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Tech-Konzerne und der deutsche Film

Fernsehen zum Wegsehen

Tech-Konzerne und der deutsche Film: Fernsehen zum Wegsehen
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In den USA nimmt der Überwachungsstaat konkrete Formen an. Unser Kolumnist hat Sommerschnupfen und ein neues Fernsehgerät, das ihn wie die "Teleschirme" bei George Orwell abhören kann. Noch schlimmer findet er, was aus dem Fernseher rauskommt.

Die letzten sieben Jahre lebte ich ohne Fernseher. Nun habe ich wieder einen. Die Bildeinstellung "Lebhaft" hat sich schon mal als Trug entpuppt: Das Geplänkel bei Illner und Lanz ist nach wie vor so leblos wie Ozzy Osbourne.

Dass ich übers Fernsehen schreibe, hat einen Grund: Leisure Sickness. "Also known as 'Freizeitkrankheit' in Germany", informiert mich die Google-KI. Ein bekanntes Phänomen: Menschen werden krank, sobald sie Urlaub haben. Auch ich leide pünktlich zur Sommerpause an Sommererkältung. Um der Leserschaft einen authentischen Eindruck davon zu vermitteln, unter welchen Umständen diese Couch-Kolumne entsteht, baue ich onomatopoetisch Geräusche in den Text ein, die der Körper des Autors während des Schreibens von sich gegeben hat. Ha-tschi!

Ein weiterer Begriff, den ich im Siechtum neu gelernt habe, ist "Casual Viewing". Wer auf Fernseher oder Laptop einen Film laufen lässt und nebenbei Zwiebeln schneidet, seine Steuererklärung macht oder ätherische Öle inhaliert, betreibt "Casual Viewing". Angeblich weist Netflix seine Autor:innen neuerdings sogar an, die Charaktere in Serien und Filmen immer laut aussprechen zu lassen, was sie gerade tun. Das soll den Betrachter von der Last befreien, beim Fernsehen fernsehen zu müssen.

Mit "Delicious" (mit Fahri Yardim), "Brick" (mit Matthias Schweighöfer) und "Contra" (von Sönke Wortmann, mit Christoph Maria Herbst) habe ich mir auf dem Krankenbett gleich drei prominent besetzte deutsche Streifen auf Netflix zugemutet – hoffen wir für den Ruf des deutschen Kinos, dass möglichst wenige internationale Zuschauer diese Filme anklicken. Hätte ich mal lieber Casual Viewing betrieben. Hust!

"Delicious" hatte mich mit einer an die Bildästhetik des Regisseurs Ruben Östlund angelehnten Vorschauszene geködert: Starr blickt die Kamera auf den Terrassentisch eines opulenten Ferienhauses. Der Spross einer gutbetuchten Familie wirft seinen Eltern spöttisch deren Reichtum vor, während das Dienstmädchen die Teller einsammelt. "Das haben sich deine Eltern auch alles hart erarbeitet", mahnt ein Gast. Das Dienstmädchen arbeite auch hart, besitze aber nichts, erwidert der Sohn.

Während Ruben Östlund derartige Szenen wie zuletzt in "Triangle of Sadness" bis an den Rand des Ertragbaren und gern auch darüber hinaus zelebriert, bricht "Delicious"-Regisseurin Nele Mueller-Stöfen die einzige interessante Stelle ihres Werks rasch ab, indem sie die Mutter das Thema wechseln lässt. Die Botschaft des Streifens, der zum Ende ins Horrorgenre wechselt, lautet zwar unverkennbar "Eat the Rich!" – doch solange deutsche Filmemacher den Klassenkampf dermaßen ambitionslos anpacken, werden wir noch lange auf die Revolution warten. Röchl, ächz, a-hu!

Sinnlos wie ein Weidel-Sommerinterview

"Contra" erzählt uns von einer jungen Frankfurterin mit marokkanischen Wurzeln, die prekär aufwächst, dennoch Jura studiert und unter den Fittichen eines zynischen Profs mit Hang zum rassistischen Witz erfolgreich an Debattierwettbewerben teilnimmt. Die erschreckend schwachen Dialoge dieses Films aus dem Jahre 2021 sind für den Zuschauer ärgerlich, aber besonders gemein gegenüber der Goethe-Universität Frankfurt, legen sie doch nahe, dass dort bestenfalls auf Zehnte-Klasse-Niveau debattiert wird. Die Frage "Ist der Islam eine gefährliche Religion?" beantwortet das Redetalent beispielsweise mit gewaltverherrlichenden Passagen aus der Bibel. Die anwesenden Akademiker staunen und recken raunend reihum die Köpfe, als wäre das ein brandneuer, augenöffnender Debattenbeitrag und nicht eine schon hunderttausendmal gehörte Gegenüberstellung.

Und "Brick" – darüber berichte ich nur kurz, um mich nicht selbst zu retraumatisieren und meinen Genesungsprozess zu gefährden. Schweighöfer und Freundin wachen in ihrer Wohnung auf, sämtliche Fenster sowie Türen sind mit unzerstörbarem Material zugemauert. Hätte man mir doch nur ebenso den Fernseher zugespachtelt! Dieser Film will nichts und kann nichts. Dass er produziert wurde, ist in etwa so verständlich wie ein Sommerinterview mit Alice Weidel. Schnief, schnäuz, schnauf.

