Mittwoch, 27. September 2023, 5.56 Uhr: ein kühler, rauer Morgen in Hesselbronn. Es ist düster, am Himmel, in den Häusern. Die Stille in dem kleinen Flecken der Gemeinde Kupferzell hat ein jähes Ende. Aus einer Seitenstraße fahren mehrere Kastenwagen ins Dorf. Manche blauweiß mit Polizei-Aufschrift, andere dunkelgrau mit Panzerung. Die Wagen parken am Straßenrand. Rasch steigen Polizist:innen aus. Sie sind vermummt, einige tragen Schusswaffen. Eine Drohne hebt blinkend und summend vom Boden ab. Vor einem beigefarbenen Fachwerkhaus leuchtet das Blaulicht des SEK. Ein Martinshorn geht los. "Hier spricht die Polizei", sagt eine männliche Stimme über Lautsprecher. Man solle das Haus mit erhobenen Händen verlassen.
An diesem Morgen wird das bundesweite Verbot des rechtsextremen Vereins "Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung" vollstreckt. Rund 700 Polizist:innen durchsuchen 26 Wohnungen von 39 Mitgliedern in zwölf Bundesländern. Alleine im hohenlohischen Hesselbronn, wo die einzige Durchsuchung in Baden-Württemberg stattfindet, sind mehr als 100 Polizist:innen im Einsatz, um drei Objekte – ein Wohnhaus, eine Scheune, ein Flurstück – zweier mutmaßlicher Mitglieder zu durchsuchen. Zum Vergleich: In Bayern sind bloß 50 Polizist:innen im Einsatz, um acht Wohnungen zahlreicher Mitglieder zu durchsuchen. Offensichtlich hat die Bluttat vom 20. April 2022, als das SEK eine Pistole des "Reichsbürgers" Ingo K. in Bobstadt (Baden-Württemberg) einziehen wollte, tiefe Spuren hinterlassen. Damals wurden mehrere Polizist:innen teils schwer verletzt.
Die "Menschen unserer Art"
Im Rahmen der bundesweiten Durchsuchungen wurden Waffen und Munition sichergestellt. Die Frage, ob Waffen in Hesselbronn beschlagnahmt wurden, lässt die Pressestelle des baden-württembergischen Innenministeriums noch offen. Klar ist: Die Artgemeinschaft, 1951 gegründet, hatte stets eine Nähe zur Militanz. "Mit der 'Artgemeinschaft' bewegen wir uns im Bereich des ideologisch fanatisierten militanten Neonazismus", erklärt Dr. Christoph Schulze. Er arbeitet an der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus. Die Stelle ist Teil des Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam (Brandenburg). Um die Gewaltbereitschaft der Gruppe vor Augen zu führen, nennt Schulze den Neonazi Stephan Ernst, der 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) auf seiner Terrasse erschoss. Er war Mitglied der Artgemeinschaft. "Es ließen sich noch viele weitere Beispiele anführen", ergänzt Schulze.
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bedellus
am 04.10.2023