zu Ugur Cakir, der sich trotz SPD-Mitgliedschaft ohne Parteiunterstützung der Wahl stellt. Der 59-Jährige mit türkischen Wurzeln hat eine besondere Vorliebe für die moderne Verwaltung. Wichtig ist ihm Integration, deshalb sollten ihm zufolge Kinder mit Migrationshintergrund ab drei Jahren kostenlose Kitaplätze bekommen. Fast 48 Prozent der Mannheimer:innen haben einen Migrationshintergrund. "In der Vielfalt haben wir unsere Stärke", sagt SPD-Kandidat Riehle auf der Alter-Bühne. Doch nicht alle wissen mit so viel Vielfalt umzugehen, wie jüngste Rassismusvorwürfe gegen einen Polizeieinsatz Ende April zeigen, bei dem eine Wohnung mit vier untergebrachten Klimaaktivisten aus Westafrika gestürmt wurde.

Dass rechtes Gedankengut auch in weiten Teilen der traditionell eher rot eingestellten Mannheimer Bevölkerung auf Zuspruch stoßen kann, zeigte der spektakuläre AfD-Sieg im Mannheimer Norden – der eigentlichen SPD-Hochburg – bei der Landtagswahl 2016: Mehr als 20 Prozent der Stimmen bescherten dem AfD-Kandidaten Rüdiger Klos ein Direkmandat im baden-württembergischen Parlament. Für die anstehende OB-Wahl hat die AfD, die im Gemeinderat vier von 48 Sitzen hat, weder eine:n Kandidat:in vorgeschlagen noch untersützt sie öffentlich jemanden.

Als einziger Vertreter der Mitte und unterstützt von FDP und Freien Wählern/Mannheimer Liste hat Christdemokrat Christian Specht somit gute Chancen, auch weil man den Juristen in Mannheim bereits kennt als Ersten Bürgermeister. In den sozialen Medien ist er präsent, versucht mit außergewöhnlichen Formaten die junge Wählerschaft anzusprechen. Auf TikTok bewertet er Sneaker, gesteht, dass er Pizza-Hawaii mag, oder zeigt sich beim Beer-Pong-Spielen im Instagram-Post. Und mit dem CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz hat er vor Kurzem zum Weißwurst-Essen eingeladen.

Ziel: Klimaneutral bis 2030

Wolfgang Schuy vom Umweltforum Mannheim möchte, dass das künftige Oberhaupt sich für eine Neuausrichtung der vom Land geplanten Rheindammsanierung einsetzt, damit nicht, wie ursprünglich geplant, 1.000 Bäume in dem Gebiet gefällt werden,  und gegen die weitere Versiegelung der Mannheimer Innenstadt vorgeht. Denn Mannheim ist hinter Ludwigshafen die am stärksten versiegelte Stadt Deutschlands. Als eine der 100 Städte, die im Zuge des Europäischen Grünen Deals bis 2030 klimaneutral sein wollen, hat der oder die zukünftige OB eine wahre Herkulesaufgabe zu bewältigen. Der Grüne Fojkar und Specht von der CDU setzen auf Photovoltaik und wollen diejenigen unterstützen, die nicht an das Fernwärmenetz angeschlossen werden können. Riehle von der SPD ist sich sicher, die Energiewende nur zusammen mit der Metropolregion Rhein-Neckar erreichen zu können.

So vielfältig wie die Stadt sind auch ihre OB-Kandidat:innen und die Anliegen ihrer Bürger:innen. Die Inhaberin des Sushi-Restaurants Mizu direkt neben dem Mannheimer Hauptbahnhof, My Luong, wünscht sich einen einfacheren Zugang zu Genehmigungen für Außenwerbung und mehr kostenfreie Schnellladesäulen für ihr E-Auto. Ebenso steht auf der Wunschliste vieler Mannheimer:innen bezahlbarer Wohnraum – wobei hier die Kandidat:innen ziemlich einvernehmlich auf die städtische Wohnbaugesellschaft GBG setzen –, eine neue Stadtbibliothek und die Sanierung des Fußballstadions. Was vielen Mannheimer:innen gemein ist, ist eine gewisse Grundzufriedenheit mit den letzten 16 Jahren Peter Kurz – "ein heller Kopf", sagt Schuy. Die Wahl wird spannend und Umweltschützer Schuy erwartet wie viele ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Specht und Riehle.


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2 Kommentare verfügbar

  • Pierre Simenc
    am 16.06.2023
    Antworten
    Mannheim ist eine tolle und authentische Stadt. Es wäre sehr schade um Mannheim, wenn ein grüner oder grün angehauchter Kandidat zum Oberbürgermeister würde. Die grüne Verlogenheit und Scheinheiligkeit soll bitte einen großen Bogen um Mannheim machen. Soll sie ihr Unwesen bitte an anderer Stelle…
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