Klar: Mit Tiraden übers deutsche Kino gewinnt man auch keinen Originalitätspreis. Muss aber einfach raus, wenn man diese Einfallslosigkeit gleich dreimal hintereinander auf die Netzhaut gepfeffert bekommt. Ich hatte nicht übel Lust, vor lauter Wut aufs deutsche Fernsehen die Maus-Skulptur vorm WDR-Gebäude in Köln in Brand zu stecken, aber da waren mir andere Ikonoklasten ja zuvorgekommen.

Dabei spreche ich den Machern gar nicht die Fähigkeit ab, zur Abwechslung mal halbwegs erträgliche 90 Minuten auf die Mattscheibe zu flimmern. Schweighöfer, Yardim und Herbst sind doch Schauspieler, die zumindest schauspielern können. Die Drehbuchleute müssten sie halt ein paar erquicklichere Sätze sagen lassen. Zur Not mal die Google-KI Fragen!

Aber es herrscht auf Seite der Filmschaffenden offensichtlich eine intellektuelle Faulheit, eine Unlust, sich in ein Thema über das Wikipedia-Wissen hinaus einzuarbeiten und das Ganze auf unerhörte Weise vorzustellen. Was von Seiten des Publikums aber auch nicht beanstandet zu werden scheint. Fürs "Casual Viewing" reicht’s. Wir wollen Fernsehen zum Wegsehen. Als Hintergrundgeräusch beim Zwiebelschneiden höre ich dann aber lieber den Laubbläser vom Nachbarn. Öchl, öchl, stöhn.

Wir machen freiwillig mit

Genauso gruselig wie die deutschen Netflix-Angebote ist aber die Spracherkennung des neuen Fernsehers. Weil das Gerät sich selbst hört, reagiert es manchmal auf Ausrufe der Schauspieler. Schreit Schweighöfer "Hiiilfe!", sagt mein Fernseher: "Wie kann ich dir helfen?" Hab ich selbstredend gleich deaktiviert. Aber die Lauschfähigkeit bleibt dem Teil freilich trotzdem erhalten. Ziemlich genau so habe ich mir als Jugendlicher den "Teleschirm" in George Orwells "1984" vorgestellt. Ein Fernsehgerät der Regierung, das nicht nur sendet, sondern auch sieht und hört.

Sehen kann mein Fernseher zwar nicht. Muss er aber auch nicht, dafür tragen wir schließlich allesamt mobile Kameras von US-Firmen in unseren Hosen- und Handtaschen herum. Und der Staubsaugroboter schickt 3D-Aufnahmen der Wohnung nach China. Orwell hat vieles geahnt, nur eines hat er falsch eingeschätzt: Der Überwachungskram muss uns nicht aufgezwungen werden. Wir holen uns das Zeug freiwillig.

Früher konnte man so einen Datenschutzfimmel als spinnerte Bedenkenträgerei abtun. Als das Google-Firmenmotto noch "Don’t be evil" lautete, hörte man immer wieder mal den Spruch "Imagine if Google was evil". Spätestens seit Trump muss man es nicht mehr imaginieren: Die Tech-Konzerne sind stets so evil wie die Regierung, der sie verpflichtet sind. Der "Patriot Act" aus dem Jahre 2001, beschlossen nach 9/11, verpflichtet US-Firmen dazu, vorliegende Daten an die Regierung weiterzugeben, selbst wenn die betroffenen Personen keine US-Bürger sind. Mit dem "Cloud Act" von 2018 sicherte sich die US-Regierung schließlich die volle Überwachungsmacht: Die Daten müssen seither selbst dann herausgegeben werden, wenn sie auf Servern außerhalb der USA gespeichert sind. Rotz, keuch, uarghs.

Trotzdem wähnen sich viele in Sicherheit, weil sie annehmen, die Geheimdienste hätten doch Besseres zu tun, als uns beim Doomscrolling auf der Toilette zuzuschauen. Haben sie auch – aber falls der ein oder andere von uns eines Tages doch interessant für die Regierung wird, schauen sie eben doch mal hin. Auch eine Form von Casual Viewing.

So merkten etwa in Kalifornien bei den Protesten gegen die Abschiebungen der US-Regierung sowohl Demonstrant:innen wie auch Migrant:innen, dass die Behörden ihnen häufig einen Schritt voraus waren. Gegen die Protestler kamen nachweislich Nummernschilderkennungssysteme und Smartphone-Überwachung zum Einsatz. Der Staat nutzt seine Macht und die Tech-Konzerne sind gesetzlich zur Beihilfe verdammt.

Wäre eigentlich mal ein spannendes Sujet für einen deutschen Film. In den USA lassen sich derlei Stoffe ja womöglich bald nicht mehr umsetzen. Vielleicht schreibt die Google-KI sogar ein hübsches Drehbuch. Die weiß doch eh schon alles. Örks, hicks, schnarch.

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